Kapitel 28

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Aurora

Ich öffnete meine Augen und war auf einmal hellwach. Ich rüttelte an Arens Arm, um ihn wach zu kriegen, aber ich hörte ihn nur etwas von «Schlaf» murmeln.
«Aren, komm schon! Wach auf!», rief ich und rüttelte noch fester an ihm.
«Es ist dringend!»
Plötzlich riss auch er seine Augen auf und setzte sich in einem Schwung auf.
«Was? Was ist los?»
«Weisst du noch, wie du gesagt hast, dass wir im Sommer beim See schwimmen gehen können? Es ist Sommer!»
Er schaute mich an, als ob ich auf den Kopf gefallen wäre.
«Und deswegen musst du mich wecken? Mitten in der Nacht?»
Er zeigte mit seinem Zeigefinger nach draussen.
«Es ist dunkel. Siehst du? Nicht die Sonne, sondern der Mond scheint.»
«Aber nicht mehr für lange. Und man muss schon ein Stück zum See laufen. Ich will noch vor dem Training gehen. Komm schon. Für mich.»
Als Antwort liess er sich zurück ins Bett fallen und drückte sich ein Kissen vors Gesicht.
«Hast du allen Ernstes das Gefühl, dass ich so schnell aufgebe? Du kennst mich doch jetzt schon eine ganze Weile.»
Er nahm das Kissen von seinem Kopf weg.
«Es war ein Versuch wert.»
Auf dem Weg zum See wurde seine Stimmung zum Glück besser. Plötzlich blieb ich stehen. «Wir haben ja gar keine Ersatzkleider dabei!», sagte ich.
«Das ist egal. Es ist warm. Unsere Kleider werden auf dem Rückweg schnell trocken.»
Nach einer Pause sagte er:
«Du kannst auch nackt gehen. Ich hätte kein Problem damit.»
«Ja, das kann ich mir vorstellen», sagte ich und schüttelte lachend den Kopf.
Auch als wir beim See angekommen waren, war es immer noch dunkel. Zum Glück war es trotzdem schon einigermassen warm.
«Wie spät ist es eigentlich?», fragte ich Aren.
Ich hatte nicht auf die Uhr geschaut, als wir aufgebrochen waren. Er zuckte mit den Schultern.
«Ich weiss es nicht. Dem Schlafmangel nach zu urteilen, den ich verspüre, sind keine zehn Minuten vergangen, seit wir uns ins Bett gelegt haben.»
Ich blickte ins Wasser herab. Da die Sonne nicht schien, sah es dunkelblau, fast schwarz aus. Mir war mulmig zumute. Es gab keine Stelle, wo man langsam ins Wasser gehen konnte, man musste gleich ganz hineingehen.
«Hast du Angst?», fragte er mich mit einem Lächeln im Gesicht.
«Nein, vor was auch?», sagte ich, sicherer, als ich mich fühlte.
«Hier unten könnten Seemonster sein, die dich verschlingen können, ohne dich überhaupt zerbeissen zu müssen.»
Daran hatte ich nicht gedacht...
«Es gibt keine Seemonster», sagte ich.
Meine Stimme war nur noch ein flüstern.
«Ich schätze, wie finden es heraus.»
Wir zogen beide unsere Schuhe und Socken aus.
«Auf drei?», fragte er mich.
«Ja, auf drei.»
«Eins. Zwei. Drei!»

Er sprang hinein, doch ich blieb wie angewurzelt stehen. Als er wieder auftauchte, blickte er mich finster an.
«Es war deine Idee, hier herzukommen. Also musst du jetzt auch ins Wasser kommen.»
«Ich komme ja», sagte ich beschwichtigend.
«Ich wollte nur sehen, ob du von einem Seemonster verschlungen wirst.»
Er lächelte mich künstlich an.
«Wie überaus nett von dir.»
Einige Sekunden war es still.
«Wenn du jetzt nicht sofort hineinkommst, zerre ich dich eigenhändig ins Wasser.»
Drohend kam er näher zum Ufer heran. Automatisch machte ich einen Schritt rückwärts.
«Ist ja gut, ich komme», sagte ich.
Eins. Zwei. Drei. Ich sprang.

Das Wasser war noch kälter, als ich es mir vorgestellt hatte. Es fühlte sich an wie flüssiges Eis. Ich öffnete meine Augen, doch wegen der Dunkelheit konnte ich nicht viel sehen. Mit wenigen, kräftigen Zügen kämpfte ich mich zurück an die Oberfläche. Es war schwieriger als gedacht, weil, obwohl ich nicht viel anhatte, waren die Kleider doch schwer. An der Oberfläche angekommen strich ich mir zuerst einmal meinen Haarvorhang aus dem Gesicht. Ich atmete tief ein und spürte, wie meine Lungen mit frischer Luft gefüllt wurden. Ich drehte mich um und entdeckte Aren. Auch mit nassen Kleidern am Leibe sah er immer noch wunderschön aus. Anders wie ich. Meine äussere Erscheinung war mit den zwei Wörtern «ertrunkene Heuschrecke» gut zusammengefasst. Ich schwamm auf ihn zu und stützte mich mit meinen Händen auf seinen Schultern ab. Seine Haut war angenehm warm und ich spürte seine angespannten Muskeln. Seine Hände platzierte er an meinen Hüften und er zog mit näher zu sich heran. Ein angenehmes Kribbeln durchströmte mich.

«Erfrischendes Wasser, nicht wahr?», fragte er.
Allein seine Stimme liess mein Herz schneller klopfen.
«Erfrischend? Das Wasser ist kälter als das letzte Mal, als wir hier waren. Das war im Winter gewesen. Winter, Aren.»
Er lachte leise.
«Jetzt übertreibst du aber. So kalt ist es nun doch nicht.»
Ich sagte nichts, aber mein Zähneklappern sprach für sich.
«Wo hast du eigentlich schwimmen gelernt?», fragte er mich.
«Unterhalb unseres Hauses gab es einen Fluss. Im Sommer konnte man dort manchmal schwimmen, obwohl man immer gut auf die Strömungen achten musste.»

Er nickte und zeigte plötzlich hinter mich. Ich liess seine Schultern los und drehte mich um. Fasziniert beobachtete ich, wie die Sonne langsam erschien und so die Dunkelheit mit ihrem Licht verdrängte. Durch den dichten Wald konnte man die Sonne an sich fast nicht sehen, aber die orange-roten Farbtöne breiteten sich langsam über dem Himmel aus. Dann, ganz plötzlich, zog er mich an der Hüfte wieder zurück zu sich, noch näher als das letzte Mal, wenn das überhaupt möglich war.

Er beugte sich vor und zärtlich berührten sich unsere Lippen, meine waren zwischenzeitlich wahrscheinlich schon blau angelaufen. Seine Hände fuhren unter mein T-Shirt und berührten meinen Rücken. Wärme durchströmte mich, doch dieses Mal konnte ich mich kontrollieren und liess nicht schon wieder einen Baum explodieren. Aber wenn ich mich nicht täuschte, wurde das Wasser etwas wärmer. Ich löste mich langsam und schmerzlich von ihm.

«Ich glaube, wir müssen zurückgehen. Sonst kommen wir zu spät zum Training.»
«Aber das hier ist viel besser als im Training», murmelte er.
Ich lächelte.
«Ja, das ist es.»

Schlussendlich beschlossen wir dann doch, den Rückweg anzutreten. Das Wasser hatte sich zwischenzeitlich verändert, durch die Sonne war es nun heller und klarer geworden. Aren ging als erster heraus und half mir danach aus dem Wasser. Wir legten unsere Schuhe wieder an und liefen los.

Es windete leicht, was mich zittern liess. Aren legte einen Arm um mich und tatsächlich war mir nicht mehr so kalt.

«Danke, dass du mitgekommen bist», sagte ich leise.
Er sagte nichts, sondern lächelte mich nur an.
Als wir im Lager ankamen, war es noch relativ ruhig.
«Wir haben doch noch etwas Zeit vor dem Frühstück», sagte ich.

Wir gingen in unsere jeweiligen Hütten, um zu Duschen. Es war nicht ganz einfach, die nassen Klamotten auszuziehen, sie klebten förmlich an mir. Aren hatte sich mit dem «die Kleider trocknen auf dem Rückweg» getäuscht. Das warme Wasser war angenehm auf der Haut und ich schloss meine Augen. Nach dem Duschen bürstete ich meine Haare und zog mir schnell meine Trainingssachen an. Danach lief ich, mit noch feuchten Haaren, zu seiner Hütte. Ohne zu klopfen ging ich hinein. Aren lag auf dem Bett, in ein Buch vertieft. Ich legte mich neben ihn aufs Bett und versuchte vergeblich zu erkennen, was er las.

«Was liest du da?», fragte ich ihn.
Er blickte nicht auf.
«Ein Buch über alte Zeiten.»
Ich nickte. Dann klappte er das Buch zusammen, legte es auf einen seiner Bücherstapel und drehte sich zu mir herum. Seine Haare waren etwas wirr, aber schön wie eh und je. Ich blickte ihn an. Die wunderschönen Augen zogen mich wieder in seinen Bann. Sie waren einen wunderbaren Kontrast zu seinen dunklen Haaren. Das Leuchten, welches mir auch in finsterster Nach den Weg führen würde.
«Die andere Welt hat dir nicht nur Albträume vererbt, weisst du?», sagte ich.
«Deine Augen sind wunderschön.»

Amber - Das ErwachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt