Aren
«Aren», wisperte eine Stimme in der Dunkelheit. Ich öffnete meine Augen, aber ich sah nichts. Gar nichts. Mein Herz begann zu rasen und voller Panik blickte ich mich um. Ich war umgeben von totaler Finsternis. Selbst wenn ich meine Hände in die Höhe streckte, sah ich sie nicht. Nicht einmal einen Umriss davon.
«Aren», flüsterte diese Stimme nochmals. Sie war hoch, schrill und eiskalt. Ich drehte mich im Kreis, um die Stimme lokalisieren zu können, aber sie schien von überall und von nirgendwo zugleich zu kommen.
«Was? Was willst du von mir?», rief ich in die Schwärze hinein.
Meine Stimme zitterte. Ich zitterte. Hin und wieder hatte ich das Gefühl, dass jemand hinter mir war, doch da war nichts. Gänsehaut bildete sich auf meinen Unterarmen.
«Du weisst doch, was ich will», sprach die Stimme.
«Nei... nein. Ich weiss es nicht», sprach ich leise.
Etwas streifte mich an den Beinen, nur ganz leicht, aber es war eiskalt.
«Bitte, hör auf!», schrie ich.
«Nun denn, lass es mich dir sagen», säuselte die Stimme.
«Du musst sterben. Nur dann können sich die Welten voneinander trennen. Du musst sterben.»
Auf einmal packte mich jemand an der Schulter und im nächsten Moment schrie ich auf. Schmerz durchströmte mich, wie noch nie zuvor. Ich blickte an mir herunter, konnte aber nichts erkennen. Mit meinen Händen fasste ich mir an den Bauch. Ich berührte etwas längliches und metallenes und rundherum breitete sich langsam eine warme Flüssigkeit aus.
Zuerst fiel ich auf die Knie, dann schlug mein Kopf hart auf dem Grund auf.
«Ich will deinen Tod!», schrie die Stimme.«...Traum...nur...Aren...»
Ich nahm zuerst nur vereinzelte Wortfetzen auf. Meinen Arm berührte etwas, jemand. Blitzschnell riss ich meine Augen auf, richtete mich auf und wich zurück. Durch das Fenster schien das silberne Mondlicht in mein Zimmer. Ich drehte mich noch mehr zur Seite und erblickte Aurora. Mein Puls beruhigte sich nun endlich.
«Es war nur ein Traum, Aren.»
Hastig sog ich nun frischen Sauerstoff in meine Lungen, ich hatte das Gefühl, das Atmen in den letzten paar Sekunden vergessen zu haben. Erschöpft liess ich mich zurück ins Bett sinken. Diese Träume, sie kamen jede Nacht. Doch seit kurzem waren es nicht mehr nur wirre Träume aus verschiedenen Zeiten. Sie zeigten mir, in welcher Art auch immer, nur noch eines: meinen Tod. Schon immer, aber jetzt nur noch mehr, zehrten sie an meiner Kraft und meinem Verstand. Im Schlaf fand ich keine Erholung, schon seit Jahren nicht mehr. Langsam schloss ich meine Augen, da ich nicht die Energie hatte, sie offen zu behalten.
«Ich halte es nicht mehr aus, Aurora», flüsterte ich, kurz bevor ich wieder in die Finsternis gezogen wurde.
Sie fuhr mir langsam und zärtlich durch die Haare.
«Ich weiss», murmelte sie leise.
«Ich weiss.»Aurora
Mein Blick war auf Aren gerichtet, wie er neben mir lag, verschwitzt und kraftlos, wie jede Nacht. Es schmerzte mich innerlich, ihn so zu sehen. Jede Nacht schreckte er hoch, gequält von seinen Träumen. Ich fuhr durch seine weichen, dunklen Haare. Seine Atmung war nun wieder gleichmässig. Nun legte auch ich mich wieder hin und schloss meine Augen. Meine eine Hand ruhte auf seiner Brust und ich spürte, wie sie sich gleichmäßig hob und sank.
Als ich aufwachte, lag Aren nicht mehr im Bett. Sofort spürte ich, wie mich die Kälte seiner Abwesenheit umgab. In letzter Zeit schlief ich meistens in seinem Bett und war schon gar nichts mehr anderes gewöhnt. Ich richtete mich verschlafen auf und strich mir meine wirren Haare aus dem Gesicht, die dringend wieder einmal Bekanntschaft mit einer Bürste machen sollten. Ich drehte mich zur Seite und erblickte Aren. Wärme durchströmte meinen Körper.
Gerade wollte ich etwas sagen, als er sein Unterhemd auszog. Meine Augen weiteten sich und meine Kehle wurde trocken. Der Anblick seines nackten, kräftigen, leicht gebräunten Rückens war unbeschreiblich...
Als er nach einem T-Shirt griff und es sich überzog, stiess ich einen leisen Laut von Bedauern aus. Ich sah, wie er sich langsam umdrehte. Blitzschnell liess ich mich zurück ins Bett fallen und schloss meine Augen. Ich hörte, wie er mit wenigen Schritten zu mir ans Bett kam und sich bückte. Unsere Gesichter berührten sich fast. Mein Atem beschleunigte sich und ich spürte, wie mein Gesicht, ohne, dass ich es kontrollieren konnte, zu Zucken begann.
«Aurora, hast du mich gerade beim Umziehen beobachtet?», fragte er mich in seiner tiefen und wunderschönen Stimme.Nicht rot werden, nicht rot werden, Aurora!
«Merkwürdig», sagte Aren, «ich habe noch nie jemanden so schnell im Schlaf Atmen sehen.»
Ich beschloss, lieber jetzt aufzugeben, als es noch peinlich in die Länge zu ziehen. Also öffnete ich meine Augen. Ich konnte mich nicht zurückhalten und sagte:
«Es gibt Menschen, die schnell Atmen in ihrem Schlaf.»
Nach dieser Blamage wollte ich schnell zurück in meine Hütte, welche zum Glück nicht weit entfernt war unter dem Vorwand, dass ich mich umziehen und frisch machen wollte. Aren konnte ich nicht in die Augen blicken, denn er hatte die ganze Zeit dieses selbstgefällige Grinsen auf dem Gesicht.
«Aurora, warte noch schnell. Ich muss noch etwas mit dir besprechen.»
Ich drehte mich um.
«Was? Dass Menschen normalerweise auch nicht rot werden, wenn sie schlafen?», sagte ich, etwas giftiger als beabsichtigt.
Er lachte leise.
«Nein... nicht das.»
Dann wurde sein Blick ernster.
«Ich meine wegen der Schlafsituation.»
Etwas verunsichert blickte ich ihn an.
«Was meinst du damit?», fragte ich ihn.
«Aurora, ich weiss nicht, ob du bei mir schlafen solltest.»
Ich trat näher zu ihm heran.
«Warum? Bin ich zu aufdringlich?»
Während ich sprach, trat ich aber wieder einen Schritt zurück. Ich wusste nicht, ob es das Beste war, wenn wir über Aufdringlichkeit sprachen und ich ihn gleichzeitig bedrängte.
«Das tut mir leid, das war nicht meine Absicht, es ist nur...»
«Nein», unterbrach er mich.
«Es liegt nicht an dir. Es ist nur so, dass ich dich, jede einzelne Nacht, mindestens zweimal wegen meinen Träumen wecke. Wenigstens einer von uns sollte Schlaf bekommen.»
Ich berührte ihn leicht am Arm.
«Weisst du noch, wie hilflos ich anfangs war? Wärst du nicht da gewesen, wäre ich wahrscheinlich erfroren oder einfach nur an Trauer gestorben. Aber du hast mich unterstützt, als ich es brauchte. Und das gleiche werde ich jetzt auch machen. Und überhaupt», sagte ich und blickte ihn an. «Schlaf wird sowieso überbewertet.»
Okay, das letzte war eine Lüge. Aber das musste er ja nicht wissen.
Er sah immer noch nicht überzeugt aus.
«Aber dir konnte ich wirklich helfen. Du kannst mir nicht helfen. Niemand kann das.»
So schnell würde ich nicht aufgeben.
«Ich kann zwar nicht deine Träume verschwinden lassen, aber ich kann dich unterstützen», sagte ich.
Er schaute mich verächtlich an. Nun wurde ich wütend.
«Weisst du, du könntest mir auch einmal erzählen, was in deinen Träumen passiert, als immer nur typisch Aren-verschlossen zu sein. Und... es quält mich, dich jede Nacht so zu sehen und nichts dagegen tun zu können. Das einzige, was ich kann, ist dir beizustehen...»
Ich war nun wirklich aufgebracht. Er schaute mich etwas schockiert an.
«Tut mir leid, ich wollte nicht so harsch sein. Wenn es dir wirklich nichts ausmacht, kannst du gerne weiter bei mir schlafen.»
Er nahm mich in seine Arme. Ich nickte leicht.
Ich atmete seinen Duft ein und sofort entspannte ich mich. Er roch nach Frühling.
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Amber - Das Erwachen
FantasyNach dem Überfall auf ihr Haus wird Aurora ins Lager der Amalintas - der Beschützer der Welt - gebracht. Es stellt sich heraus, dass Auroras Blut, genau wie das Blut der Amalintas, die Farbe von Bernstein hat, was ihnen übernatürliche Kräfte verleih...