Kapitel 26

119 18 17
                                    

Aurora

Mein hoher, lauter Schrei erfüllte die Stille des Waldes und kurz darauf spürte ich, wie mein Rücken auf den harten, kalten Boden knallte. Auch Aren hatte zu wenig schnell realisiert, was geschehen war und war mit voller Wucht auf mich gefallen. Für einen Moment blieb mir die Luft weg. Ich spürte, wie sich kleine Holzstückchen in meinen Rücken und Unterarme bohrten, was dadurch gefördert wurde, dass Aren mit seinem ganzen Gewicht auf mir lag.
Für einen Moment erkannte ich den Schock in seinen Augen, dann sah er meinen gequälten Blick und stützte sich schnell auf seine Arme ab. Nun konnte endlich frische Luft in meine Lungen strömen.
«Aurora, was ist gerade passiert?», fragte er mich verwirrt, aber auch etwas belustigt, als ahnte er die Antwort schon.
Ich lief rot an und das sah leider auch Aren. Sein Grinsen vergrößerte sich.
«Ähm... Naja, ich glaube, ich habe ausversehen den Baum in die Luft gesprengt.»
Peinlich berührt versuchte ich seinem Blick auszuweichen. Ich glaube, ich war die erste Person, die während einem Kuss einen Baum in die Luft gesprengt hatte. Wer machte sowas? Er kam näher zu mir heran, als er sowieso schon war und ich fühlte wieder sein Gewicht auf mir.
«Und warum hast du den Baum in die Luft gesprengt?», fragte er mit neckischer Stimme.
Schön, dass wenigstens jemand von uns seinen Spass daran fand, dass ich gerade einen Baum in die Luft gesprengt hatte.
«Weil..., weil ich mein Amber nicht gut kontrollieren kann», sagte ich.
Mein Gesicht musste nun dem einer überreifen Tomate gleichen. Er schüttelte leicht den Kopf und kniff seine Augen zusammen.
«Du weisst genau, dass ich das nicht gemeint habe. Ich formuliere es anders: Was hat es ausgelöst, dass du dein Amber verwendet hast?»
Ach, verdammt.
«Ähm..., naja..., äh»
Ich schwieg. Er atmete langsam aus. Nun kam er so nahe an mich heran, dass sich unsere Stirnen berührten. Wärme durchfuhr meinen Körper.
«Ich beantworte es für dich», flüsterte er.
«Ich, der bezaubernde Aren, habe es mit meinen wunderbaren Lippen geschafft, dass du dein Amber nicht mehr unterdrücken konntest.»
Ich legte meine Hände flach auf seine Brust. Er zog die Augenbrauen nach oben.
«An Ego, Selbstverliebtheit und Arroganz fehlt es dir auch nicht, oder?», fragte ich ihn mit verächtlicher Stimme.
Mit einem bösen Grinsen blickte ich ihn an. Zuerst lächelte er selbstgefällig, aber als ich weiterhin grinste, verschwand sein Lächeln und seine Augen weiteten sich.
«Du wagst es nicht...»
Ich beschwor mein Amber herauf und kurz darauf strömte es aus meinen Händen heraus und Aren schleuderte nach hinten. Mit einem Krachen fiel er mit dem Rücken auf den Boden. Ich rappelte mich auf und lief zu ihm. Er lag immer noch fassungslos auf dem Boden. Mein Grinsen wurde noch breiter.
«Und ich, die bezaubernde Aurora, hat es mit ihrem wunderbaren Amber geschafft, dich in die Luft zu schleudern. Und, wie fühlt sich dein Ego jetzt an? Verletzt? Beleidigt? Meinem jedenfalls geht es prächtig.»
Kopfschüttelnd kam er wieder auf die Füsse. Nun stand er wieder gegenüber von mir und blickte mir in die Augen.
«Was ist nur mit dem stillen, schwachen und ruhigen Mädchen passiert, dass vor wenigen Monaten hier hergekommen ist?»
«Das war ein anderes Mädchen», sagte ich mit einem leichten Lächeln. Wir traten den Heimweg an.

«In den letzten Tagen haben wir ausschließlich über mich gesprochen, aber was ist mit dir?», fragte ich ihn.
«Was soll mit mir sein?», fragte er und sah mich von der Seite an.
«Du weisst ja nun über deine Herkunft bescheid. Wissen es die anderen schon?»
«Nein. Ich bin jetzt schon ein Aussenseiter. Ich will nicht wissen, was geschieht, wenn sie es erfahren würden.»
«Ja, das kann ich verstehen», sagte ich leise und blickte auf den Boden.
Seine Schritte verlangsamten sich.
«Hey, du weisst, dass das nicht dasselbe ist. Durch deine Kräfte kannst du Menschen heilen, sie sind aussergewöhnlich. Ich... ich bin dafür verantwortlich, dass die beiden Welten nicht mehr zusammenleben, bin für den Krieg und all die Feindschaften verantwortlich.»
Ich berührte ihn am Arm.
«Du weisst genau, dass das nicht stimmt. Die Feindschaften haben schon seit langem existiert. Und deine Kräfte sind wunderbar. Dadurch kannst du deine Eltern wiedersehen und sogar in die Zukunft blicken. Hast du dich auch schon mal gesehen? In der Zukunft?»
Bei dieser Frage spannten sich seine Muskeln an. Ich entfernte meine Hand von seinem Unterarm.
«Tut mir leid, habe ich etwas Falsches gesagt?», fragte ich ihn.
«Nein... es ist nur... ach, egal.»
Ich nickte und wusste, dass das nicht der richtige Moment war, um nachzubohren.
«Aber ich meine es ernst: Schätze deine Kräfte. Du bist der lebende Beweis, dass es die andere Welt wirklich gibt. Du bist besonders.»
Er nickte.
«Ja, ich glaube, ich muss mich einfach noch daran gewöhnen.»
Wir erblickten unser Lager. Er blieb stehen.
«Hör zu, wegen vorhin...»
Ich blieb neben ihm stehen, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange.
«Beantwortet das deine Frage?», fragte ich ihn mit einem leichten Lächeln.
«Ja, auf eine Weise...»

Amelia stand schon vor meiner Hütte.
«Wo bist du gewesen?», fragte sie mich.

Dann erblickte sie Aren. Wir lächelten uns an.
«Dann... bis später», sagte er.
«Ja, bis später.»
Amelia blickte immer wieder zwischen Aren und mir hin und her.
«Habt ihr euch etwa? Aurora, habt ihr euch etwa...?»
Bevor sie den Satz fertig sprechen konnte, öffnete ich mit dem Schlüssel, so schnell ich konnte, die Tür und zog ich sie eilig in meine Hütte hinein.
«Nicht draussen, vor allen», zischte ich leise und schloss die Tür.
«Wie konntest du das überhaupt wissen?»
«Also stimmt es?», fragte sie mich.
«Ach Aurora, ich freue mich ja so für dich.»

Darauf folgte eine stürmische Umarmung. Auch mein Gesicht wurde von einem Grinsen überzogen.

Der Frühling kam ganz plötzlich. Ich weiss nicht, woran ich erkannte, dass es nun soweit war. Das Blühen der Blumen? Die Wärme? Die Sonne? Das Zwitschern der Vögel? Was es auch war, ich wusste, dass nun der Frühling angefangen hatte.

Ich war nun motivierter, die Trainings verliefen besser, ich war nun weniger Baumreihen von meinem ursprünglichen Ziel entfernt und ich gewöhnte mich an die Schmerzen des Heilens. Und langsam, aber sicher, hatte ich auch meine Gefühle besser unter Kontrolle. Es dauerte nun um einiges Länger, um mich zum Explodieren zu bringen. Aber ich wusste, dass mein Glück und meine Freude eigentlich nicht wegen meinen kleinen Erfolgen im Training basierten, sondern auf Aren. Seit unserem Kuss waren wir näher miteinander verbunden, wir bauten uns gegenseitig auf, machten uns Mut. Wir standen uns näher, geistig und physisch. Wobei ich mich manchmal fragte, ob Amelia sogar noch aufgeregter war wegen unserer Beziehung, als Aren und ich. Sie wusste alles, jedes Gespräch, jede Bewegung, einfach alles.

«Ich wusste es schon von Anfang an, weisst du?», sagte Amelia.
«Was wusstest du?», fragte ich sie und blickte sie an. Sie lag auf meinem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
«Na, dass ihr füreinander bestimmt seid.»
«Denkst du wirklich, dass wir das sind?»
Ich sah sie mit einem kritischen Blick an.
«Aber ja. Durch ihn hast du dich in den letzten Tagen verändert. Gut verändert. Du hast nun mehr Selbstbewusstsein, fällst nicht mehr wegen jeder Sache gleich in Ohnmacht»
Ich zuckte zusammen. Der hatte gesessen.
«und bist so viel glücklicher.»
Ich dachte einen Augenblick darüber nach.
«Ja, du hast recht. Ich habe mich wirklich verändert.»
Nun legte auch ich mich aufs Bett, stützte die Ellbogen auf die Bettdecke und legte das Gesicht in meine Hände.
«Und... wie steht es eigentlich mit dir? Hast du jemanden im Auge?»
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Entgeistert blickte sie mich an. Offenbar sprach sie lieber über meine Liebesbeziehungen als über ihre eigenen. Selber schuld. Sie hatte mich ausgequetscht und nun war ich dran...
«Also gibt es jemanden», sagte ich glücklich.
«Nun sag schon, wie heisst er?»
«Es... es gibt gar niemanden», sagte sie.
Aber sie blickte dabei nach unten und ihre Stimme war merkwürdig schrill.
Ich atmete tief durch und schüttelte den Kopf.
«Von mir aus, verleugne es nur. Aber wir wissen beide, dass ich es herausfinden werde.»
Dabei blickte ich sie mit meinem ich-werde-es-herausfinden Blick an.
«Sein Name ist Elliot», gab sie schliesslich nach.
«Weisst du, wen ich meine?»
Ich überlegte kurz.
«Der grosse Junge mit den blonden, lockigen Haaren?»
«Ja, genau den», sagte sie.
Ihr Blick war verträumt, als wäre sie gerade woanders.
«Hast du ihn schon angesprochen?»
Sie blickte mich an, als ob ich geistesgestört wäre.
«Nein, das habe ich nicht. Und das werde ich auch ganz
bestimmt nicht tun.»
«Warum nicht?»
«Weil... weil...»
Sie blickte an sich herab.
«Nicht jeder sieht so gut aus wie du oder Aren.»
Ich hatte sie noch nie so unsicher gesehen.
«Amelia, du bist wunderschön. Du hast lange Beine, schöne Haare, du hast Humor und bist die energiereichste Person, die ich kenne.»
«Meinst du wirklich?», sie blickte mich zweifelnd an.
«Ja. Er wäre ein Idiot, dich abzuweisen. Und wenn du ihn nicht ansprichst, wirst du nie wissen, was hätte sein können.»
Sie nickte.
«Gut, ich rede mit ihm.»
Sie lächelte mich an. Es klopfte an der Tür.
«Kann ich reinkommen?», erklang eine Stimme von draussen.
Es war Aren. Mein Herz klopfte schon vor Vorfreude. Amelia sprang auf und rannte zur Tür.
«Komm herein!», rief sie. Sie schaute mich an und wackelte verführerisch mit den Augenbrauen.
«Ich lasse euch dann mal alleine. Viel Spass! Und Aurora, mach nichts, was ich...»
Schnell schloss ich die Tür hinter ihr, sodass sie ihren Satz nicht beenden konnte. Amelia war wieder wie immer. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür und blickte Aren an.
«Sie weiss alles, oder?», fragte Aren.
«Nein, überhaupt nicht», sagte ich und blickte schnell nach unten, damit er mein Gesicht nicht sehen konnte.
«Du bist eine grauenhafte Lügnerin, weisst du das?»

Amber - Das ErwachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt