Doch was wird leuchten in dunkler Nacht und am helllichten Tag,
In guten wie in schlechten Zeiten,
Die Farbe wie die von Bernstein,
Uns schützen wird für immer
(Aus frühen Zeiten)Aurora
Mit meinen Armen schob ich das dichte Gebüsch beiseite. Ich schloss kurz die Augen, damit mir der Staub nicht in die Augen kam.
Ich spürte, wie meine Unterarme durch die vorbeistreifenden Äste blutig wurden, als ich mich durch die Zweige hindurchgekämpfte. Als ich meine Augen wieder öffnete, blendete mich das gleissende Licht. Es war ein starker Kontrast zu dem dunkeln Wald und ich legte schützend eine Hand vor diese. Nun fühlte ich aber, wie etwas Blut an meiner Stirn kleben blieb.
Aber egal, ich konnte mich nicht darauf fokussieren. Ich musste sie finden! Von dem Hügel, auf dem ich mich befand, blickte ich mich suchend um. Und plötzlich hatte ich sie gesehen. Gleich hinter einem kleinen Haus hatten sie sich versteckt, aber ich sah, wie ein brauner Haarschopf noch hervorlugte. Langsam schlitterte ich den Hügel hinab und schlich mich leise zur Hütte heran. Ich hörte ein leises Geflüster, sie waren schon unruhig und fragten sich wohl, wo ich war, als ich mit einem lauten «Whaaaa!» um die Ecke gerannt kam. Eine Gruppe von Kindern sprang auf und wildes Gekreische war zu hören. Schnell versuchten sie mir zu entkommen, aber ich wusste, dass sie keine Chance hatten. Fast hätte ich eines der Mädchen an der Schulter berührt, ich hatte schon meine Hände nach ihm ausgestreckt, als ich plötzlich einen Schrei hörte. Schnell schauten wir uns um, versuchten, den Schrei zu lokalisieren. Einige Schritte von mir entfernt lag ein Mädchen auf dem Boden, in der Hitze des Gefechts musste sie wohl gestolpert sein. Wir eilten zu ihr und umkreisten sie.
«Anna, geht es dir gut?», fragte eines der jüngeren Buben sorgenvoll.
Sie begann zu weinen und die anderen berührten sie vorsichtig an der Schulter, und murmelten ihr ermunternde Worte zu.
Ich hingegen stand stocksteif da, etwas hatte nämlich meine Aufmerksamkeit voll und ganz in Anspruch genommen: Was war das dort auf ihrem Knie? Was war diese dunkelrote Substanz, die von ihrem Bein hinablief und ins Gras tropfte, welches davon schnell aufgesogen wurde und nur eine dunkle Kruste hinterliess?
«Anna?» Meine Stimme war etwas gebrochen, zum einen fürchtete ich mich in einer gewissen Weise vor dieser Flüssigkeit und zum anderen machte sie mich neugierig.
«Anna, was ist das?»
Ich zeigte auf ihr Knie. Das Mädchen blickte erstaunt zu mir hoch.
«Das ist Blut, was sonst?», erwiderte einer der Jungs an ihrer Stelle.
«Blut? Aber... warum ist es rot?»
Mein Herz begann zu klopfen.
«Wie sieht dein Blut denn aus?»
«Ja, was hat dein Blut denn für eine Farbe?»
Neugierige Blicke durchbohrten mich von allen Seiten. Das aufgeschürfte Knie war längst vergessen.
«Und was ist das auf deiner Stirn und auf deinem Arm? Ist das Dreck? Oder Harz? Oder ist das dein Blut?» Vorsichtig trat ich einen Schritt zurück. Ich hatte ganz vergessen, dass ich mich verletzt hatte. Ich konnte nicht antworten, sondern starrte sie nur mit geweiteten Augen furchtvoll an.
«Ja, Aurora, was ist das?»
Ich drehte mich um und ergriff die Flucht.Ich riss meine Augen auf und setzte mich im Bett auf. Mein Nachthemd klebte an meinem Rücken. Mit der Hand fuhr ich mir über meine Stirn, um mir den Angstschweiss abzuwischen. Verdammt. Nicht schon wieder dieser Traum.
Verschlafen sah ich mich in meinem kleinen Zimmer um und versuchte immer noch, mir selbst klar zu machen, dass ich nur geträumt hatte.
Die aufgehende Sonne schien durch das Fenster und tauchte mein Zimmer in ein angenehmes Licht. Immer noch etwas verwirrt schlüpfte ich aus meiner Bettdecke und stand mit meinen nackten Füssen auf dem Boden. Sofort spürte ich die eisige Kälte, die mich auf einen Schlag zurück in die Realität brachte. Es war November und überall eisig kalt, ausser im Bett und neben dem Kamin. Dabei würde mit dem Winter die wirkliche Kälte erst noch kommen. Der Drang, sich zurück ins Bett zu legen war gross, aber ich riss mich zusammen.
Die Arbeit würde sich ja schlecht von selbst erledigen. Mit zusammengepressten Lippen erinnerte ich mich an die Tage, an denen mir das egal gewesen war und ich tatsächlich noch einmal zurück ins Bett gestiegen bin. Nein, heute war mir nicht danach, wieder bis spät in die Nacht im Stall zu schuften, um mein Schläfchen am Morgen wieder wett zu machen. Vor allem ging ich dann an dem Tag noch später ins Bett als sonst und am nächsten Tag war es dann noch schwieriger, aufzustehen. Ein Teufelskreisauf.Mit einem Seufzen erhob ich mich also und tapste zu meinem Schrank. Nachdem ich mir die Kleider für den Tag herausgesucht hatte - viele besass ich nicht wirklich -, betrat ich unser kleines Badezimmer. Ich duschte kurz, da ich nicht viel Wasser verschwenden wollte. Naja, das war es nicht wirklich. Der Grund war einfach, dass das Wasser eiskalt war. Wäre es auch nur etwas wärmer, würde ich wahrscheinlich mein ganzes Leben darunter verbringen.
Nachdem ich meine Haare etwas durchgekämmt hatte und sie sich nicht mehr so anfühlten, als ob es ein gutes Habitat für ein Vogelnest wäre, streifte ich mir meine Kleider über und lief die Treppe hinunter. Jeder Schritt gab ein Knarzen von sich, erstaunlicherweise war aber jedes davon in einer anderen Tonart, würde man auf die richtigen treten, könnte man sogar ein Lied daraus machen. Ein sehr schräges, versteht sich, aber immerhin.Am Ende der Treppe blieb ich kurz stehen und horchte, doch ausser meiner Atmung und einer Holzdiele, die aus irgendeinem Grund, der hoffentlich nicht Ratten hiess, knackte, war nichts zu hören. Erleichtert atmete ich aus. Immerhin schlief meine Mutter noch. Das konnte sie auch wirklich gebrauchen.
Meine Mutter war krank und ich konnte sie kaum dazu bewegen, überhaupt noch etwas zu essen. Deswegen musste ich mich schon seit einiger Zeit ganz alleine um den Hof kümmern. Denn Geschwister hatte ich keine und mein Vater... ja, über meinen Vater wusste ich nichts. Gar nichts. Das einzige, was ich über ihn wusste, war, dass ich einmal einen Vater gehabt hatte. Aber das war auch schon alles. Und ich wusste, dass er tot war.
Das einzige, was ich mir zusammendichten konnte, war, dass, was auch immer mit ihm geschehen war, länger her sein musste, denn ich konnte mich nicht an ihn erinnern. Kein Lächeln, keine Stimme, nicht einmal seine Konturen. Nichts. Denn die einzige Person, die mir etwas über meinen Vater sagen konnte, war meine Mutter. Aber sie weigerte sich standhaft, etwas über meinen Vater zu sagen.
Früher hatte ich es noch öfters gewagt, Fragen über ihn zu stellen. Oder über irgendetwas aus der Vergangenheit. Aber sogar ganz einfache Fragen wie «Wie war denn deine Kindheit gewesen?», beantwortete sie mir nicht. Jedes Mal hatte sich daraufhin Mutters Gesicht verhärtet und sie hatte sich mir gegenüber völlig verschlossen.
Was auch immer in der Vergangenheit passiert war, es musste schrecklich gewesen sein. Und es musste mit der Farbe unseres Blutes zusammenhängen.Ich betrat die Küche, wohl überflüssig, zu erwähnen, dass auch sie klein war. Ich goss mir ein Glas frische Milch ein und schnitt mir eine Scheibe Brot ab. Mit einem Messer verstrich ich etwas Butter darauf und biss genussvoll hinein. Obwohl es nur Brot und Butter war und obwohl ich es jeden Tag ass, mochte ich es doch sehr. Das knusprige Brot, die weiche Butter... irgendetwas daran löste einfach ein wohliges Gefühl von Geborgenheit in mir aus.
Der Schnee knirschte unter meinen Stiefeln, als ich kurz darauf aus dem Haus trat. Ich atmete die kalte Luft tief in mich ein. Beim Ausatmen bildete sich eine kleine Nebelwolke. Ein kurzer Moment war ich davon abgelenkt, zu beobachten wie immer wieder solch ein Wölkchen aus meinem Mund trat und sich dann in Sekundenschnelle auflöste. Dieser kurze Moment reichte aus, damit ich es mit meiner genialen Koordination auf die Reihe brachte, auszurutschen und auf den Boden zu fallen. Die Luft war gewaltsam aus meinen Lungen herausgepresst worden und schnell drehte ich mich auf den Rücken, um wieder besser zu Atem zu kommen. Für einen Moment lag ich da und starrte in den Himmel.
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Amber - Das Erwachen
FantasyNach dem Überfall auf ihr Haus wird Aurora ins Lager der Amalintas - der Beschützer der Welt - gebracht. Es stellt sich heraus, dass Auroras Blut, genau wie das Blut der Amalintas, die Farbe von Bernstein hat, was ihnen übernatürliche Kräfte verleih...