Kapitel 32

104 11 3
                                        

Aurora

Danach konnten wir nicht mehr einschlafen, also beschlossen wir, einen Spaziergang zu machen. Wir schwiegen beide. Dieses Mal war es aber kein behagliches Schweigen, sondern ein unangenehmes, kaltes. Ich presste meine Lippen aufeinander, bis sie nur noch eine dünne Linie waren. Ich wusste, dass mir Aren etwas verheimlichte. Etwas, das mich eigentlich etwas anging. Und seinen Blicken nach zu urteilen wusste auch er, dass ich es wusste.
Es verletzte mich, dass er mir nichts davon erzählte. Ich konnte mich an nichts erinnern, was ich ihm absichtlich verschwiegen oder ihm nicht erzählt hatte, wenn er mich danach fragte. Bei seinen anderen Träumen war es mir nicht so wichtig gewesen. Dort war ich mir ziemlich sicher, dass sie über diese Armee waren. Ich wusste, dass er mir nichts von diesen Träumen erzählte, damit ich nicht beunruhigt war. Oder er träumte über seine Eltern. Das war wirklich sehr persönlich.
Aber das - das war etwas Anderes. Wie er mich gefragt hatte, ob ich nicht verletzt wäre. Was hatte das zu bedeuten? Ich gab mein Bestes, um mir nichts anmerken zu lassen. Leider war ich noch nie gut darin gewesen, meine Gefühle zu unterdrücken und meine Mimik unter Kontrolle zu haben. Wirklich nicht.
«Hör zu», begann Aren zu sprechen, «es tut mir leid, dass ich nicht über meine Träume spreche.»
Halte dich unter Kontrolle! Kontrolle! Ich presste meine Hände zu Fäusten zusammen. Dass er nun angefangen hatte zu sprechen, machte mich nur noch wilder.
«Es ist nur...»

Ich blickte ihn gereizt an. Nun konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich musste es rauslassen.
«Weisst du was?», sagte ich, «Es sind deine Träume. Und wenn du sie nicht mit mir teilen willst, ist das dein gutes Recht. Ich dachte, dass wir einander vertrauen können und ich dachte, dass wir einander alles erzählen. Aber wenn du das nicht so siehst...»

Ich beendete den Satz nicht. Er schien mit sich zu ringen, schwieg aber. Fassungslos blickte ich ihn an.
«Nichts? Gar nichts hast du dazu zu sagen?»
Ich rieb mir mit den Händen über die Arme.
«Ich glaube, ich gehe schon zurück. Mir ist kalt.»
Ich drehte mich zur Seite und lief los.
«Aber in dieser Richtung liegt doch gar nicht meine Hütte», rief er mir hinterher.

Ich blieb stehen und drehte mich um.
«Ich denke, ich schlafe heute bei mir.»
Als ich meine Hände auf dem Weg zu meiner Hütte wieder öffnete, glaubte ich, einen Funken Amber gesehen zu haben.

Den Rest der Nacht konnte ich kein Auge zumachen. Das Bett fühlte sich unbequem und kalt an und ich vermisste Aren neben mir. Auch wenn ich es mir selbst noch nicht ganz eingestehen konnte, bereute ich, was ich zu ihm gesagt hatte. Es war etwas wirklich Intimes, nicht nur die Träume über seine Eltern, sondern alle Träume und er würde schon seine Gründe haben, warum er es mir nicht erzählen wollte.
Denn, auch wenn er mir schon unglaublich vertraut vorkam: Wir kannten uns noch nicht so lange.
Aber trotz meines heimlichen Eingeständnisses, dass ich falsch lag, blieb ich im Bett liegen und ging nicht zu ihm. Vielleicht hatte er es ja geschafft einzuschlafen und da wollte ich ihn nicht stören.
Doch das war nicht der eigentliche Grund, ich hatte ihn ja schon mal mitten in der Nacht aufgeweckt, nur damit er mit mir schwimmen gehen würde. So viel lag mir nicht an seinem Schlaf. Es war mehr mein Stolz, der mich aufhielt. Einzugestehen, dass ich falsch gehandelt hatte, war nicht ganz einfach für mich.
Und obwohl ich wusste, dass es falsch war, war ein Teil von mir immer noch etwas beleidigt und enttäuscht, dass er mir seine Träume nicht anvertraute.

Die Sonne ging auf und ihr Licht erfüllte langsam das Zimmer. Ich sass aufrecht im Bett und schlang meine Arme um meine Knie. Ich dachte darüber nach, wo ich mich ziemlich genau vor einem Jahr befunden hatte. Ich wusste selbst nicht, wie ich auf diesen Gedanken gekommen war. Wahrscheinlich wollte ich mich unbewusst ablenken.

Es würde nun nur noch wenige Tage gehen, bis meine Mutter und ich von dem Ragonok angegriffen wurden. Aber nun war ich noch damit beschäftigt, mich um den Stall und meine Mutter zu kümmern. Damals dachte ich, dass mein Leben für immer so bleiben würde. Meine grösste Sorge war es, dass sich der Zustand meiner Mutter verschlechterte.
Ich hatte mich nie gefragt, ob mir das Leben, in dem ich mich befand, gefiel. Ich hatte es einfach hingenommen.
Nun berührte ich den Anhänger. So viel hatte sich seither verändert. Ich versuchte, mich wieder an meine Vergangenheit zu erinnern, was ich jeden Tag getan und auf was ich mich gefreut hatte.
Aber durch die Berührung meines Anhängers war mir klar geworden, dass ich es jetzt nicht mehr weiter hinauszögern sollte. Ich musste mich entschuldigen.

Ich klopfte an die Tür und öffnete sie. Aren stand beim Fenster und blickte hinaus. Leise schloss ich sie wieder. Etwas unbeholfen lehnte ich mich dagegen. Mein Körper verkrampfte sich, als wollte er mich daran hindern, die Worte auszusprechen. Auch mein Geist schien merkwürdig vernebelt und nur mit Mühe konnte ich in meinem Kopf die kommenden Worte aussprechen und nur mit Mühe konnten sie meinen Mund verlassen.
«Ich wollte mich entschuldigen», presste ich heraus.
Er sah mich an, aber ich konnte nicht erkennen, wie er sich fühlte. Wütend? Erleichtert? Traurig? Also sprach ich weiter:
«Mir ist nun klar geworden, dass ich nicht von dir verlangen kann, etwas so Privates und intimes wie Träume zu teilen. Wenn du mit mir darüber sprechen willst, dann kommst du schon auf mich zu. Ich habe kein Recht, dich zu bedrängen.»
Dann fügte ich noch hinzu:
«Es tut mir leid.»
Er nickte.
«Ich weiss, dass du mir nur helfen willst. Aber ich bin einfach noch nicht so weit. Vielleicht eines Tages. Du musst verstehen, dass es einen Teil von mir gibt, den ich möglicherweise nie irgendjemandem anvertrauen werde.»
Ich nickte, erleichtert, dass er nicht wütend war und lächelte vorsichtig. Gespannt sah ich ihn an. Seine Gesichtszüge entspannten sich auch und seine Lippen formten ein Lächeln.
«Das muss sehr schwierig gewesen sein, dich zu entschuldigen. Ich kenne dich und deinen Stolz. Ich glaube, Aurora Arya Korshua, dass das deine erste Entschuldigung gewesen ist.» Erleichtert atmete ich aus.
«Glaub mir. Es war einfacher, jemanden vom Tod zurückzuholen als das. Und geniesse es. Wahrscheinlich war es meine letzte Entschuldigung an dich. Für gewöhnlich habe ich nämlich immer recht.»

In dieser Nacht schliefen wir wieder gemeinsam. Ich schmiegte mich näher an ihn als sonst. Seine Wärme und seinen gleichmässigen Atem beruhigten mich und so driftete ich bald in einen tiefen und erholsamen Schlaf ab.

Amber - Das ErwachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt