Ansicht: ESRA 》32

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Cem ist mehr als nur am Boden zerstört. Seit einer Woche ist es jetzt her, dass die Neuigkeit mit Albin verkündet wurde. Die Beerdigung fand in der Heimatstadt von Fatlum und Albin in Albanien statt. Cem wollte unbedingt mit, doch seine Mutter und ich haben alles dafür getan, dass er hier bleibt. Ich selbst war nur geschockt. Tränen für Albin konnte ich nicht vergießen. Ich hatte nicht viel mit ihm zu tun, dennoch traf mich das Ereignis mitten ins Herz. Fatlum und Cem so leiden zu sehen, bricht mir nochmehr das Herz. Albin hat den Tod nicht verdient. Kein bisschen. Doch was will man dagegen tun? Man kann nichts machen. Es kommt, wenn Allah es so will. Und Allah wollte es. Möge Albin ins Paradies geschickt werden.
Die Lage zwischen mir und meiner Familie hat sich ein bisschen gelegt. Sie meinen es wohl ernst, dass sie nichts mit mir zu tun haben wollen. Früher oder später werden sie mich vermissen und sich bei mir melden. Da bin ich mir sicher. So ein bisschen.

"Guten Morgen", Cem gibt mir einen Kuss auf die Wange. "Wir haben schon Mittag." Ich zeige auf die Uhr in der Küche. "Oh", sagt er nur und verschwindet ins Bad. Ich atme tief ein und aus. Nachdem Cem frisch geduscht aus dem Bad kommt, kommt er wieder zu mir. "Wir fahren heute wieder zurück", - "Aber das geht nicht, Cem! Was ist denn mit meinen Eltern?"

"Was soll mit deinen Eltern sein? Die wollen doch nichts mehr mit dir zu tun haben. Warum rennst du ihnen noch hinterher?" Cem hat Recht. Ich lehne mich zurück und Cems Mutter kommt hinein. "Wir fahren heute wieder nach Köln", sagt Cem zu ihr und ihre Augen weiten sich auf. "Heute schon?" Man kann Trauer in ihren Augen definieren. Cem nickt. "Könnt ihr nicht noch länger bleiben?" "Nein das geht nicht." Cems Mutter sagt nichts mehr. Anscheinend weiß sie, dass es nichts bringt darauf herumzureiten. Gegen Abend packen wir unsere Sachen ein und gehen die Treppen nach unten. Draußen gewittert es. "Bleibt noch, bis das Gewitter aufgehört", bittet Cems Mutter uns. Doch Cem weigert sich. Mit seinen Gedanken ist er ganz woanders. Wir packen schnell unsere kleinen Koffer ins Auto und gehen nochmal nach oben. Langsam und lange verabschieden wir uns von Azra und Cems Mutter. Bevor wir wieder die Treppen nach unten gehen, bleibe ich automatisch stehen. Ich blicke zu meinem alten Zuhause. "Cem ich kann nicht gehen", langsam kommen mir die Tränen. Cem läuft die paar Treppen die er runter gelaufen ist wieder hoch. "Es bringt nichts", meint er nur. Ich blicke wieder zur Türe und habe das Gefühl, dass jemand am Spion schaut. "Ich muss mich verabschieden." Sage ich unter Tränen und klopfe an der Türe. Ich weiß, dahinter steht jemand und beobachtet uns. Und ich kann mir auch vorstellen wer es ist. Ich blicke direkt ins Spion und sage: "Papa ich liebe dich." Hoffnungsvoll warte ich bis er die Türe aufmacht, doch keine Reaktion. Traurig widme ich mich wieder zu Cem. Er nimmt meine Hand und führt mich nach draußen ins Auto. Ich bin nicht mal in der Lage mich anzuschnallen, so sorgt Cem dafür. Im Auto herrscht durchgehend schweigen. Nur manchmal hört man mein Schluchzen und sieht wie Cem sich kurz danach mit der Hand durch die Haare fährt.

Die Familie ist das einzige was man besitzt, und das hat mir nun auch weggenommen. Zuerst meine Sehnsucht, dann meinen Stolz und nun meine Familie. Ich habe nur noch Cem. Ich blicke zu ihm. Langsam gehe ich wieder mit meinen Augen auf die Straße. "Können wir vielleicht kurz anhalten?" Frage ich und bemerke seinen Blick an mir. Cem antwortet nicht. Bei einer Tankstelle hält er an. Er wartet bis ich aussteige, doch ich rühre mich nicht. "Und weshalb sollten wir jetzt anhalten?" Fragt er leicht genervt. Ich zucke mit der Schulter und taste mich nach dem Gurt. Ich schnalle mich ab und steige aus. Cem macht das gleiche. "Ich geh kurz auf die Toilette." Meine Beine tragen mich Richtung Tanke, doch mein Kopf ist wo ganz anders. Ich höre Schritte hinter mir und kurz danach spüre ich Cems Hand an meiner. Zusammen gehen wir hinein und suchen die Toilette ab. Als wir sie gefunden haben, gehe ich hinein und Cem wartet draußen. Ich gehe kurz aufs Klo und wasche mir meine Hände. Ich stelle den Hahn ab und schaue mich im Spiegel an. Ich sehe kaputt aus. Blaue Ringe unter meinen Augen. Wie kann Cem mich nur so anschauen? Plötzlich umgibt mich eine Übelkeit und ich renne schnell wieder aufs Klo und übergebe mich. "Esra, alles okay?" Höre ich Cem rufen, doch ich kann nicht antworten. Die Türe wird geöffnet und Schritte kommen auf mich zu, erst langsame dann schnelle. Wieder muss ich mich übergeben, während Cem mir meine Haare zurück hält. Als ich denke, dass es vorbei ist, nehme ich ein Stück Klopapier und wische mir den Mund ab. Ohne Cem in die Augen zu schauen gehe ich wieder zum Waschbecken und spüle mir den Mund aus. Als ich fertig bin, nimmt Cem meine Hand und führt mich nach draußen. Am Parkplatz angekommen, lehnt er mich an seinen Auto an und legt seine Handfläche um meine Wange. Dann an meiner Stirn. "Du hast Fieber", meint er. "Leg dich hinten rein und ruh dich aus." Er öffnet die hintere Türe und hilft mir hinein. Er steigt ebenfalls ein und lässt den Motor aufheulen. Meine Augenlieder fallen immer wieder zu, doch ich möchte nicht schlafen. Irgendwann döse ich trotzdem ein.

Geheimnisvolle LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt