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Ich hätte damit gerechnet, dass Esras Eltern mich eigenhändig umbringen würden. Doch stattdessen ist Ignoranz im Spiel. Und das ist viel schlimmer. Ich weiß nicht mal genau wie ich mit der ganzen Situation klar kommen soll. Immerhin habe ich eine Ehe zerstört, auch wenn mir Esra immer wieder klarmachen will, dass nicht ich an dem ganzen Schuld sei. Esra tut mir einfach so verdammt leid. Sie hat ihre Familie verloren, meine Familie hält wenigstens noch zu mir. Doch nicht nur diese Sache zwischen Esra und mir schwirrt in meinem Kopf, auch um Albin mache ich mir Sorgen. Er hat mir versichert, dass alles in Ordnung ist und er nur einen Asthmaanfall hatte. Doch ich denke, nicht nur das war der Grund. Als er an dem Tag zu mir kam, hatte er mit dem Finger nach draußen gezeigt und "Die Jungs" gesagt. Nur wen meint er damit?
Immerhin, ich bin froh, dass alles mit ihm in Ordnung ist und konzentriere mich jetzt ersteinmal auf Esra und mich.

"Wollen wir raus?" frage ich Azra, doch sie ignoriert mich. Ich verdrehe die Augen und setze mich zu ihr auf den Boden. "Azra?" Sie spielt weiter mit ihrer Barbie. "Azra?" Soviel zum Thema. Ignoranz ist echt die größte Provokation. Ich reisse ihr die Barbie aus der Hand und sie schaut mich sofort entsetzt an. "Was ist los mit dir?" Sie ignoriert mich und reisst nun mir die Barbie aus der Hand. Ich atme mal tief ein und aus, und komme zu dem Entschluss sie einfach in Ruhe zu lassen. Ich stehe auf und gehe in die Küche, wo meine Mutter gerade essen macht. "Weisst du wo Esra ist?" frage ich sie und setze mich auf eins der Stühle. "Sie ist etwas raus." antwortet sie mir und fängt an das Gemüse zu schneiden. Ich nicke langsam in mich hinein und überlege wie das ganze eigentlich weiter gehen soll.

Was wird aus mir und Esra werden? Werden wir es schaffen? Ein Leben zusammen aufbauen? Kinder bekommen?

Soviele Fragen und keine Antworten. Man kann eben nicht in die Zukunft blicken.

Tock. Tock. Jemand klopft an der Türe und ich stehe auf und mache sie auf. Esra steht vor mir und geht hinein. "Alles okay?" frage ich und sie nickt nur. Sie zieht ihre Schuhe aus und geht in die Küche zu meiner Mutter. Die beiden fangen sofort an sich miteinander zu unterhalten und ich möchte nicht dazwischen funken und gehe somit wieder zu meiner kleinen Schwester. Doch diesmal ist meine Geduld am Ende. Ich trage sie hoch und setze sie auf ihren Schreibtischstuhl, der einmal Cengiz gehört hatte. Sofort fängt sie an zu meckern und ruft nach unserer Mutter. Doch ich schaue sie funkelnd an und sage sie solle damit sofort aufhören, und siehe da, sie ist leise. Sie will vom Stuhl runterrutschen und weiter mit ihren Spielsachen spielen, doch ich nehme sie nochmal und setze sie wieder auf den Stuhl. "Schau mich an", sage ich und sie guckt mich traurig mit ihren hellblauen Augen an. "Was hast du denn?" frage ich diesmal ruhiger. "Ist es, weil Cengiz und ich einfach weg sind?" sie schaut mich noch immer an und antwortet nicht. "Azra?" jetzt fängt sie an zu nicken und ihr Gesichtsausdruck wirkt noch trauriger. "Ich bin ganz alleine", flüstert sie und ich bemerke wie ich langsam Mitleid mit ihr bekomme. "Hast du keine Freunde?" frage ich. "In der Schule?" - "Die ärgern mich alle." antwortet sie und nun fängt sie an zu weinen. "Und du bist auch weg. Und Cengiz auch." Ich nehme meine kleine Schwester in den Arm und sage, dass alles gut wird. Danach scheint sie mehr als nur erleichtert zu sein und fängt an mit mir zu spielen. Sie vermisst uns nur so sehr. Verständlich.

Nach dem wir gegessen haben, gehen wir alle auf dad Balkon und es herrscht eine unangenehme Stille. Esra schaut immer wieder auf das Balkon ihrer Eltern und senkt dann wieder den Blick. Langsam bekomme ich von dem ganzen nur noch Kopfschmerzen. Ich schaue kurz zu meiner Mutter, die sich eine Zigarette anzündet und seelenruhig raucht. Dann blicke ich wieder zu Esra, die plötzlich den Boden mehr als nur interessant findet. Ich nehme ihre Hand in meine und sie schaut kurz zu mir hoch. Ich lächle sie an, doch von ihr kommt keine Reaktion. "Ich bin froh, dass du wenigstens mich nicht verlässt, wegen all dem." sage ich und starre auf unsere Hände die zusammengeschwirrt sind. "Ich hab das alles auch nur für dich getan", antwortet sie trocken. Ich blicke kurz zu meiner Mutter, doch sie tut so, als würde ihr das Gespräch kein bisschen interessieren. "Mama, was hältst du von der ganzen Sache?" frage ich sie und sie blickt zu mir. "Was ich davon halte?" fragt sie. "Was soll ich davon halten? Was man nicht alles für die Liebe tut, nicht wahr?" Sofort schaut Esra meine Mutter an und schluckt schwer. "Man gibt so einiges auf, für die Liebe des Lebens. Ich kann euch nicht versprechen, dass ihr es mal nicht bereuen werdet." langsam bekomme ich selbst ein mulmiges Gefühl. Würde das irgendein Fremder sagen, wäre es mir egal. Doch die Worte kommen von meiner Mutter, und deshalb mache ich mir wirklich langsam Gedanken. Sie hat Recht. Was ist, wenn aus uns nichts wird? Okay, ich habe meine Familie, ich hab ein Zuhause. Aber Esra? Sie wäre ganz alleine!

Geheimnisvolle LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt