Prolog

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[ YURIS ]

Yuris Tripan war ein einfältiger junger Bursche. Er liebte es Verbote zu ignorieren und Grenzen zu überschreiten. Aber vielleicht war es genau das, was ihm sein Leben rettete, denn als er sich in der schützenden Dunkelheit zurück in seine Siedlung schleichen wollte, war diese nichts mehr als ein Haufen glühender Asche und seine Bewohner ein Berg von Kadavern- allesamt mit verkohlten Augen. Schon von weitem hatte er eine Rauchsäule gesehen, die ihn stumm vor einer Gefahr gewarnt hatte, doch als diese langsam erloschen ist, hatte er sich dem besagten Ort genähert.

Hätte er doch nur gewusst, dass es sein Dorf war. Seine Heimat.

Ungläubig starrte der Junge in die ausgebrannten Höhlen der Augen seiner Schwester, bevor er sich erbrach. Keuchend und japsend sank er auf die Knie, stieß einen erbärmlichen Schrei aus und starrte schließlich auf den Platz an dem sein Haus gestanden hatte. Erdrückende Leere machte sich in seinem Herzen breit. Glühende Trümmer brachen zusammen und tausend Funken stoben gen Himmel.

Alles weg.

Weg. Weg! WEG!

Das Wort wiederholte sich in seinem Kopf wie ein Kanon, bis es ihn irgendwann so laut anschrie, dass er dachte sein Kopf zerplatze gleich, aber dann war nur noch ein einziges Wort, eine Mission vor seinem inneren Auge zu sehen: Rache.

Blind vor Wut sprang er auf und suchte das ganze Dorf ab. Irgendwo musste der Mörder seine Spuren hinterlassen haben. Ein Zeichen, irgendwas...

Seine Gedanken rasten und der blinde Hass flammte heiß in ihm auf.

Vorsichtig hob Yuris den Schutt an, vergrub seine Hände in Bergen von Asche und verbrannte sich mehrmals seine Hände, Arme und sein Gesicht, doch der Erfolg blieb aus. Der Geruch von Tod und Verwesung hing dick wie Wolle in der Luft und stach in seinem Hals.

Und zurück bleibt nichts als Asche und Rauch. Genau wie ihre Herzen. Eine Hülle aus Glas, in deren Inneren sich die Flammen der Zerstörung züngelten.

Die Worte seiner Mutter hallten wie ein Echo in seinem Kopf wieder. Er erinnerte sich an die Geschichte, die sie ihm und seiner Schwester erzählt hatte, sobald sie sich den Zündhölzern genähert hatten. Diejenigen, die mit dem Feuer spielten, die würden schon bald ein Herz aus Glas, Feuer und Rauch besitzen und überall wo sie hingehen, bliebe Zerstörung und Asche zurück.

Entmutigt stieß der Junge erneut einen kläglichen Schrei aus. Yuris streckte seine Hände gen Himmel und schrie zu den Göttern, die das alles zugelassen haben. Dieselben Göttern die, wie er gelehrt wurde, Liebe spenden sollten, doch stattdessen nahmen sie ihm alles, sein Dorf, sein Haus...seine Familie.

Kraftlos lies er seine Arme wieder sinken. Nun konnte er nichts weiter tun, als den Menschen die ihm so vertraut waren die letzte Ehre zu erweisen. Mühselig stapelt er einen Holzscheit nach dem anderen, die er aus den Überresten der abgebrannten Häuser gesammelt hatte, um die Toten auf. Der Junge betrachtete sein Werk, bevor er in die Hosentasche griff und eine Schachtel Streichhölzer herausfischte.

Diejenigen, die mit dem Feuer spielten, die würden schon bald ein Herz aus Glas, Feuer und Rauch besitzen und überall wo sie hingehen, bliebe Zerstörung und Asche zurück.

Zögerlich kniete er sich nieder, nachdem er das Feuerholz angesteckt hatte, bevor er es vorsichtig auf das Büschel Gras legte, welches er zuvor gesammelt hat. Die Flammen übernahmen schnell die Kontrolle und fraßen sich rasch in die Haare und schließlich in das Fleisch der Verstorbenen. Yuris richtete sich wieder auf und ging einige Schritte zurück.

Mit leerem Blick sah er in das Gesicht seiner kleinen Schwester, während die Flammen bereits nach ihr leckten. Gierig griff das Feuer nach ihr und fast wäre er hin gerannt, um sie raus zu ziehen, doch er blieb stehen. Zwang sich dazu, seine Augen nicht von ihr loszureißen. Seine Augen verließen nicht die schwarzen Höhlen, so lange er sie noch erkennen konnte und das Feuer sie nicht ganz zerfressen hatte. Sobald sie nichts weiter als ein unerkennbarer schwarzer Körper war wandte er sich ab.

Die Flammen züngelten bereits hoch in den Himmel, dicke Rauchwolken stoben nach oben, Funken stoben in den Himmel wie Glühwürmchen und ein letztes Mal sah sich der Junge in den Überresten seines Dorfes um. Er erkannte die zusammengestürzte Werkstatt seiner Mutter, in der sie aus den Fellen Jacken und Teppiche hergestellt hat, die ihr Vater von den Tieren abgezogen, nachdem er sie zusammen mit anderen Männer erlegt, hatte. Wie oft wollte er mit seinem Vater auf die Jagd gehen, mit ihm durchs Unterholz kriechen und das Messer durch eines der Tiere stoßen. Doch er durfte nicht. Er musste mit seiner Schwester zur Schule und an den Wochenenden ging er lediglich mit auf den Markt von Ostren.

Die schwarzen Balken glichen abgebrannten Streichhölzern und die Hitze war so stark, dass Yuris ein paar Schritte nach hinten stolperte. Eine Rauchwolke wehte in Yuris' Richtung und hustend krümmte er sich. Sein Gesicht war schon rußverschmiert und die Verbrennungen, die er durch das Herumwühlen in der Asche erlitten hatte, brannten nun stärker. Schließlich öffnete er die Augen. "Du bist dem Tod geweiht, Mörder", zischte er und ließ den Blick über die verbrannten Überreste schweifen, die in den heißen Flammen untergingen.

Ein letztes Mal erblickte er den verkohlten Körper seiner Schwester, dann wandte er sich ab. Der Dunkelhaarige schlurfte nur langsam den Weg zurück in Richtung des Waldes aus dem er zuvor gekommen war. Kurz bevor er in der völligen Dunkelheit verschwand, blickte er zurück und begutachtete sein Werk. Die Flammen seines selbst errichteten Scheiterhaufens brannten nur noch klein und zerfraßen die letzten Körper. Yuris wollte bereits seiner Vergangenheit den Rücken zukehren, als er im Augenwinkel etwas aufblitzen sah.

Schnell drehte er seinen Kopf und machte sich kampfbereit. Konnte doch der erbarmungslose Schlachter noch einmal zurück gekehrt sein? Doch das Einzige dem er gegenüberstand war der Wald. Und eine silber aufblitzende Klinge keine zehn Meter von ihm entfernt.

Zögernd blickte sich Yuris um. Wo eine Klinge ist, ist immer ein Feind, hatte sein Vater ihm mal gesagt, doch er konnte weder jemanden hören, noch sehen. Also kroch er zu der Klinge und betrachtete sie. Sie war von der Spitze bis zum Heft blutverschmiert. Yuris wollte sich gar nicht ausmalen, wie die Klinge durch den Hals seiner Schwester gestoßen und ihr Blut die Klinge benetzt hatte. Zögerlich umfasste er das Heft und fuhr mit dem Finger über die blutverkrustete Schneide. An der Unterseite des Griffs waren zwei Buchstaben reingeritzt, die dem Jungen ins Auge fielen: N.W.

Das Poltern einstürzenden Mauerwerks ließ ihn herumfahren. Der Dachstuhl seines Hauses fiel in sich zusammen - die Balken waren ein Raub der Flammen geworden. Zurück blieb eine Wolke aus Asche und Staub. 

White SkullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt