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[VIPER]

In Udrium herrschte nun mehr reges Treiben. Die sonst so belebte Stadt legte sich mit der einbrechenden Dämmerung zur Ruhe und außer der lustigen Musik, die aus einigen Kneipen schallte, legte sich eine angenehme Stille über die Dächer der Großstadt. Vereinzelt konnte man angetrunkene Männer durch die Gassen taumeln sehen und hier und da fauchte eine streunende Katze in die scheinbar leere Dunkelheit.

Kaum einer bemerkte die drei Schatten die an den Hauswänden entlang huschten. Ihr Weg führte sie mehr oder weniger Zielstrebig zu dem größten Gebäude im Inneren der Kreisförmigen Stadt: der Palast.

Sie hatten den perfekten Zeitpunkt ausgewählt, um sich dem Palast zu nähern und ihren Plan durchzuführen. Die Menschen, denen sie begegneten, schienen sie entweder nicht wahrzunehmen oder aber sie scherten sich nicht um sie.

Die vorherigen Auseinandersetzungen der Gruppe beeinträchtigte in keinster Weise die Art in welcher sie arbeiteten. Sie waren Profis. Vollkommen lautlos schlichen sie sich durch die Gassen der Hauptstadt, vorbei an Bars, Herbergen und anderen Unterkünften. Vorbei an den protzigen Villen, die mehr und mehr in der Mitte der Stadtmitte auftauchten. Vorbei an Wohnhäusern, Parkanlagen und Plätzen, die allesamt leer waren.

Wind zog eisig an ihren Capes und eine dünne Eisschicht hatte sich auf den Stufen niedergelassen, die es schwierig machte, schneller voranzukommen, als sie vorhatten. Die Schneeschicht dämpfte ihre Schritte und das leise Knirschen verursachte eine Gänsehaut in Vipers Ohren. Scorpion lotste sie durch die Gassen und Straßen, immer darauf bedacht kein Aufsehen zu erregen. Die Türme des Palastes kamen näher und näher.

Und dann war sie da. Die Tür zum Inneren des gewaltigen Konstruktes. Unbemerkt gelangten sie nach innen. Es musste Palastwachenwechsel sein, denn um nach innen zu gelangen, mussten sie weder jemanden bewusstlos schlagen, noch begegneten sie einem in Rüstung bestückten Wachmann. Es klappte perfekt.

Die große Eichenholz Türe ächzte und stöhnte, als Viper sich dagegen stemmte und diese aufdrückte. Vorsichtig lugte er um die Ecke und winkte schließlich seine Begleiter zu sich in das prachtvolle Gebäude. Leise, aber schnell bewegten sie sich durch die hohen Gänge des Palastes - direkt hinter Scorpion, welcher bewusst die Führung übernommen hat.

Der braunhaarige Mann eilte so gezielt durch das scheinbar unendliche Labyrinth, dass Gemma, welche ihm so dicht wie möglich gefolgt war, ihn anrempelte und einen finsteren Blick seinerseits erntete, als dieser plötzlich stehen blieb. "Was?", zischte sie, doch Scorpion legte nur einen Finger auf seine Lippen und wies auf eine Tür vor ihnen, keine fünf Meter entfernt. Sie verstanden was er meinte und eilten so leise wie möglich in das dahinter liegende Zimmer.

Die Wachen, die Scorpion noch vor allen anderen gehört hatte, kamen näher und durch die Rüstung die sie trugen wusste man auch, dass sie rannten, da diese bei jedem Schritt den sie taten laut schepperte. Eilig sahen die drei Gestalten sich um, doch außer ein paar Regalen und einem Tisch war der Raum leer. Keine Möglichkeit sich zu verstecken.

"Schnell! Hier durch!", raunte Scorpion, der eine Balkontür offen hielt. Verwirrt sahen sich Gemma und Viper an. Auf dem Balkon saßen sie genauso fest wie in dem Zimmer und beide dachten eigentlich daran, die heraneilenden Wachen auszuschalten. Doch als ihr Freund sich auf das Geländer stellte und schließlich verschwand, folgten sie ihm.

Entsetzt sahen sie hinunter und erwarteten schon Scorpion mit verdrehten Körperteilen und Blutüberströmt auf den weißen Marmorplatten zu sehen, doch stattdessen sahen sie nichts. Es war als wäre er wie vom Erdboden verschluckt.

"Kommt runter!", wisperte Scorpion. "Bist du irre? Willst du uns wieder umbringen?!", zischte Gemma zurück, doch das Klopfen an der Tür, durch welche sie gekommen waren, ließ sie aufschrecken.

Drei Wachen stürmten schließlich in den Raum, doch dieser war bis auf ein paar Regale und einem Tisch leer. "Ich schwöre es euch! Hier war jemand! Ich hab doch die Schatten gesehen!", verteidigte sich ein relativ junger Wachmann, welcher von seinen älteren Kollegen streng angesehen wurde. "Hör zu Junge. Diese Gemäuer sind alt. Vielleicht hast du ja nur ein Gespenst gesehen.", spottete der eine und stimmte mit seinem Kollegen in lautstarkes Gelächter ein.

Die beiden älteren verließen den Raum und ließen den Frischling zurück. Er war sich so sicher gewesen drei Schatten hier rein gehen gesehen zu haben und wollte sich endlich beweisen, doch stattdessen war er nur wieder zum Gespött der anderen geworden. Mit einem letzten Blick in den Raum verschloss er wieder die Tür und verpasste den wehenden Vorhang, welcher durch die vom Wind aufgestoßene Balkontür flatterte.

"Puh, das war knapp.", flüsterte Viper.

Sie hatten sich an das Weinrebengitter geflüchtet und klammerten sich nun zehn Meter über dem Boden daran fest, um nicht in den Tod zu stürzen.

"Beeilt euch. Das Gitter wird uns nicht ewig halten.", meinte Scorpion und begann an der Außenwand des Palastes hoch zu klettern. Seine fingerlosen Handschuhe schützten ihn vor Spreiseln.

Flink und vollkommen geräuschlos hangelten sich die drei dunklen Gestalten an der weißen Palastmauer nach oben. Ihre Füße fanden automatisch die Einkerbungen und Vertiefungen in der Steinmauer und schnell hatten sie sich drei Etagen nach oben gearbeitet. Gespickt mit Statuen und bunten Blumen lag unter ihnen ein Teil des Palastgartens.

Ein Kratzen durchschnitt die Stille der Nacht und als Gemma hochblickte, sah sie Vipers Finger, die geschickt das Schloss knacken. Kurz darauf drückte er das Fenster auf und die drei Gestalten huschten in das Innere.

Es war dunkel. Der Mond hatte sich hinter den Wolken versteckt und somit holte Viper eine kleine flache Scheibe aus seiner Hosentasche, die er zweimal antippte, woraufhin sie sich in die Luft erhob und ein silber-blaues Licht ausstrahlte. Scorpion und Gemma taten es ihm nach und keine Minute später standen die drei Schatten, getaucht in mondgleichendem Licht, auf einem Perserteppich, der den Holzboden eines großen Zimmers mit wuchtigen Steinmauern bedeckte.

Ein paar Sessel und kleine Tische waren über den Raum verteilt, der sich mehrere Etagen nach oben streckte und bis in die kleinsten Ecken mit Büchern gefüllt zu sein schien. Lange Leitern auf Laufrollen boten Zugang zu den obersten Büchern auf jeder Etage. Das hohe Buntglasfenster quietschte leicht, als ein Windhauch aufkam und die fliederfarbenen Samtvorhänge aufbauschte. Staubpartikel glänzten in dem silbernen Licht und mit einer fließenden Handbewegung deutete Scorpion an, dass sie sich aufteilen sollten.

Viper blickte kurz zu Gemma, die sich jedoch gedankenverloren in dem Raum umsah. Das weiße Licht der flachen Scheibe beschien ihr Gesicht von unten, ließ die Schatten unter ihren Wangenknochen deutlich hervortreten, sodass sie nun mehr als zuvor aussah wie ihr Bruder - Orion. Ihr Cape war leicht verstaubt und an den unteren Rändern vom Schnee noch feucht. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und mit einer schnellen Bewegung strich sie sich diese hinter die Ohren.

Mit einer Handbewegung signalisierte Scorpion den anderen, dass sie sich aufteilen sollten und verschwand, nachdem die beiden ihm zustimmend zugenickt hatten, zu der engen Wendeltreppe, die in die nächste Etage führte, wo er sich sofort in die Knie hockte und in der untersten Buchreihe zu Suchen anfing. Die flache Scheibe schwebte neben ihm und leuchtete auf die Buchtitel.

Kurz blickten sich Viper und Gemma an. Die Frau nickte kaum merklich und lief dann ebenfalls zu einem der Regale. Viper sah ihr nach, beobachtete ihre Bewegungen, ihre Vorsicht, mit der sie ihre Finger über die bunten Buchrücken streichen ließ und schließlich eins nach dem anderen stehen ließ.

Er hätte ihr ewig zuschauen können.

Wäre da nicht die Tür gewesen. Die große Eichenholztür, die sich unmittelbar hinter ihm öffnete und durch deren Spalt ein heller Lichtkegel in den Raum fiel.

Erschrocken drehte sich Viper um. 

White SkullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt