Die vor Angst geweiteten Augen des Jungen sahen sich panisch um. Die Bruderschaft hatte sich in der großen Kapelle versammelt und murmelte geheimnisvoll klingende Worte, die das Kind nicht verstehen konnte. Doch er wusste, es bedeutete nichts Gutes. Als die Stimmen immer lauter wurden, begann er am ganzen Leib zu zittern und ging langsam rückwärts durch die große Flügeltür, durch welche er in die Kapelle gelugt hatte, doch stieß gegen ein Hindernis.
Als er aufsah starrten ihn die dunklen Augen von Bruder Scias an, welcher die Arme vor der Brust verschränkt hielt und ein festliches Zeremoniegewand trug. Bunte Muster schlangen sich an dem hellgrauen Gewand nach oben und die drei Striche der Bruderschaft prangten golden auf seiner Brust.
"Nathaniel. Du bist genau richtig. Es wird Zeit Oleus endlich endgültig aus dir zu vertreiben."
Nathaniel schüttelte wild den Kopf. "Bitte nicht! Lasst mich endlich nach Hause gehen! Ich will zu meinem Papa!"
Doch das war Scias egal. Genauso egal wie das letzte Mal und das Mal davor und die unzähligen Male davor. Nathaniel wusste, dass sie ihn nicht eher gehen lassen würden, bevor sie nicht ihr Ziel erreicht hatten: Oleus, den Gott des Bösen, aus seinem kleinen Körper zu vertreiben. Koste es was es wolle.
Er hasste Scias und er hasste die Bruderschaft, die dabei zusah wie der fünfjährige Junge durch reihenweise verschiedenen Experimenten gequält wurde. Und er hasste die Götter, die zuließen, dass ihre Saat verdorrte und nichts als Kummer und Schmerz brachte.
"Der Junge ist böse und wenn ihr nicht wollt, dass er Unheil über das ganze Land bringt, lasst ihn hier und wir kümmern uns um das Problem."
"Er ist kein Problem! Und er wird auch nicht hierbleiben! Winston sag es ihnen!"
Winston sah erst in die dunkelbraunen Augen seiner Frau und dann in die kristallblauen seines einzigen Sohns: Nathaniel. Dieser sah treuherzig und unschuldig zu ihm auf und klammerte sich mit seinen kleinen Händen an das Hemd seines Vaters.
"Winston! Bitte! Er ist doch das einzige Kind das ich habe!"
Schweren Herzens seufzte er und übergab den Jungen an Scias - so hatte sich der Bruder vorgestellt, welcher eigentlich nur die Segnung vollziehen sollte - und sah auf den Boden.
"Tabitha, es tut mir leid. Aber als Clanführer muss ich tun, was für alle das Beste ist. Ich glaube ja auch nicht, dass er böse ist, oder jemals böse sein kann, aber was wenn doch? Ich meine du hast doch seine Augen gesehen, oder? Sie sind wunderschön grau aber manchmal strahlen so blau wie die von Oleus, als er aus den Tiefen der Finsternis emporstieg und das erste mal den Himmel erblickte. Keiner hat solche blauen Augen und keiner wechselt einfach so seine Augenfarbe. Es ist nicht normal. Und du kennst doch die Prophezeiung..."
Nathaniels Mutter konnte nicht glauben was sie da hörte. Ihr eigener Mann, der Vater ihres einzigen Kindes wollte seinen Sohn opfern, weil ein paar Priester aus Sihiri sagten, er sei von Oleus besessen? Sie war noch nie besonders gläubig gewesen, doch sie respektierte immer den Weg den ihr Mann einschlug, der vorgab, von den Göttern geleitet zu werden. Aber das ging zu weit.
"Ich verfluche deine Götter und wie sie dich denken lassen. Du bist keinen Deut besser als Oleus persönlich. Vielleicht solltest du dich einer Reinigung unterziehen. Und diese selbstgefälligen Glaubensbringer können gleich daran teil haben. Und jetzt gebt mir meinen Sohn zurück!"
"Tabitha, bitte...!", versuchte Winston seine Frau zu beschwichtigen, aber sie schenkte ihm keine Beachtung. Stattdessen kreischte sie laut auf. Scias hatte den Moment genutzt und den kleinen Jungen weggebracht.
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White Skull
FantasyDie White Skulls sind ein Clan, der im Verborgenen lebt und sich mit dem Erledigen von nicht ganz legalen Aufträgen den Lebensunterhalt sichern. Doch nicht alle Missionen sind einfach. Denn während die Mitglieder ihren Pflichten nachkommen, bahnt...