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[ORION]

Die Sonne stand am hellblauen Himmel und vom Meer erklangen die Stimmen von Händlern und Kapitänen, die ihre Männer und Matrosen aufs Schiff schickten. Orion lief durch die Straßen Hoplors, grüßte die alten Damen, die ihre Decke ausschüttelten oder ihre Wäschekörbe in den Hof trugen, um dort ihre Kleidung zum Trocknen aufzuhängen. Einige Kinder versteckten sich hinter Hauswänden und versuchten ihn zu erschrecken. Ein paar Mal gelang es ihnen und so rannten sie lachend weg, während Orion ihnen noch grinsend hinterherschaute.

Als Gemma und er von ihrer Mutter ausgesetzt wurden, hat sich eine ältere Dame – Miss Munson - um ihre Erziehung gekümmert. „Ihr seid vom Obergott Edur gesegnete Kinder", hatte sie immer gesagt und ihnen durch die Haare gewuschelt.
Sie lebten in Hoplor, glücklich und zufrieden, bis Miss Munson eines Tages spurlos verschwand. Gemma und Orion hatten bereits einen Job gehabt, suchten sie jedoch und stießen dabei mit Scorpion und Viper zusammen. Über einige Gespräche und Gemmas Neugierde, weshalb sich denn zwei Männer mitten in der Nacht im Wald aufhielten, gelangten sie schließlich zu den White Skulls. Und so nahm das Leben ihren Lauf und das Schicksal der Zwillinge änderte sich. Sie schlossen sich dem Clan an und lebten von da an unter Bryans Haus in der Höhle.

Da Miss Munson die beiden Sternenkinder aufgezogen hatte und nicht erziehungsberechtigt war, hatte sie das Haus nicht auf Gemmas und Orions Namen versichern lassen, sodass der König das Haus nach dem Tod der Frau versteuert hatte. Orion und Gemma blieb also nichts anderes übrig, sich bei den White Skulls einzuleben. Den Job behielten sie bei und das war auch gut so. Fast jedes Mitglied der White Skulls führte ein Doppelleben. Sie wussten von Scorpion, dass dieser, abgesehen von den Aufträgen, nur selten die Höhle verließ und Timbers, war auch die meiste Zeit nicht draußen unterwegs. Das Doppelleben bestand zum einen aus dem Leben im Clan und zum anderen aus dem Leben außerhalb. Dort hatten sie einen Job, bei dem man nicht Vollzeit beschäftigt sein musste, das könnte ja sonst zum Problem werden.
Und dass die Zwillinge bereits eine Arbeit hatten, war für Bryan der mitunter einzige Punkt gewesen, dass er sie im Clan aufgenommen hatte.

Als Orion um die nächste Ecke bog, sah er bereits den Rauch aus der Schmiede aufsteigen. Augenblicklich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Seit zehn Jahren arbeitete er nun schon in der Schmiede von Clavis. Der dicke Mann hatte ihn mit Freuden eingestellt und sie kannten sich schon so lange, dass er nichts dagegen hatte, als der Lockenkopf Viper dort ebenfalls einen Job besorgt hatte. „Sechs Hände sind besser als vier", hatte Clavis gesagt und Viper Handschuhe in die Hand gedrückt.

Was der Schmied aber nicht wusste war, dass Bryan wollte, dass Viper in Hoplor eine Arbeit findet, dass sie im Notfall ein weiteres Mitglied der White Skulls am Hauptquartier hatten. Seitdem ging Orion nicht mehr alleine zu Clavis – bis heute. Viper hatte die strikte Anweisung bekommen, seinen Arm zu schonen und auszuruhen. Erst hat er sich geweigert, doch als Grace ihm gedroht hatte, ihn ans Bett zu fesseln, ergab er sich. Orion ist nur grinsend rausgegangen und nun stand er vor der Schmiede.

Als Orion die Tür öffnete, schlug ihm die Hitze des Feuers entgegen, welches in dem großen und breit geöffneten Ofen brannte. Clavis schlug auf ein glühendrotes Stück Eisen. Es sprühte Funken und als er Orion sah, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Ein Lächeln trat auf seine Lippen. „Orion, wie schön dich zu sehen. Du kommst immer zur rechten Zeit."

„Freut mich auch dich zu sehen, Clavis. Viper hat sich die Schulter verletzt, er kann die nächsten Tage nicht kommen."

„Ach du Schreck, wie ist das denn passiert?"

Orion schüttelte den Kopf und hängte seine Jacke in einen kleinen Nebenraum. „Er hatte die grandiose Idee auf einen Baum zu klettern, um zu schauen, ob das Vogelhaus bewohnt ist." Der Lockenkopf lachte leicht und band sich seine Schürze um. „Naja, wie es auch kommen musste, der Ast ist unter seinen Füßen gebrochen und als er sich versuchte festzuhalten, hat er sich die Schulter ausgerenkt."

Clavis drückte den Blasebalg und schürte die Glut. „Viper ist schon ein eigenartiger Kerl. Aber dann müssen wir eben alleine die Bestellung bearbeiten."

Orion nickte. „Was gibt es dieses Mal?"

„Die königliche Garde braucht neue Waffen. Mindestens zweihundert Stück. Es soll sich um eine neuentwickelte Lasertechnologie handeln. Gestern am späten Nachmittag kam ein Bote vorbei und brachte mir Laserspulen, die die Energie für die Waffen lieferten. Wir sollen sie in den Griff einbauen und sobald man einen Knopf drückt, würde die Klinge mit Laser verstärkt werden."

Orion hob die Augenbrauen. „Klingt interessant und gefährlich. Bis wann sollen die Waffen fertig sein?"

„Spätestens in vier Tagen."

Orion zuckte zusammen. „Was? Aber diese Menge schaffen wir nicht in so kurzer Zeit."

„Das habe ich dem Boten auch gesagt, aber ihm war es egal. ‚Befehl der Majestät!' hatte er gesagt."

Orion strich sich durch die Locken, deren spitzen durch die Hitze schon leicht verschmitzt an seiner Stirn klebten. „Na gut, dann müssen wir eben eine Nachtschicht einlegen." Er lächelte dem Mann aufmunternd zu. „Ich helfe so lange ich kann."

Clavis wischte sich über die Stirn und zog dabei eine schwarze Spur über die Haut. „Hab' vielen Dank, Orion. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann."

„Es reicht, wenn du mir erzählst, warum der König so viele Waffen benötigt", meinte der Lockenkopf und fing an das Eisen zu klopfen, während Clavis die Laserspulen aus einer Kiste holte und sie ordentlich bereit legte.

„Ich habe gehört, dass sie den Gesandten suchen." Clavis' Stimme war gesenkt und die heiße Glut warf tiefe Schatten auf sein Gesicht.

„Den Gesandten?", fragte Orion verwirrt und ließ den Hammer niedersausen. „Wer ist das?"

Clavis fuhr herum. „Du kennst nicht die Prophezeiung?"

Orion hielt inne und ließ den Arm sinken. Langsam schüttelte er den Kopf.

„Die Prophezeiung der Götter besagt, dass sich irgendwann jemand aus der Dunkelheit erheben wird. Er soll die kristallblauen Augen von Oleus selbst haben und er wird über das Land gehen und alle töten, die ihm in die Quere kommen. Er soll die Rache von Oleus ausüben, die Oleus selbst damals nicht bekommen hatte, als er versuchte den Obergott Edur zu stürzen."

Orion hatte den Atem angehalten und blickte bestürzt zu dem Schmied. Er dachte, dass seine Mutter Gemma und ihm alles über de Glauben gelehrt und ihnen alle Geschichten erzählt hatte – doch wie es scheint, hatte sie einen Teil ausgelassen.

„Und der Gesandte läuft durch Elbjen?", fragte er.

Clavis nickte leicht. „Man munkelt es nur. Vielleicht ist es auch ein wilder Bär, der mal wieder zwei Jäger beim Schlafen in der Wildnis zerfleischt hat. Wer weiß das schon?"

Orion sah auf das heiße Stück Eisen vor sich, das bereits abgeflacht war. „Wie kann man den Gesandten besiegen?", fragte er schließlich.

Clavis sah Orion an, als hätte er seine Hand in die heiße Glut gelegt und gesagt, dass es das schönste Gefühl der Welt sei, während seine Haut verbrannte. „Wie man ihn...mein Junge, bist du des Wahnsinns?" Er legte die Laserspule aus der Hand und war mit wenigen Schritten bei dem Lockenkopf angekommen. Er packte Orions Schultern und schüttelte ihn kurz. „Oleus hat Besitz von dem Gesandten ergriffen. Ihn zu besiegen, dass...man kann keinen Gott besiegen."

„Aber steht dazu nichts in der Prophezeiung?" Orion legte seine Hände auf die des Schmieds und löste sie vorsichtig.

Mit angsterfüllten Augen schüttelte Clavis den Kopf. „Nein. Der Gesandte macht Jagd auf all jene, die von den Göttern gesegnet sind. Alle anderen wird er abschlachten und ein Blutbad hinterlassen. Das Ende ist offen. Niemand weiß was passieren wird. Angst und Dunkelheit werden das einzige sein, was noch herrscht."

Orion spürte, wie er Gänsehaut bekam. Er macht Jagd auf die Gesegneten der Götter. Orion stieß das glühende Eisen in einen Wassertrog, öffnete seine Schürze und stürzte aus der Schmiede. Er hörte noch, wie Clavis nach ihm rief, doch dann schlug die Tür hinter ihm zu und er rannte durch Hoplor, bis er das Haus auf dem Berg sehen konnte. 

White SkullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt