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[GEMMA]

Gemma stand in der Bar der Herberge, in der sie arbeitete und wünschte sich im Moment nichts sehnlicher, als in ihr Bett zu sinken. Die letzten Tage hat sie versucht Orion zu beruhigen, der noch immer wegen dem Auftrag der heiligen Schriften aufgebracht gewesen war. Seine Liebe und sein Vertrauen zu den Göttern war zu groß, als dass er es von einem zum anderen Tag hätte vergessen können.

Doch sie konnte sich nicht ausruhen, durfte es jetzt nicht. Ihr Auftrag lautete, Informationen zu beschaffen und wo gelang es einem einfacher, als in einer Bar, wo Menschen durch den Alkohol ihre Fassade fallen lassen und Geheimnisse ausplaudern, die nie hätten an die Öffentlichkeit geraten dürfen?

Gemma bekam viel mit in der Bar und deshalb hat Bryan auch darauf bestanden, dass sie auch heute dort arbeiten gehen sollte, obwohl sie einen kleinen Extraauftrag reinbekommen hatte. "Den kann Orion auch mit Viper erledigen. Wir brauchen Informationen. Die Zeit drängt und zu dieser Jahreszeit verreisen nicht viele, weshalb die Herberge auch so gut wie leer sein kann.", hatte Bryan gesagt und somit Orion in Vipers Obhut gegeben. Immerhin etwas, hatte Gemma isch versucht zu beruhigen. Sie wusste, dass Viper den Glauben ihres Zwillings verstehen konnte. Dass er Verständnis für das zeigen konnte, was niemand sonst verstand.

"Warum kommen ständig Garden des Königs durch die Dörfer?", fragte Gemma nun und trocknete einen großen Metkrug ab.

Die alte Frau an der Theke hatte sich leicht nach vorne gelehnt und griff immer mal wieder in die Erdnussschale, die Gemma freundlicherweise schon dreimal aufgefüllt hatte. Sie war beinahe schon eine Stammkundin und auch, wenn sie als durchgeknallt bezeichnet wurde, so gab sie recht hilfreiche Informationen - und sie musste sich dafür nicht einen einzigen Tropfen Alkohol einflößen.

"Die Bewohner sehnen sich nach Frieden und die derzeitigen Unruhen verstärken ihren Einsatz durch die Länder."

"Unruhen?" Gemma runzelte die Stirn.

"Du bist zu unschuldig, Liebes." Die alte Frau lächelte Gemma liebevoll aus ihren strahlend grünen Augen an. "Du solltest dich nicht mit solchen Dingen beschäftigen. Das beschmutzt nur deinen reinen Geist."

Glaubt mir, Alte. Mein Geist ist lange nicht mehr so rein, wie ihr denkt, dachte Gemma, doch kniff lächelnd die Lippen zusammen. "Ich bitte Euch. Erzählt es mir. Wenn die Gefahr weiter vor dringt und die Unruhen nicht gestoppt werden können, dann werde ich mir womöglich nicht helfen können, weil ich nichts darüber wusste."

Gemma hatte das Glas abgestellt und füllte bereits für die nächsten Kunden, eine kleine Männergruppe am hintersten Tisch, neuen Met in die Krüge. Die alte Frau überlegte, ihre runzlige Stirn wurde von noch tieferen Falten durchzogen und tiefe Schatten bildeten sich unter ihren Augen. "Viele meinen zu spüren, dass seit ein paar Jahren der kalte Hauch von Oleus nachts zwischen den Häusern hindurchwehe. Noch konnte mir niemand etwas Genaueres sagen. Die Leute haben Angst.
Ich selbst höre in der Nacht aus der Richtung der Berge von Grenland Schreie, die mir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Irgendwas ungöttliches geht da vor sich, das sage ich dir, Liebes. So wahr ich hier stehe. Möge Lyxohr uns den Weg scheinen und Nuhohr uns die nötige Kraft geben."

Der Blick der alten Frau war vor Schreck geweitet, aber voller Ernst auf der leeren Erdnussschüssel hängen geblieben. Gemma wagte es nicht, etwas zu sagen. Sie wusste nicht, ob es die Geschichte selbst war, oder aber die Art und Weise, wie die Alte die Gegebenheiten erzählte. Auf eine beängstigende Art schienen die Schreie Laute angenommen zu haben, denn sie hallten in Gemma's Ohren wieder. Gänsehaut lag auf ihren Armen.

"Ich danke euch.", murmelte Gemma lächelnd und stellte die Metkrüge auf ein Tablett, ehe sie zu dem Tisch hinüberschritt, an dem die Männer saßen. Ihr lautes Lachen schallte durch die ganze Herberge und ihre munteren Gesichter blickten alle zu der jungen Frau auf, als diese das Tablett auf den Tisch stellte und die Krüge verteilte.

"Ich wusste gar nicht, dass der König ab jetzt Engel Herbergen betreuen lässt.", sagte einer der Männer und ließ seinen lüsternen Blick über Gemma streifen. Die dunkelgrüne Schürze, die um Gemma's Bauch geschnürt war, lag über der weißen Bluse, die - Gemma's Meinung nach - zu weit ausgeschnitten war. Eine weit vornübergebeugte Haltung und schon konnte man mehr sehen, als Gemma es anderen zeigte.

"Für gewöhnlich tragen Engel blonde Locken, wehrter Herr.", entgegnete sie stattdessen und schenkte dem Mann ein Lächeln. Dieser warf seinen Freunden einen Blick zu. Sie alle waren älter als Gemma - nicht viel - und schon leicht angetrunken. Anhand ihrer Kleidung konnte sie sehen, dass sie einem höheren Stand angehörten. Sie inspizierte die Männer nur flüchtig, doch das reichte schon aus, um gewisse Details wahrzunehmen. Die gepflegte Haut, die aufrechte Haltung, der wachsame Blick, der - trotz des Alkohols - durch das Lokal schweifte.

"Dann liege ich wohl falsch.", sagte er leise und zog die Lippen zu einem schelmischen Grinsen, ehe er einen tiefen Schluck des Met nahm. Seine grauen Augen ließen Gemma dabei nicht los.

"Möglich." Sie lächelte den Männern zu. "Wie kommt es, dass sich königliche Bedienstete aus Udrium hier in Hoplor aufhalten?" Sie setzte eine unschuldige Miene auf und blickte den Mann, der bereits mit ihr gesprochen hatte, intensiv an.

"Wir hatten hier in der Nähe einen Auftrag wegen ein paar Unruhestiftern zu erledigen. Die nächsten Tage haben wir frei bekommen und dieses Lokal erwies sich als das passendste und ich bereue es keine Sekunde, den Laden betreten zu haben." Sein Blick wanderte zu den schwarzen Knöpfen, die an Gemma's weißer Bluse befestigt waren.

Das Schicksal schien ihr heute direkt in die Hände zu spielen. Wachen des Königs, die auf Streife sind und bestimmt eine Menge gehört hatten. Sie musste die Chance ergreifen und möglichst viel aus ihnen herausholen, doch der erste Gedanke, wie sie das anstellen könne, gefiel ihr überhaupt nicht.

"Ein paar Tage, also?", fragte sie leise und zog eine Augenbraue hoch.

Der Mann nickte sprachlos. Gemma drehte sich demonstrativ langsam um und ging wieder zurück zum Tresen.

"Ey, meine Hübsche.", rief der Mann und Gemma wandte sich um. Ihre grünen Augen fixierten den Mann, dessen glasiger Blick auf ihr lag. "Gesell dich doch ein paar Minuten zu uns, wenn du Lust hast."

"Zu solch noblen Leuten, wie Ihnen? Vielleicht ein ander Mal." Sie lächelte entschuldigend.

"Weißt du, im Palast wird uns jegliche Chance auf ein bisschen Spaß genommen.", rief er unbeirrt weiter und Gemma's Magen überschlug sich leicht. Sie ahnte worauf er hinauswollte.

"Ich muss jetzt leider gehen. Mein Dienst für heute ist getan." Sie betonte dabei das Wort 'Dienst' extra stark, damit auch die angetrunkenen Bediensteten verstehen würden, dass sie die junge Kellnerin heute nicht mehr zu Gesicht bekommen würden.

"Schade." Enttäuschtes Gemurmel drang von dem Tisch herüber, doch Gemma beeilte sich ihre Schürze abzulegen, ihrer Mitarbeiterin zu sagen, dass sie früher Schluss machen würde und verließ eilig durch die Hintertür das Lokal.

Frische Nachtluft umgab sie und tief atmete Gemma ein. Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, als sie auch schon ein leises Summen wahrnahm. Sie lief um das Haus herum und entdeckte, etwas abseits vom Weg, Viper. Er saß auf seinem Hover-bike und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Sein Blick galt den Sternen. Er sah auf, als Gemma sich neben ihn stellte.

"Nanu? Du hast schon Schluss?", fragte er. Seine Wangen waren von der Kälte ganz gerötet und sein dunkelblondes Haar war vom Wind zerzaust.

"Nicht wirklich, aber eine Horde königlicher Wachen auf Streife hat mich mit ihren Blick ausgezogen."

Kurz blitzte etwas in Vipers Augen auf, doch er klopfte hinter sich auf das Bike und Gemma schwang ein Bein auf die andere Seite.

"Hast du was herausbekommen?", fragte er nach und startete den Motor. Gemma schlang ihre Arme um den warmen Körper des Mannes und genoss den Duft von Kiefernadeln, der von ihm aufstieg, gemischt mit einem Hauch von Asche und Kupfer.

"Nein, aber ich weiß, wie ich das hinbekomme. Es wird aber weder mir, noch meinem Bruder gefallen."





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