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[VIPER]

Völlig lautlos hatte Grace das Tor geöffnet, wünschte Scorpion mit einem letzten Lächeln viel Glück und verschwand dann wie ein Schatten in der Dunkelheit. 
Wie es der Plan besagte, hatten sich die White Skulls auf den Weg gemacht und nun begann der Teil, den alle am meisten mochten, der jedoch genauso gefährlich war: das Stehlen.

Der Nervenkitzel und das Adrenalin in den Adern, pochte in Vipers Fingern, als er hinter Scorpion das Haus betrat. Der Eingangsbereich lag finster vor ihnen und rechts führte eine Treppe in den oberen Stock. In der Dunkelheit konnte Viper ihre geschwungene Form nur erahnen. Scorpion schlich auf eine hohe Doppeltür am Ende des Ganges zu.

Im Haus waren keine Wachen, wie es Bryan vorausgesagt hatte. Nichts regte sich in den großen Räumen. Den Gärtner, die Putzfrau und den Koch hatten sie bei Anbruch der Nacht gehen sehen und auch der Besitzer hatte die Villa vor einer guten halben Stunde verlassen. Scorpion meinte, dass er sich für den heutigen Abend Karten für eine Oper oder eine andere zeitraubende Aktivität besorgt hatte. Ihnen blieb also genügend Zeit, um den Auftrag auszuführen.

Mit einer Hand an der Klinke der Flügeltür blieb Viper stehen. "Das müsste sie sein, oder?"

Scorpion nickte. "Bisher entspricht alles genau der Grundrissbeschreibung. Dahinter sollte die Bibliothek liegen. Danach müssen wir nur noch die Statue finden und die Juwelen, die der Typ haben will, dann sind wir wieder hier raus."

Viper hatte nie verstanden, warum manche Kunstsammler die Dinge stehlen ließen, die sie sich nicht leisten konnten. Was machte man mit einer Statue, die man nie jemandem zeigen könnte, weil sie einen sofort eines Verbrechens überführen würde?
Aber reiche Leute waren nun Mal seltsam. Außerdem galt Regel Nummer 1.: "Aufträge werden nicht in Frage gestellt."
Und ihr Clan lebte gut vom Erfüllen der Aufträge, also hatte er keinen Grund sich zu beschweren.

Langsam öffnete Scor die Tür. Viper lauschte angespannt. Vielleicht saß ja doch ein Wachmann auf der anderen Seite des Raumes? Aber dann winkte Scorpion seinen Freund herein und geschickt schlüpfte der junge Mann durch den Spalt, ehe er die Tür wieder hinter sich schloss.

Beide aktivierten ohne gegenseitige Absprache ihre Leuchtscheibe, die kurz darauf auf Kniehöhe neben beiden herschwebte. Der Strahl glitt dicht am Boden entlang und Viper passte auf, nicht zu nah am Fenster entlang zu gehen. Das Licht riss Regalreihen voller Büchern aus der Dunkelheit, viele davon in kostbares Leder gebunden. Doch es fing sich auch in Glas von Vitrinen, die alte Steintafeln enthielten, Bronzevasen und ab und zu die ein oder anderen antiken Goldmünzen.

"Das ist ja das reinste Museum hier", raunte Viper. Sein Blick glitt zu Scorpion, der ihn schief angrinste. Sie hatten tatsächlich einen Schatz gefunden. Wäre das kein Auftrag und hätten sie keinen festen Plan, würden sie bestimmt nicht lange zögern und so viel wie möglich einstecken. Doch es ging nicht. Sie mussten sich an den Plan halten. Oberste Priorität.

Wie zwei kleine Kinder beim Verstecken spielen schwärmten die Männer aus, auf der Suche nach der Statue. Vipers Leuchtscheibe flog höher und leuchtete in jede Vitrine rein. Das Zeug darin sah wirklich alt aus, manches mit leichtem Rost überzogen. Er entdeckte kleine Tafeln, auf denen eigenartige Schriftzeichen eingraviert waren. Schatullen mit Perlenketten. Ein Samtkissen mit einem funkelnden Saphiramulett.

"Ich hab' sie." Scorpions leiser Ruf schreckte Viper aus seinen Betrachtungen. Sofort eilte er zu ihm hinüber.

Tatsächlich. Die Statue stand da. Etwa fünfzehn Zentimeter betrug das kleine Kunstwerk aus purem Marmor, verziert mit Rubinen und Saphiren. Sie war recht schmal und hatte die Form eines eigenartig aussehenden Mannes.

"Hol' deinen Glasschneider raus. Wir können nicht riskieren die Vitrine zu öffnen und einen Alarm auszulösen", wies Scor seinen Freund an. Dieser nickte und ein paar Handgriffe später ritzte er auch schon, fast geräuschlos, eine Öffnung in die Seite der Vitrine.

"Abbruch!"

Die plötzliche Warnung, die durch die Ohren der beiden Männer hallte, ließ sie unwillkürlich zusammen zucken.

"Wir haben die Statue gleich, Gemma. Einen Moment noch", flüsterte Viper, der genau in diesem Moment den herausgeschnittenen Kreis abnahm und in die Vitrine griff.

"Abbruch habe ich gesagt, oder ich erschieße dich, ehe sie es tun können."

Ihre Stimme klang ernst, doch Viper könnte schwören, sie habe leicht gezittert. Vor Sorge? Vor Angst? Angst um ihn?

"Komm." Scorpion zog ihn ohne weiteres aus der Bibliothek. Noch im selben Moment, als sie beide durch das Fenster sprangen und der Glasregen um sie herum sich fein in ihre Haut schnitt, sprang die Flügeltür auf und helles Licht erstrahlte die Nacht. 

White SkullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt