Das Nichts blieb. Durchzuckt von gelegentlichen Blitzen, die die Finsternis zerrissen und unmittelbar darauf wieder verschwunden waren.
Kein Schmerz.
Keine Gefühle.
Keine Gedanken.
Kein Vergehen der Zeit.
Doch irgendwann ein Geräusch.
Es klang wie eine Melodie, untermalt von einem eigenartigen Brummen, welches die Umgebung in Vibration versetzte - Stimmen. Eine Berührung, dann friedliches Zurückfallen in die Leere.
Das nächste Mal, als das Bewusstsein zurückkehrte, war es wieder wegen einer Stimme. Sie wirkte vertraut, aber obwohl Scorpion es versuchte, verstand er nicht, was sie sagte. Die Worte waren nur Geräusche ohne Bedeutung.
Langsam driftete er wieder ab. Die Finsternis nahm sich ihm an und umschloss ihn wie ein dichter Vorhang. Ließ ihn erst wieder los, als er wieder eine Berührung spürte. Ein kräftiges Zupacken an seinem Arm.
Sein Bewusstsein schwebte unschlüssig zwischen Wachen und Vergessen, bis es sich an etwas festhakte. Einer liebevollen Stimme, die er nicht verlieren wollte. Er versuchte, die Augen zu öffnen. Er versuchte, sich zu bewegen, wenigstens ein bisschen. Nur, um herauszufinden, wem die sanften Worte über die Lippen kamen. Alles vergebens.
Er wehrte sich gegen das Nichts, das ihn wieder herunterzuziehen drohte, doch er war zu schwach. Die Stimme brach ab und er verlor jeglichen Kontakt zur Welt.
Das nächste Mal, als er so etwas wie einen Wachkomazustand zurückerhielt, war alles etwas klarer. Er konnte eine feste Matratze in seinem Rücken spüren und hörte Schritte, die jedoch schnell wieder verebbten. Das Brummen vieler Stimmen drang an seine Ohren, doch er konnte noch immer nicht verstehen was sie sagten.
Und er fühlte Schmerz. Es war alles andere als schön, doch Scorpion hatte den Eindruck, dass sich tief in seinem Inneren etwas darüber freute.
Er spürte etwas.
Er konnte fühlen.
In den Beinen, in der Hüfte und im Kopf waren der Schmerz am stärksten. Es war beinahe ein Ziehen, welches ihn auseinanderreißen wollte. Ein Schmerz, der ihn von innen nach außen hin aufzehren wollte.
Erneut versuchte Scorpion die Augen zu öffnen. Er wollte sich endlich umsehen und orientieren. Wo war er? Was war passiert?
Jeder Versuch war unendlich anstrengend und nach vielen Stunden - so fühlte es sich für ihn an - ließ er ab und schlief erschöpft wieder ein.
Beim nächsten Erwachen hatte er das Gefühl, dass viel Zeit vergangen war, die er nicht in seinem Bewusstsein verbracht hatte. Dass er geschlafen hatte und nicht von der Leere verschluckt in den Tiefen des Nichts hockte. Er bewegte seine Finger, ja, keine Frage.
Er konnte sie bewegen.
Und nun schlug er auch seine Augen auf. Eine helle Fläche über ihm. Geräte, Lichtquellen. Er kannte diese Dinge. Er hatte sie allesamt schon einmal gesehen, doch ihm fiel nicht ein woher. Etwas sirrte hinter seinen Schläfen, drückte dagegen und das Licht bereitete ihm zusätzliche Schmerzen, sodass er sich wieder der Dunkelheit hingab.
"Scorpion."
Der Laut und der Klang wiederholte sich. Immer und immer wieder. In den verschiedensten Tonhöhen.
"Scorpion."
Da war sie. Die sanfte und liebevolle Stimme, an der er sich versucht hatte festzuhalten. Sie war vertraut, oft gehört und Wärme breitete sich schlagartig in seinem Körper aus. Langsam hob er die Lider, das Licht brannte in seinen Augen. Und da war jemand.
Eine Frau mit dunklen Haaren, zu einem Zopf zusammengebunden und in einem weißen Kittel. Sie war ihm so nah, dass er am liebsten ein Stück zurück gerutscht wäre, doch er konnte sich nicht bewegen.
"Scorpion", hauchte sie und da war sie wieder. Die liebliche, sanfte Stimme, die seine Nervenbahnen zu kitzeln schien. Ihm wurde warm und langsam musterte er sie.
Ihre Augen waren glasig und Spuren versiegter Tränen konnte er auf ihrer leicht dunklen Haut sehen. Sie lächelte und kleine Falten befanden sich neben ihren undurchdringbaren, braunen Augen. Sie nahm seine Hand und drückte sie. Sie beugte sich zum herunter und küsste ihn. Eine Träne tropfte auf sein Gesicht.
Ihre Lippen waren warm und weich, doch Scorpion konnte sich noch immer nicht bewegen. Als sich die Dunkelhaarige von ihm löste, wischte sie sich überglücklich die Tränen vom Gesicht. Und in dem Moment, als sie seine Hand losließ, verschwand die Wärme aus seinem ganzen Körper.
Dann sagte jemand etwas. Ein Mann mit blondem Haar und hellbraunen Augen. Eine noch recht frische Narbe zog sich unter seinem linken Auge bis hin zu seinem Ohrläppchen, doch ein breites Lächeln stand auf seinem Gesicht. "Ich hoffe, du bist ausgeschlafen, Alter?"
Neben ihm stand eine junge Frau mit einem braunen Pferdeschwanz, der ihre gepiercten Ohren freilegte. Ihre grünen Augen riefen das Bild eines Mannes hervor, der der Frau wie aus dem Gesicht geschnitten aussah. Ein Bild, welches auftauchte und sofort wieder verschwand. Grüne Augen, umrahmt von langen, dunklen Wimpern. Einige wellige, braune Haarsträhne, die ihm ins Gesicht fiel. Ein blutiges Gesicht, vergraben unter Eis und Schnee. Schwebend in den Tiefen eines See's. Doch ihm fiel nicht ein, woher er ihn kannte.
"...so froh", beendete die Frau in dem weißen Kittel ihren Satz. Weder drückte sie seine Hand. Er suchte in ihrem Gesicht nach einem Anzeichen, dass ihm verraten würde, wer sie war. Sie beugte sich wieder zu ihm herunter, drückte ihm vorsichtig einen Kuss auf die Stirn und lächelte. "Du wirst schon wieder. Die Medikamente schlagen an und es wird nicht mehr lange dauern, dann bist du wieder ganz du selbst." Sie streichelte seinen Arm und ihre Berührungen hinterließen heiße Spuren auf seiner Haut, deren Brennen ein tiefes Verlangen in ihm auslösten. Das Gefühl reines Glücks strömte durch seine Adern und weckte in ihm tiefste Sehnsucht. ... Doch nach was?
Leicht runzelte er die Stirn und sah sich die drei Personen an, die um ihn herum standen. Sie alle starrten ihn an, musterten ihn mit sorgenvollen, aber unendlich erleichterten Ausdrücken im Gesicht.
"Scorpion?"
Es war wieder die Frau in dem weißen Kittel. Sie lehnte sich leicht nach hinten und der Ausdruck voller Liebe schwand aus ihrem Gesicht. Stattdessen breitete sich Angst aus, die sich wie ein eisiger Schatten über ihre Augen legte.
Scorpion versuchte was zu sagen, doch es kam nur ein Krächzen aus seinem Hals. Er räusperte sich und letztlich brauchte er drei Anläufe, ehe verständliche Worte über seine Lippen kamen.
"Wer..."
Alle Augen waren auf ihn gerichtet.
"Wer seid ihr?"
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White Skull
FantasyDie White Skulls sind ein Clan, der im Verborgenen lebt und sich mit dem Erledigen von nicht ganz legalen Aufträgen den Lebensunterhalt sichern. Doch nicht alle Missionen sind einfach. Denn während die Mitglieder ihren Pflichten nachkommen, bahnt...