Es war Sonntagmorgen und die Sonne schien heute noch heller als gestern. Dafür, dass wir Mitte Oktober hatten war es auch noch ungewöhnlich warm. Bei 22 Grad trug zwar keiner eine kurze Hose, aber das lag eher daran, dass man, falls es doch plötzlich regnen sollte, nicht komplett nass werden wollte. Außerdem waren durch den Regen immer recht viele Wege aufgeweicht und beim Laufen spritze einem dann immer der Dreck hinten an die Beine, was noch unangenehmer war. Also tat ich es allen anderen gleich und zog eine lange Hose an, und wie, eigentlich, immer ein schwarzes Top und ein rot/schwarz kariertes Hemd, welches ich aber offenließ. Leise ging ich in die Küche runter, als ich meinen Vater auf der Couch liegen sah, wusste ich schon, dass der Tag heute entweder total still verlaufen würde oder er unser Haus in die Hölle verwandeln würde. Ich zog mir möglichst leise meine Schuhe an und verließ genauso leise das Haus.
Der nächste Bäcker war ca. 15 Minuten von unserem Haus entfernt. Der Weg zum Bäcker führte durch einen kleinen Park mit einem kleinen Ententeich und einem Kinderspielplatz. Es sah alles so idyllisch aus und ich schaltete meine Musik ein und lief weiter. Beim Bäcker angekommen bestellte ich mir einen Milchkaffe zum Mitnehmen und ein Schokocroissant. Die etwas ältere Dame verabschiedete sich von mir und ich lief wieder zurück zum Park um mich dort an den See zusetzten. Ab und zu konnte man hier ein paar Enten mit ihren Jungen sehen, aber wahrscheinlich war es nicht die richtige Zeit um kleine Entenküken zusehen. Ich schaltete also wieder meine Musik ein und machte mich über mein Frühstück her. Als ich wieder auf die Uhr schaute war es schon 11:00 Uhr, unschlüssig was ich mit dem Rest des Tages tun sollte, stand ich mit Kaffee in der Hand auf und machte mich auf den Rückweg. Schlurfend ging ich den Weg zurück als ich plötzlich angerempelt wurde, ich taumelte ein paar Schritte zurück und sofort spürte ich die Hitze des Kaffees, der gerade über meinen Oberkörper floss. „Was soll der scheiße!", schrie ich der Person nach, die sich gar nicht für das gerade eben geschehene interessierte und einfach weiter rannte. Wütend warf ich den nun leeren Pappbecher auf den Boden und lief weiter.
Doch da hörte ich ein Weinen und Schluchzen, sofort blieb ich stehen. Ich schaute mich um und konnte auf dem Spielplatz einen Jungen erkennen, er saß zusammen gekauert unter dem Spielgerüst. Überrascht, dass er hier alleine war, er sah nicht älter als sieben aus, und ich auch niemanden hier im Park erkennen konnte ging ich langsam auf ihn zu. Bei ihm angekommen kniete ich mich zu ihm runter und fragte behutsam: „Hey, kleiner Mann. Warum weinst du denn?" Erschrocken rutschte er ein Stück weg von mir und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Seine blauen Augen waren total verquollen und sein dunkles Haar stand in alle Richtungen ab. Auch seine Klamotten waren von Sand verdreckt und am Knie konnte man durch die zerrissene Hose eine offene Wunde erkennen. Der Kleine tat mir richtig leid. „Bist du hingefallen?", fragte ich nun erneut nach. Heftig schüttelte er den Kopf. „Und was ist dann passiert?" Er zögerte, setzte dann aber ganz leise an: „Willst du mir auch weh tun?" Überrascht und auch leicht erschrocken von seiner Frage schaute ich ihn mit großen Augen an: „Nein ich tue dir nichts. Warum sollte ich dir denn wehtun?" „Weil Samira mir auch immer wehtut.", im selben Moment in dem er Samiras Namen ausgesprochen hatte schlug er sich die Hand auf den Mund, als hätte er etwas Verbotenes gesagt. „Samira?", fragte ich ungläubig nach und vor allem, weil ich sicher gehen wollte, dass wir von derselben Samira redeten. „Du kennst sie? Seid ihr Freunde? Verpetzt du mich jetzt bei ihr?", er wurde immer schneller und ich konnte das Zittern in seiner Stimme erkennen. „Nein, nein wir sind keine Freunde du musst keine Angst haben.", langsam nahm ich ihn in den Arm und zog ihn etwas zu mir. Sofort klammerte er sich an mich und vergrub sein Gesicht an meiner Schulter. „Soll ich dir mal was sagen?" Langsam schaute er nun hoch und nickte. „Ich kann Samira auch nicht leiden.", sagte ich leise, als ich ihm parallel die Haare wieder zurecht strich. Nun lächelte er und klammerte sich an meinen Hals. Vorsichtig hob ich ihn an und stand mit ihm zusammen auf. An der Wiese, die neben dem Sandkasten anfing stellte ich ihn auf beide Beine und klopfte ihm vorsichtig den Sand ab. Dabei fiel mein Blick wieder auf das aufgeschürfte Knie. „Tut dir dein Knie arg weh?", fragte ich ihn. „Ein bisschen.", gab er leise von sich und schaute sich die Wunde auch nochmal genauer an. „Komm, wir setzten uns auf die Bank und ich schau ob ich ein Pflaster dabeihabe." Leicht lächelnd nickte er und folgte mir zur Bank. Ich wühlte in meiner Tasche und fand in einem der Seitenfächer ein Pflaster, schnell suchte ich auch noch ein Taschentuch um die Wunde zu reinigen bevor ich das Pflaster drauf machte. Fertig verarzte saß der kleine Junge nun neben mir. „Dankeschön.", sagte er nun lächelnd in meine Richtung. „Du bist nett.", kam es leise von dem Kleinen neben mir. „Danke, du bist auch sehr nett.", gab ich leicht lächeln und doch auch etwas besorgt von mir. „Sagst du mir jetzt warum Samira dich geschlagen hat?", fragte ich nun vorsichtig nach. „Weil ich kein Geld dabeihatte", gab er leise von sich, „Wenn ich will, dass Samira mich in Ruhe lässt muss ich ihr immer das Geld von meiner Mama geben." „Und dann lässt sie dich in Ruhe?" Er nickte nur und schaute wieder auf den Boden. „Für was gibt dir deine Mama denn das Geld?", ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie wusste was mit ihrem Sohn geschah. „Damit ich mir Süßigkeiten beim Bäcker kaufen kann.", sagte er leise. Samira klaute ihm also sein Taschengeld, wie kann man nur so herzlos sein? „Machte sie das immer?", bohrte ich nach und empfand immer mehr Wut auf Samira und immer mehr Mitleid für den Kleinen. Uns Schüler zu demütigen ist eine Sache, aber einen kleinen Jungen zu schikanieren, der sich nicht mal wehren kann, ist einfach nur erbärmlich. Der schüttelte aber den Kopf: „Nur, wenn sie was braucht." Auch ich nickte nur leicht, ich wollte nicht weiter nachfragen ich wollte die Sache nicht noch schlimmer machen. Eine Zeit lang sagte keiner mehr was von uns beiden bis der Kleine plötzlich das Wort ergriff. „Ich heiße Tim und du?" „Ich heiße Mara.", mir viel erst in dem Moment auf, dass ich ihn gar nicht nach seinem Namen gefragt hatte. „Kommst du mal wieder vorbei, dann können wir zusammenspielen.", nun glänzten seine Augen, als er zu mir hochschaute. Ich nickte nur lächelnd. Auch er musste jetzt noch mehr lächeln: „Ich bin jeden Sonntag hier, aber jetzt muss ich nach Hause gehen." Er drückte mich noch einmal feste und hüpfte dann vorsichtig von der Bank und lief los. Zwar hinkte er immer noch leicht aber er lief tapfer weiter. Ich schaute ihm noch hinterher bis er um eine Ecke bog und ging dann ebenfalls nach Hause. Das Samira abgebrüht war, wusste ich ja aber, dass sie so weit gehen würde und kleine Kinder fertig macht hätte ich noch nicht mal ihr zugetraut. Jetzt hatte ich nur noch einen Grund mehr es ihr heimzuzahlen. Sie würde die Erste sein.
Der restliche Sonntag verlief ohne weitere Vorkommnisse. Ich verbrachte den ganzen Tag in meinem Zimmer vor meinem Fernseher. Gerade mal zum Abendessen kam ich herunter. Das Abendessen selbst verlief ohne irgendwelche Vorfälle, aber was sollte auch passieren. Keiner sprach ein Wort, aber selbst das konnte meinen Vater reizen. Alles konnte meinen Vater reizen, die Ruhe, die Stille selbst die bloße Anwesenheit meiner Mutter brachte ihn zum Rassen. Er war eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen konnte.
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Revenge
Mystery / ThrillerDurch eine Wette gedemütigt, verletzt und ausgenutzt. Rächt sich Mara an ihren vier Klassenkameraden. Sie sollen den selben Schmerz erfahren den sie selbst verspürt hatte. Doch was als harmloser Streich begann gerät mehr und mehr außer Kontrolle und...