Auf dem Weg zu Schule war ich noch immer unheimlich müde. Nicht mal meine Musik konnte mich richtig aufwecken. Vor der Schule stand Jonas und wartete schon auf mich. „Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr!", rief er mir von der anderen Straßenseite aus zu. Ich schaute auf meine Uhr und bemerkte, dass ich schon zehn Minuten zu spät war. Ich zuckte mit den Schultern als ich vor ihm stand. Er lachte und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Schon mal ein guter Start. „Noch müde von gestern?", fragte er mich gespielt besorgt. „Ein bisschen.", erwiderte ich taff. „Komm wir gehen frühstücken. Ich hab da vorne ein kleines Café gesehen." „Und was ist mit der Schule?", fragte ich als er mich schon hinter sich her zog. Ich kam mir langsam wie ein Hund vor. Wie so ein kleiner, dicker Mops der keine Lust hatte spazieren zu gehen. „Die wird auch ohne unsere Anwesenheit auskommen." Wir liefen die Straßen entlang bis zu dem Café, das Jonas gesehen hatte. Es war zwar klein sah aber sehr gemütlich aus. Am Eingang war die Auslage mit ein paar süßen Stückchen, belegten Brötchen und verschiedenen Stangen bestückt. Dahinter zwei Regale, eins mit Broten und eins mit Brötchen. Der Bereich für Gäste war einen Raum weiter. Direkt neben dem Eingang war eine Kuchentheke aufgebaut mit verschiedenen Kuchen und Torten und kleinen Muffins. Es gab nur ein paar Tische an die maximal vier Leute passen würden. Die Tische waren geziert mit einem rosa Deckchen, einer Blumenvase und frischen Blumen jeglicher Art darin. Am anderen Ende des Raumes gab es auch einen Kamin, der im momentan aber nicht an war. Das Café strahlte ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit aus, man sah, dass sich die Besitzer Mühe gegeben hatten. Außer uns waren nur noch zwei ältere Damen da, die sich bei Kaffee und Kuchen von ihren Familien erzählten und dabei immer wieder lachen mussten. Es war ein schönes Bild. Bei jedem Lachen zeigten sich deutlich die Falten im Gesicht, was die Damen aber nur noch sympathischer erschienen lies. Wir liefen zu einem der hintersten Tische an dem uns kaum einer sehen konnte. Eine junge Frau kam und nahm unsere Bestellung auf. Jonas bestellte sich Kaffee und ein belegtes Brötchen und ich ein Stück Schokokuchen mit Früchten und einen Kakao. Da es jetzt schon fast halb elf war konnte ich auch etwas Süßes essen. Man muss ja seinen Kreislauf in Schwung bringen. „Wie kannst du nur so viel Süßes bestellen du bekommst doch einen Zuckerschock." Ich lachte nur: „Das Leben ist nicht süß, deshalb will jeder süße Sachen." Beeindruckt nickte er. Einen kurzen Moment sagte keiner was. „Was wollen wir jetzt als nächstes tuen?" Ich zog nur eine Augenbraue hoch, weil ich nicht wusste was er genau meinte. „Tu nicht so, du weißt genau was ich meine. Wer ist der Nächste?" Ich zuckte mit den Schultern. Darüber wer als Nächstes dran war hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. „Ich weiß nicht. Vielleicht jetzt eins der Mädchen.", ich rührte in meinem Kakao und überlegte wie ich den zwei überhaupt Schaden könnte bzw. wie man Samira ein zweites Mal eine auswischen könnte. „Dann wäre ich für Kim.", mischte sich Jonas wieder in das Gespräch ein. „Warum für Kim?" Er zuckte mit den Schultern: „Ich glaube die ist leichter zu beeindrucken als Samira. Samira muss erst noch etwas Angst bekommen." Ich schaute ihn gespannt an: „Und wie wollen wir ihnen Angst einjagen?" Nun beugte er sich zu mir rüber: „Ich finde du hast schon mal einen guten Anfang gemacht. Das Haarfärbemittel und die Cola haben ihren Zweck doch erfüllt oder?", nun lehnte er sich wieder zurück. Es wunderte mich nicht wirklich, dass er Bescheid wusste. Er war cleverer als die Anderen, außerdem wusste er ja auch das mit Justin. Allerdings musste ich aufpassen, dass es nicht zu offensichtlich wurde. „Das mit den Tabletten war anders geplant. Ich wollte nur, dass er Bauchschmerzen bekommt, aber ich muss mich wohl etwas mit der Dosis vertan haben." Er nickte nur: „Dann lass dir mal was genauso Gutes für Kim einfallen.
Am besten was das sowohl Kim als auch Samira betrifft, dann können wir beiden Schaden und es machst uns vieles einfacher was die zukünftigen Rachepläne angeht." Da war wohl jemand noch durchtriebener als ich. „Wie wär's wenn wir es so aussehen lassen würden, als wäre Kim an den verfärbten Haaren schuld?" Doch er schüttelte den Kopf: „Das ist zu langweilig." Langweilig? Was hatte er sich denn genau vorgestellt? „Dann lass dir was Besseres einfallen." Er nippte an seinem Kaffee und man sah deutlich, dass er wirklich angestrengt darüber nachdachte. Doch ihm fiel nichts ein. Wir beschlossen uns überraschen zulassen. Die besten Pläne entstehen spontan.
Wir saßen noch ungefähr zwei Stunden in dem Café und gingen dann einfach spazieren. Auf Schule hatten wir beide keinen Bock mehr, man hätte sowieso nur wieder über Jonas Verschwinden geredet. Und auf die ganze Heuchlerei kann ich auch getrost verzichten. Am Abend gingen Jonas und ich in Richtung meines Hauses. In der Nähe des Waldes war eine kleine Erhebung kein richtiger Berg aber man konnte über die Dächer der Häuser schauen. Außer mir kennt glaube ich auch niemand diesen Ort, beziehungsweise habe ich noch nie jemanden hier gesehen. Vielleicht lag das auch daran, dass man ein Stück durch den Wald gehen musste und der kann einem im Dunkeln schon große Angst einjagen. Zumindest wenn man dort noch nie gewesen ist und sich nicht auskennt. Jonas hatte aber überraschender Weise keine Angst oder man konnte sie ihm nicht ansehen. Er lief den ganzen Weg neben mir her ohne ein Wort zusagen. Auf der Lichtung angekommen setzten wir uns ins Gras und schaute zu den Sternen hoch. Eine Weile lang sprach keiner etwas, aber es war nicht unangenehm. Es gibt auch eine gute Art von Stille, ohne dieses beklemmende Gefühl zwanghaft ein Gespräch in Gang bringen zu müssen. Diese Stille ist die Beste und angenehmste überhaupt, weil man weiß, dass man angekommen ist. Man konnte nichts hören außer unserem Atmen und dem Wind der durch die Bäume pfiff. Ich legte mich ins Gras und schaute hoch ans Himmelszelt mit seiner schwarzen Farbe und seinen weißen Punkten dazwischen. „Ist dir schon mal aufgefallen wie unbedeutend die eigene Existenz ist?" Jonas, der immer noch im Gras saß, schaute zu mir runter: „Wie kommst du denn jetzt darauf?" Aber ich beachtete seine Frage gar nicht und dachte einfach weiter laut nach: „Wenn niemand da ist der dich vermisst, dann hast du doch nie richtig gelebt. Dann hast du ein Leben völlig ohne Bedeutung geführt." Ich wartete ob er etwas sagte aber er sagte nichts. „Weißt du wann man wirklich tot ist? Man ist erst tot, wenn man vergessen wird. Und weißt du was das Schlimme daran ist? So Leute wie Justin oder Samira vergisst man nicht. Man wird sie nie vergessen, denn schlechte Erinnerungen halten länger als die Guten. Das Leben ist unfair, so Menschen sollten nicht mit Erinnerungen am Leben gehalten werden." „Stimmt, das Leben ist unfair. Aber das hier ist nicht das Wunderland und du bist nicht Alice. Arrangiere dich besser mit der Welt hier, nicht, dass du dich noch in ihr verlierst." „Glaubst du man kann noch jemandem helfen der schon gefallen ist und sich verloren hat?" Nun legte er sich neben mich ins Gras schaute aber weiter in die Nacht. „Ich weiß es nicht, aber der Teufel war auch einmal ein Engel und er hat die Erde nicht verlassen. Und ich würde dich auch nie verlassen." Ich schüttelte den Kopf: „Menschen gehen immer, auch wenn die tausendmal versprochen haben es nicht zu tun." Wieder sagte er nichts. „Aber das ist okay, ich war schon immer alleine." „Das stimmt nicht.", er zog mich zu sich und ich drehte mich so, dass ich nun meinen Kopf auf seine Brust legen konnte. „Ich würde dich nie vergessen Sweetie.", sanft drückte er mir einen Kuss auf den Kopf. Ich wollte ihm aber nicht antworten. Nicht, dass ich seine Gefühle verletze. Menschen können einander eh nie ganz Vertrauen. Angst und Misstrauen werden niemals nachlassen.
Ich blieb einfach still liegen und hörte einfach nur seinem Herzschlag zu. Es trat wieder dieselbe angenehme Stille ein wie vom Anfang ein und ich genoss jede Sekunde davon.
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Revenge
Mystery / ThrillerDurch eine Wette gedemütigt, verletzt und ausgenutzt. Rächt sich Mara an ihren vier Klassenkameraden. Sie sollen den selben Schmerz erfahren den sie selbst verspürt hatte. Doch was als harmloser Streich begann gerät mehr und mehr außer Kontrolle und...