Kapitel 11

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Migas p.o.v.

Ich betrat den Balkon und sah, dass jemand dort bereits saß. Sofort wollte ich mich wieder entfernen, aber die sanfte Stimme von Jungkook hielt mich auf:

"Bleib bitte bei mir, Miga"

Ich nickte, wischte mir die letzten Tränen weg und sah in sein hübsches Gesicht, das er nun mir zugewandt hatte. Ich konnte verstehen, dass so viele Mädchen auf meinen Bruder und seine Freunde abfuhren. Auch wenn die euphorischen Gefühle größtenteils auf ihren eigenen Projektionen auf diese Menschen beruhten. Dennoch würden diese wesentlich schwieriger entstehen, wenn die Jungs nicht so aussahen wie sie nun einmal aussahen und so waren, wie sie sich nun auch mir fernab der Kameras präsentierten.

Ich nahm neben ihm Platz auf der Bank und blickte in den sich verdunkelnden Himmel und auf Seoul wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Er reichte mir eine Decke und ich breitete sie aus, um sie mir über die Schultern zu hängen.

"Wie war es bei deiner Freundin?", fragte er und sah mich interessiert schmunzelnd an.

"Es war sehr traurig, aber bitte lass uns nicht darüber sprechen", meinte ich und schluckte.

"Ich habe mich sehr früh von einigen engen Freunden verabschieden müssen. Und auch heutzutage sieht man seine Freunde und Familie so wenig, dass es mir manchmal das Herz zerreißt. Aber wir haben uns. Wir haben eine neue Familie", beschrieb er mir seine Lage und ich sah ihn mitfühlend an. Für mich war es furchtbar Tae so wenig zu sehen, aber für die Jungs musste es ja noch viel schlimmer sein.

"Ich vermisse Tae sehr oft und dann denke ich immer an die schönen Momente, die wir dennoch zusammen verbringen dürfen. Das macht es nicht immer erträglicher, aber dann kann ich nach vorne sehen und mich auf das nächste Treffen freuen, anstatt mich in meiner Trauer zu wälzen. Aber für euch muss es ja noch viel schlimmer sein. Ihr seid heute hier und morgen dort. Werdet belagert, bedrängt und durchgehend daran erinnert, dass ihr kein Leben neben eurem Job habt. Ich habe ja immerhin noch meinen geregelten Alltag und meine Freundinnen bei mir", gestand ich und sah ihn nun wieder forschend an.

"Ja, manchmal ist es schwer, aber es gibt auch sehr viele Momente, in denen ich mir nichts Schöneres vorstellen könnte. Wenn du Jahre an Training und Arbeit in etwas steckst und dann dein Ziel erreichst, gibt dir das so viel neue Kraft. Das kennst du doch bestimmt auch beim Schwimmen, oder nicht?"

"Ja", antwortete ich kurz und versuchte alles herunterzuschlucken, was nun gerade in mir hochkam. Ich hatte meinen Olympiaplatz zwar schon durch die Qualifikation sicher, aber mein Trainer hatte das letzte Wort und dafür musste ich gewisse Dinge erfüllen und schaffen, die er als Voraussetzung für meine Teilnahme sah.

"Jetzt steht ja auch Olympia an. Taehyung hat uns erzählt, dass du dich dafür bei einem Wettkampf qualifiziert hast. Du freust dich bestimmt schon riesig, oder?", fragte er und drehte sich mir nun noch weiter zu.

"Ja", antwortete ich wieder und schon flossen die Tränen wieder. Ich konnte sie einfach nicht aufhalten. Der ganze Schmerz in mir musste irgendwie gestillt werden und ich schaffte es nicht, ihn einfach weiter zu unterdrücken. Das ging nicht. Nicht jetzt und vor allem nicht nach dem heutigen Tag.

Plötzlich spürte ich wie Jungkook mich in den Arm nahm und mich immer fester an sich drückte. Ich nahm die Umarmung an und weinte mich bei ihm aus. Er sagte nichts. Er lies mich einfach das nehmen, was ich brauchte und schließlich summte er noch leise ein Lied für mich, dass mich vermutlich beruhigen sollte, aber ich zweifelte daran, dass es seinen Zweck wirklich erfüllte. Nach einiger Zeit lösten wir uns voneinander. Er sah mich fragend an und versuchte mich etwas aufzumuntern, als plötzlich einige Worte meinen Mund verließen:

"Mein Trainer will mich vielleicht für die olympischen Spiele streichen"

Ich war erschrocken, dass ich das gerade wirklich gesagt hatte und hielt mir sofort meine Hände vor den Mund, bevor noch mehr Kummer meinen Mund verlassen konnte. Er hatte mir ein unglaubliches Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegeben, sodass ich es einfach gesagt hatte. Obwohl nicht einmal Taehyung davon wusste und ich es ihm auch nicht sagen wollte. Er schien stolz auf mich zu sein und wenn ich nun nicht zu den olympischen Spielen fahren würde, dann wäre er sicherlich schwer enttäuscht von mir.

"Warum? Ich habe gelesen, dass du ein Jahrhunderttalent im südkoreansichen Schwimmsport bist. Wie kann er dich dann Zuhause lassen wollen?", fragte er ruhig und strich dabei sanft über meine Wange, um die letzten Tränen zu entfernen.

"Meine Konzentration war nicht die beste. Ich habe mich zu sehr auf diesen Besuch hier gefreut und war deshalb etwas abgelenkt. Er meinte, dass ich mit diesem Formtief nicht dort antreten sollte", erzählte ich und er hörte ganz aufmerksam, aber nicht drängend, zu.

"Das tut mir leid, dass wir dir solchen Ärger machen. Du solltest dich lieber auf das Training konzentrieren als auf uns", meinte er und ließ seine Hand meinen Arm  herunterstreichen. Er war so sanft und er schien genau darauf zu achten, dass ich mich wohlfühlte. Und das tat ich. Mehr als ich mir je hätte vorstellen können. Ich genoss seine Gesellschaft und das er mir zuhörte und ich mich beim Erzählen nicht unwohl fühlte. Es fühlte sich einfach richtig an.

"Vielleicht solltest du ihm die ganze Wahrheit sagen", sprach meine innere Stimme zu mir, aber ich weigerte mich dagegen. Er kannte mich noch kaum. Ich würde es nicht können und auch noch nicht wollen, aber vielleicht würde es ja irgendwann etwas werden können.

Wir verbachten noch einige Zeit draußen, in der Jungkook mir von den Proben erzählte und wir noch viel lachten. Danach tauschten wir Nummern aus, damit ich in schweren Stunden mit ihm sprechen konnte. Er hatte es mir angeboten und ich hatte mich vorerst darauf eingelassen. Mit Taehyung versöhnte ich mich schnell wieder, aber blieb nun noch bedeckter, was den ganzen Vorfall anging. Ich hatte jemanden gefunden, dem ich mich immer ein Stückchen weiter anvertraute und dieser jemand war Jeon Jungkook.

Am nächsten Tag erlebte ich die meiste Zeit so wie sie die Jungs immer erlebten. Ich unterhielt mich im Backstagebereich mit allen und lernte sie noch besser kennen, wodurch ich gut verstehen konnte, wieso mein großer Bruder sie so liebte. Sie waren einfach alle zu goldig,aber keiner schaffte es so eine Verbindung aufzubauen wie Jungkook eine mit mir hatte. Der Abend mit dem Auftritt bei dem Festival verlief gut. Es herrschte eine großartige Stimmung in der Arena, zumindest in der Zeit als die Jungs auf der Bühne waren. Nun bekam ich auch das schlussendliche Endprodukt zu sehen, an dem sie gestern noch den letzten Feinschliff gemacht hatten. 

Nachdem der Abend sich bis in die frühen Morgenstunden zog, brachte Taehyung mich zum Zug. Ich musste wieder zurück nach Gwangju. In mein Leben mit meinen Stolpersteinen und Hürden. Aber nun fühlte ich mich etwas beschützter. Jungkook war bei mir, auch wenn er das nicht immer physisch war. 

Zur Arbeit musste ich nicht mehr, aber am Abend stand bereits wieder das Training mit unserem Trainer an. Hoffentlich würde ich diese innere Stärke, die mir Jungkook gegeben hatte, auch dort für mich nutzen können.

SAVE ME- BTS FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt