17. „I Can Hear The Bells" (Aaron & Theresa)

99 22 14
                                    

Vergangenheit
♾♾♾

Am Ende des langen Tages ihrer kirchlichen Hochzeit - die um einiges planvoller und in einem sehr viel größeren Kreis stattgefunden hatte, als ihre standesamtliche - stand Theresa vor dem mannshohen Spiegel in ihrer Suite und betrachtete sich und ihren Bauch von der Seite. Immer wieder strichen ihre Finger darüber. Noch sah man nichts.
Sie seufzte.
Ob sie sich wohl sehr verändern würde? Sagte man nicht, dass eine Schwangere strahlen würde und dass das Strahlen sie verriete?

♾♾♾
Geschickt war sie den ganzen Tag jedem Sektglas ausgewichen, hatte jede Schnapsrunde umgangen und konnte jedem
Toast mit Wasser begegnen. Allen hatte sie gesagt, dass sie zu aufgeregt sei, von Alkohol so schnell ermüde, Schnaps ihre Beine schwer werden ließe und sie doch vorhabe die Nacht durchzufeiern ... eben das, was ihr grad einfiel.

Theresa war sich im Klaren darüber gewesen, dass aufmerksame Gäste vermutlich eine Ahnung hatten, aber sie hatte zum Empfang und zur Rede ihres Vaters - der einzigen Rede, die die beiden Vermählten erlaubt hatten - mit alkoholfreiem Sekt angestoßen, so dass ihre Tarnung vielleicht aufrecht erhalten geblieben sein könnte.

♾♾♾

Niemand hatte es gesehen, was sie einerseits froh stimmte, andererseits auch irritierte. Hätten sie es nicht sehen müssen?
Suchend flitzten ihre Augen über ihr Gesicht, das unter einer Schicht Make-up versteckt war. Sie mochte es, wie die Visagistin sie verwandelt hatte, war sich aber nicht sicher wie viel von ihr noch zu erkennen war. Die aufgedrehten und kunstvoll hochgesteckten Haare, die blutroten Lippen, das wunderschöne, seidene Kleid... vorsichtig strich sie über die elfenbeinfarbene Robe. Aaron hatte ihr eine Märchenhochzeit geschenkt. Einen Tag, an dem sie sich wie eine Prinzessin fühlen durfte, an dem sie aber auch für all seine Geschäftskunden eine Rolle gespielt hatte. Sie war des Flunkerns jetzt müde.

♾♾♾

Als Franziska im Krankenhaus die Ultraschalluntersuchung vorgenommen hatte und sich ihre Hoffnung bestätigte, war ihr erster Gedanke tatsächlich einzig und allein gewesen, wie sie die Nachricht so lange würde
geheim halten können, bis die Hochzeit vorbei und die 12 Wochen rum wären.
Franziska hatte sie darin nicht bestärkt, sondern versuchte ihr die Angst zu nehmen. Sie waren beide gesund, alles würde gut werden.

♾♾♾

In wenigen Augenblicken würde sie es nun Aaron sagen. Sie hatte lange mit sich gehadert, ob er es vor der Hochzeit wissen müsste oder nicht. Aber sie hegte den begründeten Verdacht, dass er sie dann in Watte packen und sie nichts mehr machen lassen würde.

Außerdem freute es sie, dass sie endlich mal eine Überraschung für ihn hatte. In ihrer gemeinsamen Zeit war immer er es gewesen, der ihr mit vielen Kleinigkeiten eine Freude bereitet hatte - wohingegen sie sich ständig verplapperte, Konzertkarten offen liegen ließ, die ihn überraschen sollten oder ihm sagen musste, dass er sich dieses oder jenes zwei Tage vor seinem Geburtstag nun bitte nicht mehr online bestellen sollte, denn es läge seit Monaten als Überraschung versteckt in ihrem Kleiderschrank.

Isy hatte ja vermutet, dass sie es ihm nicht sagen wollte, weil sie sich vor seiner Reaktion fürchten würde. Sie machte sich tatsächlich aber darüber keinerlei Sorgen, dass er das Kind nicht wollen würde oder dass er es zu früh für Kinder fänd - er sprach nämlich immer von einer Fußballmannschaft Räubertöchter und Michels, mit denen er Baumhäuser bauen und Surfen gehen würde. Bei einer Fußballmannschaft musste man aber früh anfangen. Sie lächelte und sah noch einmal auf ihren noch immer flachen Bauch.

Aaron kam aus dem Bad, um seine Hüften war lediglich ein Handtuch geschlungen und seine Haut glänzte noch nass. Trotzdem schmiegte er sich an Theresas Rücken. Und sah ihr im Spiegel in die Augen.
„Habe ich dir heute schon gesagt wie atemberaubend schön du bist?"

Sie nickte. „Ein- oder zweimal."

Er schnaubte. „Das ist nicht genug. Wie konntest du nur so jemanden wie mich heiraten? Als dein Mann sollte dir am Tag hunderttausendmal sagen, dass du die schönste Frau der Welt für mich bist." Er küsste ihren Hals und fühlte mit den Händen ihre Eeiten entlang. „Mindestens." Sanft knabberte er an ihrem Ohrläppchen. „Ich mache es wieder gut." Sanft big er ihren Kopf zur Seite, damit seine Lippen die ihren finden konnten.

Theresa seufzte.

„Soll ich dir aus dem Kleid helfen?" Noch während er fragte, begann er die unzähligen kleinen Knöpfe an ihrem Rücken zu öffnen. Nach jedem geöffneten Knopf hauchte er ihr einen Kuss auf die freigelegte Haut.
Theresas Körper war längst mit einer wohligen Gänsehaut überzogen, aber sie zwang sich sich nicht fallen zu lassen. Sie hatte Wichtiges vor!

„Babe, kannst du mir meinen Kulturbeutel aus dem Koffer geben? Dann springe ich auch schnell unter die Dusche." Sie hielt ihr Gesicht abgewandt und konnte sich das Grinsen kaum verkneifen. Die Enttäuschung stand Aaron mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben.

Gentleman der er war, ließ er sie nach einem federleicht auf ihre Schulter gehauchten Kuss los und ging zu ihren Koffern.
Das Geräusch des Reißverschlusses ihres Trolleys durchschnitt die Stille und Theresa drehte sich langsam zu Aaron herum. Dieser stand mit starrem Blick auf den Inhalt ihres Koffers gerichtet vor diesem, seine Hand schwebte unbeweglich in der Luft.

Unwillkürlich hielt auch Theresa die Luft an. Hatte sie sich geirrt? Hatte sie so falsch gelegen und er wollte doch noch keine Kinder?

Behutsam strich Aaron über den Stoff, der oben auf ihrer Kleidung lag. Schließlich nahm er den winzigen Strampler heraus und ballte seine Faust um ihn. Als Theresa sah, wie eine Träne über seine Wange rann, lief sie zu ihm.
„Freust du dich nicht?" Ihre Stimme brach, so sehr verunsicherte sie sein Schweigen. „Aaron? So sag doch was!"

Aaron öffnete seine Faust und hielt ihr den kleinen Strampler mit der Aufschrift „Aaron, ich bin dein Baby" vor den Körper. Dann fiel er auf die Knie und drückte sein Gesicht an ihren Bauch, schlang seine Arme um sie und murmelte immer wieder wie sehr er sie liebte.

L(i)eben ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt