Vergangenheit
♾♾♾Noemi konnte es nicht fassen, dass sie sich schon wieder von Tristan dazu hatte überreden lassen auf eine Hausparty zu gehen. Hauspartys waren ätzend: laut, voll, dreckig. Irgendwer kotzte immer irgendwohin, mindestens ein Paar geriet öffentlich in Streit und trennte sich, gevögelt wurde in allen Zimmern und irgendwer spielte Flaschendrehen, was am Ende wiederum zu Tränen oder Trennung oder Vögelei führte.
Seufzend drehte sie die letzte Strähne um den Lockenstab, schaltete ihn anschließend aus und checkte ihr Make up. Sie war stärker geschminkt als sonst, aber die Smokey Eyes hoben das Blau ihrer Augen hervor. Und es war immerhin eine Party.
Seufzend stand sie auf und ging zum Kleiderschrank. Sie war sich nicht sicher was sie anziehen sollte und stand nur in Unterwäsche davor, als Tristan herein kam.
„Hey, Babe." Während er sich hinter sie stellte und seine Hände um ihren Bauch schlang, starrte sie weiter unzufrieden in den Schrank.
Sie konnte das Bier in seinem Atem riechen.
„Klopfst du garnicht mehr?" Er unterbrach die Spur sanfter Küsse auf ihrer Schulter.
„Stacey hat mich reingelassen." Ihre Mitbewohnerin war eine blöde Kuh und sie würde ein ernstes Wort mit ihr reden.
Gott verdammt hatte sie schlechte Laune.
Tristan ließ sie los und schlenderte zum Bett. Er ließ sich darauf fallen und schnappte sich die Fernbedienung, während Noemi immer noch nach Klamotten suchte. Sie waren seit neun Jahren ein Paar, er war ihre Launen gewöhnt.
Obwohl er fair sein wollte, das heute war keine Laune, sondern seine Schuld, weil sie keinen Bock auf dämliche Hauspartys hatte, er das wusste und sie trotzdem hinschleppte.
„Du siehst in allem gut aus, zieh einfach etwas an und lass uns gehen."
***
Als sie wenig später auf der Party ankamen, wollte Noemi am liebsten direkt wieder umdrehen: es war lauter, voller und dreckiger als sie es für möglich gehalten hatte. Ein bisschen bedauerte sie, dass sie nicht doch in High Heels geschlüpft war, das hätte zumindest ein wenig mehr Abstand zu dem klebrigen Boden bedeutet. Stattdessen schob sie mit ihren Chucks haufenweise rote Becher, Pizzareste und Chips vor sich her.
Voller Ekel überlegte sie, was bei jedem Schritt so widerwärtig klebte.
Während Tristan voll in seinem Element war und gefühlt jeden persönlich kannte und begrüßen musste, versuchte sie neutral zu gucken und irgendein bekanntes Gesicht zu erspähen.
Dann brüllte Tristan ihr über die dröhnende Musik hinweg zu, dass er ihnen Getränke besorgen würde und verschwand dann auch schon in der Menge. Sie seufzte, was bei dem Lärm keiner hörte. So lief es jedes verdammte Mal. Sie würde ihn frühestens in vier Stunden wiedersehen. Lattenstramm, das verstand sich von selbst.
Geräuschvoll kotzte jemand neben Noemi Schaum an die Tapete. Ahoi-Brause war doch was Feines. Das Haus konnte das Geburtstagskind nur noch anzünden.
Ihre Laune war im Keller. Tiefgarage. Erdkern. Die reichte locker ein ganzes Schuljahr lang für jeden einzelnen pubertierenden Schüler und jede einzelne Schülerin einer ganzen Klasse. Einer Waldorfschule mit fünfzig Jugendlichen pro Klasse. Ach was, für alle Jahrgänge in der Mittelstufe zusammen.
Bevor sie merke, was sie tat, lachte sie über ihren eigenen Witz. Vermutlich war das jetzt der absolute Tiefpunkt.
„Du siehsso geil aus, wennu lachs." Das Geburtstagskind Chris umarmte sie ungefragt von hinten und presste sein Gesicht an Noemis Hals. Ja, das hatte ihr zu ihrem Glück gefehlt. Biersabbernder Penner an ihrer Haut. Yes, yes, yes.
Gott sei Dank trug sie einen schwarzen Body, der verhinderte nämlich, dass seine Hände, die gierig über ihren Bauch striffen, nackte Haut zu fassen bekamen.„Lass mich los, Chris." Sie versuchte sich in seinen Armen umzudrehen, was ihr auch gelang. Leider hatte sie nicht bedacht, dass sie seiner Alkoholfahne dann vollends ausgesetzt wäre. Zu ihrer Verteidigung sei gesagt, dass sie auch nicht damit gerechnet hatte, dass er seine Arme, die weiterhin um sie herum geschlungen waren, nicht einen Augenblick von ihr lösen würde.
„Hab dich nich so, Noemimimi." Er lachte so hart über seinen eigenen Witz, dass er Schluckauf bekam. Der Kerl war gefühlt so hoch und breit wie ein massiver Kleiderschrank und hickste und kiekste wie ein kleiner Junge.
Noemi konnte nicht an sich halten und lachte beim nächsten Hickser laut los.
„Lass das." Wütend funkelte er sie an und kiekste im nächsten Moment. Sie prustete gegen seine Brust.
Vermutlich hätte sie sein Ego einkalkulieren sollen, denn als Nächstes presste er sich noch stärker an sie und griff in ihre Haare. Schmerzhaft zog er daran ihren Kopf nach hinten.
Niemand hörte ihr schmerzerfülltes Wimmern.
„Das wirsu bereun'." Sie schaltete nicht schnell genug und er drückte ihr im nächsten Moment seine Lippen auf.
***
„Weißt du wo Noemi ist?" Tristan hielt Staceys Arm fest, sie war so blau, dass sie kaum grade stehen konnte. Irgendwie eklig, wenn Frauen sich so abschossen. War das chauvinistisch von ihm? - Ja. War es trotzdem so? - Definitiv.
„Is sie nich mit dir gefahn?" Sie nuschelte so sehr, dass er sie kaum verstand.
„Wie du siehst, bin ich noch hier." Ungeduldig sah er sich nach Noemi um. Mist. So sollte der Abend nicht laufen. Er wollte Spaß, kein scheiß Drama. Erst machte sie eine Szene wegen Chris, der sie angeblich geküsst haben sollte und seine Hände nicht bei sich behalten konnte, dann haute sie ohne Kommentar ab.
„Dann isse wohl mit em andern Kerl wech." Sie giggelte. „Trissi is alleine. Buhu." Ohne ihn weiter zu beachten, hängte sie sich an den Arm irgendeines Kerls.
Nervig. Wo war Noemi? Sie war auf keinen Fall ohne ihn gefahren.
Tristan stolperte über seine eigenen Füße und konnte sich grade noch an der Wand abfangen. Vielleicht sollte er ein Wasser trinken.
Noemis Laune war heute unerträglich gewesen. Sollte sie doch einfach Zuhause bleiben, wenn sie keine Lust hatte. Er wollte eine sexy, spaßige Freundin und keine quengelnde, nörgelnde, blöde Kuh.
Sie hatte vorhin eine scheiß riesige Szene abgefackelt, weil Chris sie angeblich geküsst hätte. Was war bloß los mit der? Chris war sein Kumpel, er wusste, dass Noemi sein Mädchen war. Blöde Rumzickerei.Er hoffte wirklich, dass das der Alkohol war, der da sprach. Er liebte Noemi. Er wollte keine andere. Da war er sich sicher. Aber er wollte auch Spaß. Er wollte beides. Spaß mit Noemi. Sie musste sich echt locker machen.
Dann kam Viola auf ihn zu. Sie sah heute besonders heiß aus: knapper weißer Rock, Overknee-Stiefel und ein Stoffstreifen, der kaum ihre Titten bedeckte. Nett. Noemi würde sich darin nicht mal begraben lassen. „Spielst du mit uns Flaschendrehen?"
Sie warf ihre Haare auf diese bestimmte Art über ihre Schulter, die definitiv zu sexy war, um Zufall zu sein. „Klar." Er nahm einen großen Schluck aus ihrem rotem Becher und ließ sich an der Hand von ihr mitziehen.
Gelangweilt folgte er ihr ins Wohnzimmer, wo schon einige Jungs aus dem Basketballteam der Uni saßen. Tristan begrüßte die Jungs und checkte die Mädels: zwei Cheerleader waren dabei, die anderen kannte er vom Sehen, glaubte er jedenfalls. Die waren tagsüber nicht so stark geschminkt und kleideten sich auch anders. Da musste man schon zweimal hingucken.
Viola zog ihn neben sich in den Kreis. Die blonde Cheerleaderin klatschte in die Hände, was ihn schwer an einen klatschenden Seehund erinnerte. Ungefähr so klang sie auch und er konnte sich das Lachen nur mühsam verkneifen.
Als sie die Flasche drehte, drehte sich sein Kopf gleich mit. Hatte er grad ein Wasser getrunken? Er wusste, dass er eines hatte holen wollen, aber hatte er?
Er vergaß das Wasser wieder, als sich Viola rittlings auf seinen Schoß schwang und ihre Lippen auf seine presste.
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L(i)eben ohne dich
RomanceZwei Partnerschaften, beide vollkommen auf ihre Art, die dennoch ungleicher nicht sein könnten und ein Ereignis, was ihrer aller Leben unwiderruflich auf die eine oder andere Weise enden lässt. In dieser Story verbergen sich gleich drei Liebesgesch...