33. „Loyal, Brave, True" (Aaron)

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Vergangenheit
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Evelina stöckelte auf viel zu hohen Absätzen in Aarons Büro, in ihrem rechten Arm einen Stapel Akten transportierend, in ihrer linken Hand den schwarzen Kaffee balancierend - mühsam darauf bedacht beim Öffnen und Schließen der schweren Tür weder zu stolpern, noch zu kleckern oder im schlimmsten Fall die Akten fallen zu lassen. Wieder einmal schalt sie sich eine Idiotin. In Chucks würde es ihr so viel besser gehen, aber nein, sie hing ja immer noch der absurden Idee nach, dass ihr Chef sie in High Heals sehen und vielleicht bemerken würde, was für eine tolle Frau sie war. Sie musste das dringend lassen.

„Dein Zwölf-Uhr-Termin steht im Stau und kommt etwa dreißig Minuten später, deshalb habe ich dein Dinnerdate mit Noemi ins Büro verlegt, so kannst du beides haben." Grinsend stellte sie zuerst den Kaffee ab und legte dann den Stapel Papier zu all den anderen Stapeln auf dem riesigen Schreibtisch. Aaron sah kaum hoch als sie sprach.
„Danke für den Kaffee, die Akten und dein Mitdenken, Liebes. Was würde ich nur ohne so eine fähige Assistentin wie dich tun? Und außerdem steht dir das Kleid ganz ausgezeichnet", bemerkte sie schnippisch, als keine Reaktion erfolgte.

Aaron sah grinsend hoch. „Danke für den Kaffee, die Akten und dein Mitdenken, Evelina. Was würde ich nur ohne so eine fähige Assistentin wie dich tun? Zu deinem Äußeren sage ich lieber nichts, denn das wäre am Arbeitsplatz unangemessen." Er zwinkerte ihr zu und rieb sich dann müde über das Gesicht, bevor er nach dem Kaffee griff.

„Lange Nacht?", fragte Evelina neugierig nach. Seit dem Tod seiner Frau hatte Aaron sie in viele Dinge einbezogen, die als Assistentin/ Sekretärin sicher nicht ihr Job gewesen waren, wie zum Beispiel Geburtstagsgeschenke für Familienmitglieder zu besorgen oder eine Haushaltshilfe auszuwählen, was letztlich zu einer fast freundschaftlichen Verbindung geführt hatte. Nicht zuletzt deshalb liebte sie ihren Job über alles und würde für nichts auf der Welt tauschen wollen. Aaron war als Chef manchmal vielleicht zu streng und penibel, aber er war auch freundlich, fair, interessiert, kompetent und so unverschämt gutaussehend, dass ihre mit weniger perfekten Chefs gesegneten Freundinnen sie höllisch beneideten.

Aaron seufzte. „Lange Nacht wäre schön gewesen." Nur zu gern hätte er mal wieder eine schlaflose Nacht gegönnt, nach der er sich müde, aber zufrieden, ins Büro quälen würde, aber das Schicksal oder die Liebesgötter meinten es nicht gut mit ihm.

„Schlimmer als die Vegan-Barbie, die sich im Restaurant das Steak bestellt hat? Oder eher auf dem Niveau der ich-erzähle-dir-alles-aus-meinem-Leben-was-du-keinesfalls-wissen-möchtest-Dildofee?" Sie grinste ihn an und ließ sich in den weichen Ledersessel ihm gegenüber fallen. Ihre Füße dankten es ihr sofort.

„Irgendwo dazwischen", gestand er ihr seufzend. „Diese Frauen sollten wirklich mit Warnhinweisen versehen werden."

„Nun erzähl schon, was war es dieses Mal?" Evelina beugte sich neugierig vor. Es bereitete ihr eine diebische Freude von den verkorksten Dates Aarons zu hören, das machte ihr eigenes Singleleben irgendwie erträglicher.

„Isabella-Emilia-Harper-Chloe." Nach der Auflistung machte er eine dramatische Pause, die Evelina natürlich nutzte um zu fragen, ob er ein Date oder vier gehabt habe.

„Eins. Mit vier Persönlichkeiten." Er verdrehte die Augen und erzählte Evelina davon, wie sein Date Isabella ihm von ihren anderen Seiten erzählt habe, zum Beispiel sei sie auf der Arbeit die nerdige Streberin Emilia, wenn sie mit ihren Mädels ausgehe, sei sie das Japan liebende Goth-Girl Harper und im Bett sei sie die französische Femme Fatale Chloe. Zu Beginn hatte er das Ganze für einen Scherz gehalten, vor allem, als sie ihm von separaten Kleiderschränken erzählte und davon, wie angenehm es sei nicht immer man selbst sein zu müssen, sondern jede Facette des Lebens in all seinen Expressionen ausleben zu können. 
Als sie ihm während der Vorsuppe jedoch mit dem Fuß das Bein entlang strich und mit dem lächerlichsten französischen Akzent der Welt dann ein unwiderstehliches Angebot machte, habe er wirklich überlegt einfach aufzustehen und zu gehen.

„Was hat sie denn nun gesagt?", fragte Evelina mit großen Augen. 

„Voulez vous couche, avec moi? On peut vous coucher si vous voulez." Als er die verführerisch gehauchten Worte von Chloe wiederholte, konnte er nicht umhin breit zu grinsen. Wieder tönte der alte Song von Christina Aguilera durch seinen Kopf und er sah die vielen Persönlichkeiten seines Dates dazu tanzen.

„Wow", hauchte Evelina. „Sex- und Übernachtungsangebot noch vor dem Hauptgang. Das ist schnell eskaliert." Unwillkürlich musste sie laut lachen, als sie sich die Situation vorstellte. Sie würde ein Monatsgehalt für eine Eintrittskarte zu seinem nächsten Date hergeben.

Aarons gerunzeltere Stirn glättete sich, je länger Evelina brauchte um sich wieder einzukriegen. Als ihr schließlich die ersten Tränen über die Wangen rollten, schmollte er. „Mach dich nur lustig. Mögen deine Dates genauso verflucht sein wie meine." Als sie ihn erschrocken ansah, grinste er boshaft.

„Aaron, mal ganz ehrlich." Er zog abwartend die Augenbrauen hoch. „Ist dir wirklich nicht klar, warum du mit deinen letzten Dates eine Freakshow eröffnen könntest?" Aufmerksam musterte sie ihn. Es musste ihm doch klar sein?

„Nein", seine Antwort kam ein wenig zu schnell und einen Hauch zu zickig.

Sie verdrehte die Augen. Männer. „Du datest nur Frauen, die dich nicht im Entferntesten an Thessa erinnern." Sie sah wie sich seine Miene bei der Erwähnung des Namens seiner toten Frau verdüsterte, redete aber trotzdem weiter. „Und wenn du ständig nach entweder völlig androgynen Trullas mit geringem IQ oder völlig aufgetakelten Wasserstoffblondinen mit dem Mitteilungsdrang von Twitter-Trump Ausschau hältst, die nicht so aussehen, gehen, reden oder lachen beziehungsweise auch nur irgendein Interesse Thessas teilen dürfen, dann wird es von nun an noch schlimmer mit deinen Dates und keinesfalls besser. Jemals." Beendete sie ihre Aufzählung düster. Schulterzuckend lehnte sie sich anschließend zurück. „Du weißt, dass ich recht habe."

„Für ein junges, unerfahrenes Mädel für das dein Vater dich mir verkauft hat, als er mich bat dich einzustellen, kriegst du viel zu viel mit." Sein Seufzen war so tief, dass es selbst Herzen aus Stein zum Schmelzen gebracht hätte.

Evelina grinste. „Und jetzt, wo du meine Weisheit endlich erkannt hast, bekomme ich eine Gehaltserhöhung und du versprichst, dich meinem Rat zu beugen?"

Er nickte. „Ersteres wäre mir lieber."

Sie ignorierte seine Grabesmiene und unterbreitete ihm ihren Vorschlag: „Dein Bruder hat angerufen, morgen Abend ist bei ihm im Stadtteil ein „Weinabend für junge Verwitwete", den die umwerfende Angelique Dunbotton-Prescott durchführt. Ich hab sie gegoogelt, die Frau ist als Trauerbegleiterin richtig berühmt und super sympathisch. Jedenfalls bat er mich dich daran zu erinnern, dort doch mal vorbeizuschauen. Vielleicht hilft es ja, wenn du mal drüber sprichst. Oder mit anderen redest, die dasselbe durchgemacht haben." Sie sah ihm den Widerwillen deutlich an. „Oder die nächste Schickse, die du datest, entpuppt sich wahlweise als Wahrsagerin, deine verschollene Schwester - das erfährst du aber erst nach dem Sex - oder Serienmörderin."

L(i)eben ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt