Vergangenheit
♾♾♾Tristan stand vor dem Spiegel in dem kleinen Raum der Kirche, der ihm zur Vorbereitung überlassen worden war. Er war nicht eitel, drehte sich nun aber doch vor dem Spiegel hin und her um zu checken, ob der hellblaugraue Anzug auch saß.
„Bist du nervös, Bruder?" Taio trat neben ihn. Sein Anzug war mehrere Nuancen dunkler, aber nahezu vom selben Schnitt. Er konnte dem Konzept der Ehe nichts abgewinnen, hatte sich aber dennoch geehrt gefühlt, als Tristan ihn gebeten hatte als Trauzeuge zu fungieren.
„Nein, Noemi ist alles, was ich je wollte. Ich hätte es beinah versaut, als ich mit einer anderen geschlafen habe. Die Fehlgeburt hätte uns beinah zerstört. Das hier ist das Richtige. Das hier ist das Ziel." Er kratzte sich nervös am Hinterkopf. „Ich will nur sichergehen, dass alles so ist, wie sie es sich vorgestellt hat." Wieder zuppelte er an seiner Weste herum und nestelte an seinem Anstecksträuschen.
Taio lächelte über seinen Bruder, zuckte dann mit den Schultern und setzte sich zurück auf das kleine Sofa. Dass sie sich irgendwann wirklich an dieser Stelle befinden würden, war lange Zeit nicht absehbar gewesen und er hatte es lange so empfunden, dass alle Wahrscheinlichkeiten dagegen sprachen.
Dennoch saßen sie hier und er war sich sicher, dass er seinen fairen Anteil daran hatte.♾♾♾
VergangenheitTaio war blaß geworden, als Tristan in Noemis Zimmer gekommen war um mit ihr zu reden. Sein Bruder war seit Monaten nicht zurechnungsfähig und er traute ihm leider gar nichts mehr zu. Wirklich. Gar nichts.
„Noemi, ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr." Taio atmete erleichtert aus, das war ein besserer Anfang, als befürchtet, obwohl eine Unterhaltung mit seinem Bruder immer noch das Potenzial für eine Katastrophe biblischen Ausmaßes barg. Außerdem konnte er sehen, dass die Worte Noemi nicht erreichten; musste mit ansehen, wie sie sich wieder in sich zurückzog.
„Ich glaube alles passiert aus einem Grund. Das Kind - unser Kind - ist nicht geboren worden, weil dein Körper wusste, dass der Fötus es nicht schaffen würde. Dein Körper hat unser Kind vor Leid - einem Leben in Krankheit - bewahrt."
Unauffällig wischte Taio seine schweißnassen Hände an seiner Jeans ab, denn das war verdammt dünnes Eis auf dem er sich bewegte. Wirklich. Hauchdünn.„Dein Körper - du - bist gemacht um Mutter zu werden. Ich könnte mir keinen besseren Menschen vorstellen, der Leben in diese Welt bringen und es sicher durch alle Höhen und Tiefen begleiten könnte, als du."
Noemi blinzelte die Tränen aus ihren Augen fort und sah ihn an. Taio lächelte. Sie sah Tristan tatsächlich an und nicht durch ihn hindurch. Konnte das sein?„Deshalb frage ich dich, Noemi Catherine White, willst du meine Frau werden und gemeinsam mit mir eine Familie gründen?"
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Es klopfte und ihre drei Schwestern stürzten herein. Nach ihrer unmöglichen Reaktion auf seine Verlobung hatte Tristan geglaubt, dass in ihrer Beziehung unwiderruflich etwas zerstört worden war, aber die letzten Wochen - die vielen gemeinsamen Planungsnachmittage, die Vorbereitungen, das gemeinsame Shoppen, Aussuchen, Verwerfen, Verzweifeln an Farbkonzepten und der Frage nach der Notwendigkeit von Stuhlhussen - hatten ihnen einen fragilen Frieden beschert.
„Da ist er," klatsche Alana in die Hände.
„Wie sieht es aus, sind die Füße schön warm oder sollen wir den Fluchtwagen vorfahren?" Grinsend umarmte ihn Aria und auch Amelie konnte die große Klappe nicht halten und reihte sich in das Geschnatter der beiden anderen ein.
„Du siehst gut aus, Brüderchen. Aber nicht mal annähernd so fantastisch wie Noemi. Versau das bloß nicht, so eine Frau findest du nie wieder."
♾♾♾
Vergangenheit„Am besten nimmst du gleich ihren Nachnamen an - White, dann passt das," zischte Alana Tristan an und Amelie warf direkt hinterher: „Das war ja klar, dabei dachten wir, dass sich das endlich erledigt hat."
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Taio runzelte die Stirn. Er verstand nicht, wieso Amelie nun so tat, als wäre Tristan gesegnet, Noemi gefunden zu haben, war sie doch wirklich laut und hässlich geworden, als sie von der Hochzeit gehört hatte. Kopfschüttelnd sah er wieder auf sein Buch. Er musste das auch nicht verstehen. Hauptsache es stritt sich mal niemand.
Als wenig später ihr Vater hinzukam, schickte er die schnatternden Weiber hinaus und wollte auch Taio bitten zu gehen. Ein Blick in die Gesichter der Zwillinge und er überlegte es sich anders.
„Tristan, ich möchte mit dir sprechen."
Er stand schon wieder vor dem Spiegel und nestelte an seinem Anstecksträußchen, aber als sein Vater mit ihm sprach, drehte er sich um und sah ihn erwartungsvoll an.
„Zuerst einmal sollte ich mich entschuldigen. Ich - wir - haben es dir und Noemi nicht leicht gemacht, wir waren nicht immer fair zu ihr", Tristan riss sich am Riemen eine neutrale Miene zu bewahren, aber das laute Schnauben Taios brachte ihren Vater aus den Konzept. Irritiert sah er zu Taio, bevor er sich räusperte und weiter sprach. „Es tut mir leid. Alles. Jeder dumme Spruch, jeder fehlende Support."
Tristan nickt. „Ist ok, Dad."
Taio spürte die Wut in seinem Bauch, wieso vergab Tristan ihm so leicht? Selbst er, Taio, hatte der Familie nicht vergeben.
Sofia kam herein und scheuchte sie hinaus in die Kapelle. „Es ist soweit."
Tristan und Taio nahmen ihre Plätze vorn am Altar ein. Pfarrer Braun klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Und noch bevor er sich die Gäste konkreter hatte ansehen können, erhoben sich diese, als die Violinistin begann Everything I do, I do it for you zu spielen.
Tristan richtete seinen Blick sofort auf den Mittelgang. Kurz griff seine Hand nach der seines Zwillings, der sie bereitwillig fest drückte. Darauf hatte er gewartet, seit er zwölf war. Und obwohl sie die schweren Zeiten durchgemacht hatten, bevor sie einander das Versprechen gaben sich auch in diesen zu lieben und obwohl er wusste, dass er es beinah versaut hätte, standen sie hier. Und in wenigen Augenblicken würde Noemi seinen Namen tragen, wäre sie auf ewig mit ihm verbunden.
Als die Türen sich öffneten und Noemi heraustrat, blieb ihm beinah das Herz stehen. Sie war atemberaubend schön. Das Kleid schmiegte sich um ihren Körper, als sei es nur für sie gemacht worden. Ihre Haare fielen offen und in großen Wellen über ihre Schultern. Und ihr Blick - ihr Blick hielt den seinen gefangen und ließ ihn alles vergessen. Nur sie zählte. Nur sie würde zählen.
Tristan hörte kaum, wie Pfarrer Braun sie begrüßte. Lesung und Fürbitten rauschten an ihm vorbei, alles was er wahrnahm, war ihre warme Hand in seiner. Und dann forderte Braun ihn auf das Gelübde zu sprechen.
„Noemi, Du bist die Antwort auf alle meine Gebete. Du bist Musik, ein Traum, die Sonne. Ich will nicht wissen, wie es ist ohne dich zu leben. Ich habe dich immer geliebt, liebe dich mehr, als du dir vorstellen kannst und werde dich immer lieben. Willst du meine Frau werden?"
„Ja, ich will." Noemi lächelte Tristan mit Tränen in den Augen an und sah dann auf ihre verschlungenen Hände. Das hier war das Ziel. Seit zwölf Jahren waren sie zusammen und es würde nie einen anderen geben.
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L(i)eben ohne dich
RomanceZwei Partnerschaften, beide vollkommen auf ihre Art, die dennoch ungleicher nicht sein könnten und ein Ereignis, was ihrer aller Leben unwiderruflich auf die eine oder andere Weise enden lässt. In dieser Story verbergen sich gleich drei Liebesgesch...