Ich muss es ihm sagen

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Mik

An diesem Abend saß ich lange auf meinem Bett, starrte auf den Bildschirm über meinem Bett, der gerade einen atemberaubenden Sternenhimmel zeigte. Ein Gedanke jagte den nächsten, und mir wurde fast schwindlig vom Wirbelsturm meiner Überlegungen. Würde Kostas mit mir kommen, wenn es John wirklich gelang mich abzuholen? Würde er sein Leben für mich hinter sich lassen? Er war schließlich nicht Glücklich hier, doch reichte es, um den Sprung ins Ungewisse zu wagen? Neulich hatte er noch gesagt, er wolle das was wir hatten beenden. Seit dem quälten mich zwar seine sehnsüchtigen Blicke, dennoch war ich mir nicht sicher, wie er dazu stehen würde. Wo standen wir gerade? Oder, bessser, wie standen wir zu einander? Vielleicht war es für alle am einfachsten, würde ich einfach verschwinden. Er könnte sein Leben weiterleben. Er wäre in Sicherheit. Wenn ich mit John ging, konnte ich nicht sagen, was uns erwarten würde. Ich wusste nichts über seinen Plan, nichts von seinen Komplizen, hatte keine Chance einzuschätzen wie realistisch es war, aus der Sache überhaupt lebend herauszukommen. Doch ich musste es versuchen.

Aber würde ich einfach gehen können? Ohne ein Wort des Abschieds? Ohne jegliche Erklärung? Nein. Das konnte ich nicht. Er sollte wenigstens wissen, wie ich mich entschieden hatte. Ich musste ihm sagen, dass es für uns besser war... sicherer. Dass wir nicht zusammen sein konnten, es nicht durften...das hatten wir schließlich immer gewusst.

Ich erhob mich und schlich über den Flur bis rüber zu Kostas Zimmer. Ich lauschte kurz an der Tür, doch dahinter war es vollkommen still. Also bat ich Kimmy mich hinein zu lassen, und da Kostas mir zu jeder Zeit den Zutritt zu seinem Zimmer gewährt hatte, öffnete sich die Schiebetür leichtgängig sodass ich ins Zimmer huschen konnte. Kostas hob verschlafen den Kopf.

„Kann ich kurz mit dir reden?", flüsterte ich vorsichtig.

„Klar.", murmelte er. „Komm her", er klopfte neben sich auf die Bettkannte und ich setzte mich neben ihn.

„Ich...", setzte ich an, brach aber sofort wieder ab. Wo sollte ich nur anfangen? Wie sollte ich ihm sagen, dass ich gehen würde?

‚Er hat selbst gesagt, dass wir nicht zusammen sein können.' sagte ich zu mir selbst. Ich atmete tief durch.

„Kostas, ich werde fort gehen..." setzte ich an. Seine Augen weiteten sich, fast im selben Moment fuhr er hoch, setzte sich auf und griff nach meinem Arm.

„Was? Nein! Wo willst du denn hin?", stotterte er. Ich biss mir auf die Lippe, dann begann ich schließlich zu erzählen. Ich berichtete von dem Treffen mit meinem Bruder und von seinen Worten.

„Deswegen warst du heute so komisch!", flüsterte er und ich nickte schnell. Er hatte sich auf einen Arm aufgestützt und sah mich aufmerksam an.

„Ich weiß nicht. Mir gefällt das nicht. Wer weiß wo er dich hinbringt! Vielleicht ist es da nicht sicher... Wenn du hier bleibst, dann passe ich auf dich auf. Dir wird nie etwas zustoßen, das schwöre ich!"

„Aber dann werde ich nie frei sein. Dann sehe ich dir dabei zu, wie du dein Leben lebst, einen Job ergreifst, vielleicht irgendwann heiratest. Ich werde hier zu Hause hocken, vielleicht später auf deine Kinder aufpassen. Ich glaube nicht, dass ich das kann. Du hattest schon Recht, wir können nicht zusammen sein. Das hätten wir von Anfang an wissen müssen. Aber die Konsequenz dessen ist, dass du mich gehen lassen musst.", ich schluckte hart. Seine Augen wurden glasig, und auch meine Augen brannten, aber ich würde jetzt verdammt nochmal nicht heulen.

„Miki", sagte er und ich drückte seine Hand.

„Ja?"

„Ich werde dich nicht bitten zu bleiben, wenn du es nicht kannst. Ich liebe dich genug um dich freizulassen... du hast sowieso nie mir gehört. Du gehörst nur dir selbst, und so soll es auch immer sein." Nun lief doch eine Träne an meiner Wange hinunter. Kostas legte seine Hand an mein Gesicht und wischte den Tropfen mit seinem Daumen fort. Er liebte mich. Wenn er mir das in einer weniger verzwickten Situation gesagt hätte, würde ich jetzt vermutlich platzen vor Glück. Doch so wie es jetzt war, versetzten mir seine Worte nur einen zusätzlichen Stich.

„Weine nicht. Du bist frei, kleiner Vogel. Ich möchte, dass du fliegst. Du hast die Freiheit verdient." Ich musste lachen, weil seine Metapher so absurd war... Und trotzdem irgendwie süß. Bittersüß.

Keine Ahnung, wer den Schritt dazu machte, vermutlich waren wir es beide, doch im nächsten Augenblick lagen unsere Lippen aufeinander. Der Kuss hatte etwas Verzweifeltes an sich, ich klammerte mich an Kostas fest und wir küssten uns so einnehmend, dass es fast unsere Worte von Freiheit auslöschte. Fakt war: wir wollten einander nicht los lassen.

Dunkel gingen mir Johns Worte wieder durch den Kopf. Kostas konnte mitkommen, wenn er wollte, doch das konnte ich ihn nicht fragen. Ich konnte ihn nicht bitten mit mir zu kommen, nicht wenn ich nicht wusste, wo die Reise für mich hinging, und ob sie gut ausgehen würde. Ich musste ihn doch beschützen.

Nein wir landeten an diesem Abend nicht im Bett. Also schon, aber nicht auf diese Art und Weise. Ich hob einen Zipfel seiner Decke an, und schlüpfte mit unter die Bettdecke, schmiegte mich fest an ihn und genoss die Wärme die von seinem Körper ausging. Vielleicht wäre John bereits morgen da. Viellicht in ein paar Tagen. Wie gefährlich es auch war, ich konnte an diesem Abend nicht zurück in mein Zimmer gehen. Ich konnte einfach diese letzte Kostprobe des Himmels nicht unangetastet lassen, wenn es schon morgen vorbei sein konnte.

„Kimmy, verriegle das Zimmer", sagte Kostas, bevor er die Augen wieder schloss. Er lag in meiner Armbeuge, und ich hielt ihn mit beiden Armen umfangen. Das würde ich so sehr vermissen, wenn er nicht mehr da wäre.

„Ich liebe dich", flüsterte er, was mir augenblicklich eine Gänsehaut verschaffte.

„Ich liebe dich auch", gab ich leise zurück. „Du hast ja keine Ahnung."

Ich wurde von einem dumpfen Geräusch geweckt, Licht flutete das Zimmer und aufgeregte Stimmen waren zu hören. Ich hatte so fest geschlafen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, was passiert war. Doch nun wurde mir das Ausmaß der Katastrophe mit einem Schlag bewusst...

Human Toy - KostoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt