Ganz nahe dran

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Mik

Es war wie in einem Traum. Nach dem Frühstück ließ sich die Herrin des Hauses noch reichlich Zeit bis sie schließlich den Händler kontaktierte. Ich war gerade dabei die dreckige Wäsche aus allen Ecken der Wohnung zusammen zu sammeln, ging dabei immer wieder am Elternschlafzimmer der Familie vorbei und versuchte stets einen neuen Vorwand zu finden, um inne zu halten und einen Bruchteil des Gespräches, was dort hinter verschlossenen Türen stattfand, aufzuschnappen.

Als die alte Schabracke aus dem Zimmer stürmte, hatte ich mich auch gerade unmittelbar vor der Tür befunden und konnte von Glück reden, dass mich meine Instinkte nicht verlassen hatten und ich der aufschwingenden Tür noch gerade so durch ein Ausweichmanöver entkommen war. Auf eine Beule am Kopf konnte ich getrost verzichten.

Die Geheimhaltung hatte sich in dem Moment erledigt, als die Frau ihrem Ehemann freudig davon berichtete, mit welchem Gewinn sie mich wieder verkaufen würde, schon heute Nachmittag sollte sie mich zurück zum Markplatz bringen und – wenn ich ohne neue Markel abgegeben wurde, das zehnfache meines Kaufpreises erhalten. Meine Augenbraue schnellte nach oben, als ich den Betrag hörte. Wieder machte sich diese Frage in mir breit. Wie hatte Kostas es angestellt, dass mich sein Vater zurückholen wollte. Und das auch noch unter so hohem finanziellem Aufwand. Irgendwie sah ihm das nicht ähnlich.

Doch ich hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, kaum hatte ich die Wäsche fertig, bat man mich Abschied von den Mädchen zu nehmen, was ich auch in aller Förmlichkeit tat. Mir tat die Kleine einen Moment lang leid, die bereits begonnen hatte mich in ihr Herz zu schließen. Doch dann fiel mir wieder ein, dass es vermutlich besser war, wenn sie den unwürdigen Umgang mit Sklaven mitbekam, um im besten Fall möglichst früh in ihrem Leben an den Punkt zu kommen, an dem sie die Haltung von Leibeigenen in Frage stellen würde. Schließlich war die Kleine ziemlich schlau.

Ehe ich mich versah, hatte ich eine Kette am Halsband und wurde erst in ein Shuttle und dann zurück zum Marktplatz gezerrt. Die Freude im Gesicht meiner Noch-Herrin war deutlich zu sehen, auch wenn sie sich bemühte ihre Genugtuung zu verstecken. Sie war froh mich mit so viel Gewinn verkaufen zu können. Dass sie in Begriff war einen Menschen gegen Geld einzutauschen, schien für sich vollkommen normal zu sein. Sie hatte mich gekauft, sie konnte mich auch wieder veräußern. So einfach war das.

Der Händler wartete, vor dem Marktstand bereits auf die Ankunft seiner wertvollen Wahre. Wie ich feststellte, sobald wir näher gekommen waren, war auch Kostas Vater vor Ort um den Handel abzuschließen. Doch wo war er? Wo war Kostas?

Irritiert schaute ich mich um, doch allem Anschein nach war er wirklich nicht hier. Das sah ihm nun überhaupt nicht ähnlich. Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Kostas

John sprang zeitgleich mit mir auf. Wir hechteten Seite an Seite die Treppe hoch und durch die alte Fabrikhalle, wo uns Hank bereits entgegen kam.

„Wir wissen wo er ist. Wir haben das Gespräch seiner Besitzerin abgehört und offenbar verkauft sie Mik noch heute. Wir müssen ihn vorher abfangen, wenn wir ihn nicht schon wieder verlieren wollen.", erklärte er knapp. „Da der Händler im Auftrag eines Kunden handelt, wäre es schwierig dann einen Moment abzupassen, Mik freizubekommen."

John und ich sahen uns an.

„Wieso im Auftrag eines Kunden? Wer will denn ausgerechnet Mik haben? Ich meine, es muss doch einen Grund dafür geben?", fragte John fast schon etwas verzweifelt. Mir selbst kam das auch komisch vor, doch ich konnte im Moment nicht genauer darüber nachdenken. Alles was ich wusste war, dass wir wenig Zeit hatten und es wichtig war, Mik nicht wieder zu verlieren oder ihn bis sonst wohin verfolgen zu müssen.

„Was können wir tun?", fragte ich daher nur knapp.

„Isak ist vor Ort und beschattet den Wohnort der Familie, in der Mik zurzeit dient. Offenbar bringt ihn die Frau heute noch zu dem Händler zurück, der ihn ihr auch verkauft hat. Er hat ihr anscheinend ein unschlagbares Angebot gemacht."

„Dann weiß ich wo sie ihn hinbringen! Das ist der Marktplatz ganz in der Nähe von unserem Apartment.", brachte ich aufgeregt hervor. Ich brannte darauf irgendetwas beizutragen. Endlich etwas tun zu können.

„Dann bringst du uns dort hin, Isak kann uns ein Zeichen geben, wenn sie das Haus verlassen, und wir versuchen Mik dann auf dem Markplatz zu finden. Vielleicht erwischen wir einen günstigen Augenblick um ihn frei zu bekommen."

John und ich nickten, dann machten wir uns auf den Weg zum Shuttle. John stand so weit im Vertrauen, dass es an ihm war zu entscheiden, wer bei dieser Mission dabei war. Offenbar war ihm klar, dass er es mir diesmal nicht ausreden konnte, mitzukommen, denn er versuchte es nicht einmal. Stattdessen gab er Kaja und Jessy Bescheid, die sich uns ohne zu zögern anschlossen. Mehr als vier Leute wären zu auffällig gewesen. Weniger zu riskant.

Da die Gruppe relativ klein war, nahmen wir eines der kleineren Shuttles, die ebenfalls auf dem Gelände untergebracht waren. Sie waren nicht ganz so alt wie das Gruppenshuttle aber auch sie waren nicht gerade welche der neusten Modelle. Kaja programmierte das Ziel an, welches ich ihr nannte (die Sprachsteuerung war ausgefallen) und Jessy übernahm den Technik check, bevor wir uns auf den Weg machten. John hatte sich ein Headset angelegt, mit dem er sich bereits mit Isak verbunden hatte. Alles ging so schnell, dass mir diese Aktion immer mehr vorkam wie ein Himmelfahrtskommando, doch es gab keine Alternative. Wir waren so nahe dran. Wir mussten es einfach versuchen.

Human Toy - KostoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt