Am nächsten Tag verkündete der Arzt, dass er mich gern noch zwei weitere Tage dabehalten wollte. Da ich immer noch unter Kopfschmerzen litt und nicht symptomlos war, wollte er kein Risiko eingehen. Ich murrte zwar, aber hatte keine Wahl. Die Schulwoche war für mich damit gegessen und ich käme spätestens am Sonntag raus.
Nun gut... so ungern ich im Krankenhaus auch verweilte, hatte es dennoch sein Gutes: Ich musste nicht nach Hause.
Selbst, wenn früher entlassen worden wäre, hätte ich eine moderate Bettruhe verordnet bekommen.
Kein Training. Keine große Bewegung. Da könnte ich auch hierbleiben und hätte zumindest Ruhe von meiner Mutter, die mich morgens und abends überwachen würde. Natürlich hatten wir uns noch nicht ausgesprochen, und das würde auch so bleiben. Daher war meine Motivation eh nicht besonders groß, das Bett in der Klinik freizumachen.Obwohl Oikawa mich bisher allein besuchen kam, hatte er am späten Freitagnachmittag dann die beiden Mädchen dabei. Selbst Iwaizumi-kun war mitgekommen. Ich war zunächst etwas beunruhigt, da ich nicht wusste, wie Miraikawa und Yumei diese Eskalation auf dem Dach aufgenommen hatten. Doch schnell stellte sich heraus, dass es ihnen entweder wirklich egal war, was für Drama zwischen meiner Mutter und mir herrschte – dass sie mir deswegen keine Vorwürfe machen oder mich schräg ansehen würden – es für sie wirklich egal, oder aber sie konnten es einfach nur gut überspielen. Jedenfalls war ihre Gesellschaft angenehmen und wir hatten eine Menge zu erzählen.
Mehr, als ich vermutet hätte: Der neuste Jahrgangsklatsch, die bevorstehenden Schulveranstaltungen und natürlich auch, was im Training passiert war. Gerade letzteres brachte mich sehr zum Lachen, denn während Oikawa seine Version der Geschichte erzählte, bekam er von Iwaizumi-kun öfter mal eins auf den Deckel oder wurde direkt noch im Satz selbst verbessert.
Im Grunde war es mir ganz gleich, worüber sie redeten: denn die Art und Weise wie wir zusammensaßen, miteinander scherzten und einfach drauflos quatschten, erwärmte mein Herz und ich hatte nicht mehr das Gefühl, in diesem sterilen Krankenhaus zu sein, isoliert in meinem Zimmer. Genauso wenig wie ich das Gefühl hatte, allein in Sendai zu sein. Der Himmel wurde ein bisschen blauer, die Wolken etwas weniger. Ich genoss die Sonne, die jetzt mit ihren Strahlen meine Welt erhellte.
Ein flüchtiger Blick ging jedoch zu meinem Telefon, welches ich neben mir auf der Bettdecke zu liegen hatte. In unserer Unterhaltung hatte es plötzlich zu vibrieren angefangen. Ein eingehender Anruf.
Ich wandte meine Augen wieder ab und fokussierte mich auf die anderen. Sollte es doch klingeln.
Die Mädchen und Iwaizumi hatten sich bei irgendwas hochgeschaukelt und diskutierten lautstark, bekamen die Unterbrechung gar nicht mit, während Oikawa mich fragend anschaute.
Ja, ich wusste, dass ich langsam mal mit meinem Vater reden müsste. Er würde nicht lockerlassen. Okay.
Nur wollte ich das eben nicht jetzt.
Ich baute mich gerade erst wieder auf! Es dauerte noch, bis das Fundament sicher stehen würde und ich mich dann mit dem Bau des nächsten Stockwerks beschäftigen würde. So lange müsste er eben warten. Denn auch, wenn er mir im Gegensatz zu meiner Mutter noch nie jeden Tag mit Mäkeleien in den Ohren gelegen hatte, war ich auch auf ihn sauer, dass er es zugelassen hatte. Dass sie mich einfach hatte mitnehmen können.
Am späten Samstagnachmittag telefonierte ich demnach lieber mit Tetsurou. Er war schockiert über die Ereignisse, und wenn ich meine Mutter schon an dem Tag beleidigt hatte, tat er es daraufhin ums Dreifache.
Ich musste ihn regelrecht beruhigen, weil er sich so in Fahrt redete, aber das gelang mir eher schlecht als recht.
Dennoch fand ich es immer noch lieb, dass er sich so meinetwegen aufzuregen wusste:
„Ist ja wohl klar. Du bist hier vier Stunden von mir entfernt und ich kann nichts für dich tun!", rechtfertigte er sich mit einem genervten Stöhnen, woraufhin ich Wärme in meine Wangen aufsteigen fühlte.
„Ich weiß... aber ich bin ja nicht allein. Ich... werde auch wieder spielen! Das Mädchenteam nimmt mich auf und sie sind wirklich nett!", versuchte ich ihn weiterhin zu besänftigen und das Positive herauszuarbeiten. Anscheinend zeigte es etwas Wirkung, da seine Stimme mit den nächsten Worten ruhiger klang:
„Sagte ich doch! Du bist einfach nur ein Hasenfuß!"
„Wieso bist du so gemein?!"
„Schlag mich doch, wenn du kannst", lachte Tetsu nur fies.
Ja, das hatte ich früher... zumindest versucht. Er war damals schon viel zu groß für mich gewesen, als dass ich überhaupt richtig an seinen Hinterkopf rangekommen wäre. Heute könnte ich wenigstens das!
„Und... welche Position?"
„Angriff und Zuspiel."
„Das ist okay für dich?"
„Ich werde mir ein bisschen Nachhilfe holen."
„Nachhilfe?" Tetsu klang überrascht, „Du beherrschst doch alles?"
„Nein, ich meine Setter-Nachhilfe", erklärte ich mit einem selbst mir unbemerkten sanften Lächeln auf den Lippen. Mein Zeigefinger begann gedankenversunken die Falten der Bettdecke nachzuzeichnen.
„Mir fehlt es an Durchblick und an Feingefühl. Oikawa-san wird mich etwas schulen. Vielleicht verstehe ich dann, wie ich den Ball besser dem Spieler anpassen kann", erzählte ich weiter und blickte aus dem Fenster, in den Himmel des dämmernden Sendais.
„Oikawa?", entfuhr es meinem Freund auf der anderen Seite immer noch irritiert, „Seit wann interessiert der sich für andere?"
Es klang nicht gerade freundlich, fast schon ein bisschen... verärgert?
„Eigentlich kann er sogar ziemlich nett sein. Wenn er sein Gehabe mal beiseitelässt. Er hat mir die Aufgaben der letzten Tage gebracht und sich sogar die Zeit genommen, sie mir zu erklären. Selbst Mathe hab ich jetzt verstanden."
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So wie du bist (OikawaxReader)
RomanceWas gibt es Schöneres, als dass sich nicht nur deine Eltern trennen, sondern du auch noch dazu verdonnert wirst, mit deiner Mutter nach Miyagi zu ziehen? Fernab deiner Freunde in Tokyo, deines besten Freundes und das mitten im letzten Schulhalbjahr...