[29.2] Grenzen überwinden

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Ich werde nach Argentinien gehen, um dort professionell Volleyball zu spielen."

Egal, wie oft ich versuchte, diesen Satz zu verstehen – ich musste mich doch einfach verhört haben – es ergab alles keinen Sinn. Argentinien?

„D-Das... W-wie kommst du auf diese Idee? Warum ausgerechnet Argentinien?", fand Seira als erstes von uns die Sprache wieder, wenn auch sehr tonlos.

„Ich habe mit dem Coach der argentinischen Mannschaft aus San Juan vor einiger Zeit gesprochen, als er hier in Japan war. Und ich will diese Chance nutzen."

„Tooru, hast du dir das gut überlegt?", brachte nun auch sein Vater hervor und man hörte ihm an, wie er den Kloß im Hals herunterschluckte. „Wie willst du dort leben? Bis du dir einen Platz in der Mannschaft erspielt hast... Das wird doch sicher dauern?"

„Ich werde einen Job annehmen, notfalls mehrere. Das wird schon werden."

Nein... nein, nein, nein, nein!! NEIN!

Es verkrampfte sich alles in mir. Jeder Muskel, meine Lungen, mein Herz. Ließ den Sauerstoff nicht mehr in mein Gehirn ankommen, so dass ich Schwindel aufkommen fühlte.

Das ging nicht. Das konnte nicht sein. Das konnte Tooru nicht machen!!

Wie von einer Horde Jäger getrieben, sprang ich auf, schmiss dabei beinahe die Tasse mit dem Tee um, aus der ich kaum getrunken hatte.

„V/N-chan!!", rief mir Seira noch nach, aber ich stürzte schon auf den Flur, stürzte ebenso zur Tür hinaus, noch in Hausschuhen, und stolperte über die Steinplatten bis auf die unbelebte Straße des Wohnviertels. Ich keuchte, glaubte zu ersticken. Mir brannte die kalte Luft der Nacht in den Lungen. Meine Nase war binnen von Sekunden eiskalt und taub. Ich spürte die Kälte durch die dünne Kleiderschicht auch in alle anderen Körperregionen dringen, aber vor allem... machte sie sich in meinem Herzen breit.

Wie konnte er das tun? Wie konnte er...

„V/N..."

„Wie konntest du das tun?", rief ich zunächst zittrig hinter mich, als ich Toorus sanfte Stimme vernommen hatte, wurde aber sogleich lauter, als ich es wiederholte: „Wie kannst du mir... uns das antun?!"

Noch nie hatte ich ihn so verzweifelt angeschrien. Aus Wut heraus, ja. Aber selbst da war ich nicht so emotional gewesen.

Ich hatte mich zu ihm herumgedreht, presste so fest die Lippen aufeinander, dass sie mir wehtaten. Hatte meine Hände zu Fäusten geballt und das Gefühl, dass mit einem Mal meine ganze Welt zusammenbrach, verstärkte sich mit jeder weiteren Sekunde.

„Wieso... Wieso hast du nicht mit mir darüber geredet? Über all das? Über die Kyudai oder dass du jetzt sogar nach Argentinien willst? Ist das dein beschissener Ernst?"

„V/N, ich wollte es dir sagen, aber-"

„Aber was? Was war so wichtig, dass du mir nicht sagen konntest, dass wir anscheinend ein paar tausend Kilometer voneinander getrennt leben werden?", fuhr ich ihm über den Mund und konnte jetzt nicht mehr verhindern, dass meine Angst ihn zu verlieren, meine Wut und meine Trauer, die Enttäuschung, dass all das zusammenmischte und mich heulen ließ. Begleitet von schmerzhaften Schluchzern, die mich bis ins Mark erschütterten.

„Genau das", antwortete mir Tooru, kam näher und trat dabei ins Laternenlicht.

Als sich unsere Blicke trafen, ich ihm in die Augen sah, konnte ich die Spuren eines lang ausgefochtenen Kampfes erkennen. Wie müde auch er aussah. Wie er mich mit einem Ausdruck in seinen braunen Iriden bedachte, als hätte er meine Reaktion tatsächlich kommen sehen. „Ich... wollte nicht, dass du dich meinetwegen einschränkst."

So wie du bist (OikawaxReader)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt