[18.1] Etwas ausbaden

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Die gestrige Aktion mit der Wasserflasche hatte zumindest etwas Gutes bewirkt: Die Mädchen ließen mich erst einmal in Ruhe. Keine Kommentare, keine Aktionen wie jene in der Toilette, keine dummen Sprüche an der Tafel oder auf meinem Tisch. Meine Schuhe blieben an ihren Platz und auch um die Inhalte meiner Tasche musste ich mir keine Sorgen machen.

Ich vermutete, dass es daran lag, dass Kawamaki als ihre Anführerin bereits ihr Fett vom Direktor wegbekommen hatte und die Lehrer somit umso aufmerksamer waren, was üble Nachreden und offensichtliche Schikane betraf. Zum anderen war Toorus Ausraster nichts gewesen, womit die Klasse gerechnet hatte und ihnen damit im Gedächtnis blieb. Sie kannten ihn als ausgeglichenen, manchmal etwas draufgängerisch wirkenden Mitschüler, der auf dem Feld passioniert war, aber nie andere auf solche Art anging, wie er es an jenem Tag getan hatte. Sie mussten es für sich einzuordnen lernen und es fiel ihnen sichtlich schwer, denn eine bestimmte Frage ließ sich nicht mit wenigen Worten und bisherigen Annahmen beantworten: Was für eine Person ist Oikawa Tooru?

Witzigerweise war dies eine Frage, welche sich auch generell auf die Gruppe übertragen ließ: Wer waren meine Mitschüler? Man spürte die aufkeimende Unsicherheit, welche wegen Kawamakis und meines Disputs entstanden war. Unsicherheit darüber, ob die letzten zweieinhalb Jahre nur oberflächlicher Show gegolten hatten und ob man sich noch trauen konnte. Dieser Zustand ließ mich jetzt auch nicht unbedingt wohler fühlen, doch zumindest war der zeitweilige Waffenstillstand für meine Nerven beruhigend. Und die Pausen, welche ich mit den Mädels des Volleyballteams oder mit den Jungs und Tooru verbrachte, waren spaßig und ich relativ guter Stimmung.

Jene wandelte sich allerdings in zunehmender Nervosität, als mein Blick im Nachmittagstraining immer wieder auf die Uhr fiel, weil ich heute verdammt pünktlich losmusste. Es tat mir leid, dass ich so abgelenkt war, immerhin gaben die Mädchen ihr Bestes. Yumei und ich versuchten mühevoll, ihnen das Läufersystem einzutrichtern, welches wir im Interhigh anwenden wollten. Da der liebe Gott kleine Sünden bekanntlich aber sofort zu bestrafen wusste, wunderte ich mich nicht, als mich wegen meiner eigenen Unachtsamkeit plötzlich ein Ball mitten auf die Nase erwischte. Verdammte Grübelei!

„N/N-san! Alles okay?"

Eri kam auf mich zugelaufen und entschuldigte sich hundertfach. Ich nickte nur und winkte ab.

„Schon gut, ich muss mich entschuldigen. Meine Gedanken sind gerade leicht woanders."

„Vermutlich bei ihrem Freund", spaßte Ayako, sorgte für ein Lachen im Team, in welches ich kurz mit einfiel. Nein, das war es nicht. Trotzdem schob ich das anstehende Abendessen so gut es ging für die letzten Minuten zur Seite. Ein Abendessen, welches für mich entweder eine große positive Wendung der ganzen Familienkiste oder das komplette Gegenteil bedeuten würde.

Nach Beendigung der Übungseinheit der Mädchen brachte ich eilig die Bälle zurück in den Ballwagen, baute das Netz ab, räumte alles in die passenden Schränke und legte die Stangen auf die Halterung, ehe ich zu den Jungs ging, welche gerade in einer Besprechung saßen, während sie sich stretchten:

„Wir spielen in zwei Tagen gegen Nekoma und ich möchte, dass ihr an diesem Tag topfit seid", sprach Mizoguchi mit verschränkten Armen vor der Brust und warf dabei einen längeren und ernsten Blick in die Runde. „Das heißt im Klartext: keine Extratrainings, keine übertriebenen Anstrengungen.

„Wieso seht ihr mich alle so an!?", schnappte Tooru auf die plötzlich aufkommende Stille – nicht ganz zu unrecht, denn immerhin lagen tatsächlich alle Augenpaare auf den Kapitän, einschließlich meines.

„Das weißt du wohl ganz genau!", hatte ihm Iwaizumi bereits seine Fuß auf die Schulterpartie gedrückt, so dass der Rest sich prustend abwandte, als ihr Kapitän zu jammern begann. Nun wusste er, wie ich mich gefühlt hatte, als er Ähnliches mit mir an jenem Abend getan hatte. Schmerzen der Hölle.

So wie du bist (OikawaxReader)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt