[14] Mädchengespräche

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Meine deprimierte Stimmung am Morgen, welche durch den Albtraum hervorgerufen worden war, hatte sich über den Tag langsam aber sicher wieder gelegt. Ich brauchte vermutlich einfach nur etwas Ruhe um durchzuatmen und über ein paar Dinge nachdenken zu können:

Darüber, wie ich meiner Rolle als Managerin gerecht würde.
Darüber, wie ich vielleicht die Mädchenmannschaft wieder zusammenraufen könnte.
Zwar auch, wie ich Mathe verstehen sollte, um die Abschlussprüfung zu bestehen, aber... das war nur nebensächlich. (Ich würde über Nacht wohl kaum zum Genie werden, selbst mit Toorus guten Erklärungen!)

So war ich den Schulweg über recht still geblieben und als wir Iwaizumi auf der Hälfte trafen, hielt ich mich ebenso zurück, gefangen in meiner eigenen kleinen Gedankenwelt. Unser Ass bemerkte zwar, dass ich schweigsam war, aber schob das auf meine Müdigkeit, da ich immer mal wieder gähnen musste.
Das Training der Jungs nahm ich natürlich ernst, konzentrierte mich darauf, aber viel Konversation konnte man von mir nicht erwarten. Ich vernahm ganz genau, dass Toorus Augen auf mir hafteten, mich bei allem beobachteten, was ich tat. Da ich mein Verhalten aber auch mit dem Weg ins Schulgebäude nach Trainingsende nicht änderte, beschloss er, mich vor Betreten des Klassenraumes im Treppenhaus noch einmal zur Seite zu nehmen.
„V/N-chan... wenn es wegen heute Morgen ist, was ich gesagt habe..."
Ich sah irritiert auf, suchte den Zusammenhang, da er mich aus meinen Grübeleien gerissen hatte, und... verstand schließlich. Schnell hob ich die Hände und winkte mit einem entschuldigenden Lächeln ab,
„Nein, nein! Das ist es nicht. Das... war schon in Ordnung. Du hast ja recht!", strich ich mir eine Strähne hinters Ohr, „Mir tut es leid. Die Frage war unangemessen. Ich mein, was sollst du mir darauf auch antworten?"
Ich liebe dich, V/N – so schallte es in meinem Kopf, aber das war falsch. Damit drängte ich ihn nur in eine Ecke. Und dies wiederum war unnötig.
„Ich brauche einfach nur ein bisschen Ruhe", sprach ich weiter, bevor er etwas sagen konnte,
„Der Traum hat mich ziemlich aufgewühlt und deine Mutter hat mir ein paar gute Ratschläge gegeben. Aber ist halt alles etwas kompliziert, ha ha!"
Vorsichtig aufblickend, konnte ich anhand seiner zu einer dünnen Linie gepressten Lippen erkennen, dass er mit meiner Antwort keineswegs zufrieden war. Klar, das klang nur nach Ausrede. War es ja auch irgendwie...
„Du hast mir immer noch nicht erzählt, worum es in dem Traum ging", merkte er schließlich an, die Händen in die Hosentaschen gesteckt.
„Ist... das denn wichtig?"
Ich wollte es nicht wieder aufrollen.
„Wenn ich dich besser verstehen soll – was ich möchte, weil du meine Freundin bist – schon?"
Blinzelnd und Tooru in die Augen sehend, schluckte ich schwer. Der Kloß, welcher durch Anspannung in meinem Hals entstand, drückte mir auf die Kehle.

Reden. Ich muss lernen zu reden. Auch über sowas. Er ist dein Freund!

Ich lehnte mich mit den Armen hinter dem Rücken an das Treppengeländer, ließ ein, zwei Schüler an uns vorbeigehen und senkte leicht den Kopf,
„Schlechte Erfahrungen, Verlustängste und sowas", erklärte ich dann sehr leise. Versuchte es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Das Letzte, was ich wollte war, dass er sich Sorgen um mich machte.
„Solche Träume, wo du erst vom Sand verschlungen wirst, dir die unterschiedlichsten Leute aus deinem Leben begegnen und du dann ständig die Umgebung wechselst. Irgendwo runterfällst, vom Wind weggetragen wirst, Erinnerungen siehst und so. Ein bisschen anstrengend. Fühlt sich beim Aufwachen wie ein Marathon an, den man gelaufen ist. Aber so sind Albträume immer, nicht?"
Ich lächelte, wollte damit die Alles okay, mach dir keinen Kopf! Schiene nur noch bestärken, aber er erwiderte nichts. Weder in Worten, noch mit einem Lächeln oder anderen Gesten. Stattdessen sah mich mein Freund in dieser ruhigen Haltung weiterhin observierend an.
„Was für Verlustängste?", hakte Tooru nach, was mich überfordert lachen ließ. Er wollte zu viel wissen. Begann zu graben, und ich wusste nicht, ob ich das schon könnte: ihm mein Herz öffnen.
„Nichts Schlimmes, wirklich!"
„Du hast einen Albtraum, der dich mitten in der Nacht aufwachen und deine Klamotten wechseln lässt, und sagst mir, dass er nicht schlimm ist?"
Manchmal hasste ich es, wie aufmerksam er war... von wegen: Verschlafen am Morgen. Augen und Ohren wie ein Luchs. Das traf es wohl eher. Ich hatte sofort aufgehört zu lachen und schaute ausweichend zur Seite. Meine Hände klammerten sich an den Stoff meines Jacketts.
„War das der Grund, warum du mich heute Morgen gefragt hast? Ob... ich dich liebe?"
Ich blieb stumm. Anlügen wollte ich ihn nicht, aber darüber reden ebenso wenig. Also bewegte sich mein Kopf nur einmal auf und ab. Tooru atmete angestrengt aus. Hatte ich ihn jetzt verärgert?
„Dann sag das doch. Wovor... hast du vor mir denn Angst?"
Nein, nicht verärgert. Er klang etwas gekränkt. Verstand es schlicht nicht, dass ich nicht mit ihm redete, wo er mir bis jetzt jederzeit beigestanden hatte,
„Hab ich dich bei irgendetwas ausgelacht oder dich nicht ernst genommen?"
Wieder bewegte sich mein Kopf, diesmal nach links und rechts als Verneinung. Natürlich hatte er das nicht. Tooru hatte mich von Anfang an ernst genommen.
„Was ist es dann?"
„Ich... wusste, dass ich träume, es war alles so irreal – die Umgebung, der Wechsel der Szenerien, aber dennoch war es so echt", presste ich die Worte gequält heraus, fühlte mich irgendwie in der Falle sitzend. Einfach, weil er durch diese Tür gehen wollte, die ich so tunlichst verschlossen hielt. Weil er der erste Mensch war, der dies ernsthaft versuchte und sich nicht abhalten ließ. Ob ich nicht auch mit Tetsurou über meine Probleme geredet hatte? Gewiss... aber das war etwas anderes. Tetsurou kannte mich seit Beginn der Oberschule. Er hatte meine familiären Schwierigkeiten ungewollt mitbekommen. Gewissermaßen hatte ich ihn also mit reingezogen, und es hatte nicht besonders gut geendet. Das wollte ich kein zweites Mal.
„Ihr alle wart da. Die Mädels von früher, Nekoma, meine Mutter, Yumei, du... und alle... habt ihr euch von mir abgewandt. Egal, was ich tat. Wie ich mich bemühte."
„Du weißt, dass ich das nicht tun werde?"
„Ja, das weiß ich!", kam es jetzt etwas aufgebrachter von mir, was mich auf meine Schuhe starren ließ. Ich hasste es, so emotional zu werden. Dann kamen mir immer die Tränen aus Frust darüber, dass ich mich nicht zu kontrollieren wusste. Und ich wollte gewiss nicht vor ihm heulen!
„A-Aber ich... du weißt nicht... w-was damals alles passiert ist. An meiner alten Schule."
„Wenn es dich so bedrückt, dann solltest du es mir erzählen?"
Ich hörte weder Ärger noch Enttäuschung aus seinen Worten heraus. Er hatte sie wie einen guten Ratschlag formuliert, überließ es mir, was ich daraus machte.
Deine Entscheidung.
Ich wagte es für einen kurzen Moment aufzusehen, und schenkte ihm ein schwaches Lächeln,
„Wenn... etwas Luft ist. Gerade pack ich's noch nicht. Tut mir leid, Tooru..."

So wie du bist (OikawaxReader)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt