[15.1] Voneinander lernen

2.5K 95 30
                                    

Wir gingen zu unserem kleinen privaten Trainingsplatz und begannen dort, die grundlegenden Techniken des Volleyballspielens zu wiederholen, um sie zu verbessern: so zum Beispiel den hoch zugeworfenen Ball in Zuspielhaltung über dem Kopf auffangen. Das klang total einfach und man sollte meinen, dass ich dies alles beherrschte, aber leider sollte Tooru Recht behalten:
Es gab viele Kleinigkeiten, die wir bei mir geradebiegen mussten. Anders als die Mädchen war er genau darauf bedacht, meine Schwächen aufzudecken und spielte die Bälle somit absichtlich fies an. Mal war ich also zu schnell, mal zu weit im Holzkreuz, dann wieder zu steif in den Knien... Etwas gab es immer zu kritisieren.
Der Volleyballkapitän blieb dabei ganz und gar auf seine Aufgabe fokussiert, unternahm keine Annäherungsversuche, lieferte keine Sprüche, nichts. Nach diesem Faux-pas in meinem Zimmer hatte ich eigentlich damit gerechnet. Nachdem er immerhin schon da nichts weiter gesagt hatte... aber denkste.

„Hmmm...", machte er schließlich, ging um mich herum und legte die Hand ans Kinn, „Irgendwas missfällt mir."
Ich seufzte und hielt wie ein Zeichenmodell still, während ich den Ball zum xten Mal in den Händen oberhalb meiner Stirn hielt, so dass mir bereits die Armmuskeln ermüdeten. Auf das Leder starrend, welches im Halbdunkel des Abends und der Laternen lag, näherte sich meine Geduld langsam aber sicher ebenso dem Ende.
Da hockte sich Tooru aber plötzlich neben mich und ließ seine Handkante locker in meine Kniekehlen fallen.
„H-Hey!", knickte ich ein und mein Freund lächelte triumphierend.
„Fester Stand, V/N-chan. Dir fehlt's an Stabilität! Das war es!"
„Steh du mal so lange immer wieder in gleicher Haltung!!", beschwerte ich mich, obwohl ich sonst nie bei Übungen jammerte. Ich war es schlicht nicht mehr gewohnt und meine frühere Kondition fand sich ja gerade erst wieder!
Es war also kein Wunder, dass ich überall Schmerzen empfand und leicht wackelig wurde, oder?
Tooru erhob sich leise auflachend und nahm mir den Ball ab, so dass ich meine Arme ein bisschen ausschütteln konnte. Das Leder mit seinen langen, schmalen Fingern drehend, sprach er weiter:
„Das Problem ist nur, dass du dich ohne Stabilität schnell verletzen kannst. Dass dein Fuß wegknickt. Dass du wegrutschst. Dass du dir die Knie verdrehst."
Er hielt den Ball hoch und ich hob nach einem Seufzen erneut unaufgefordert meine Arme, hielt meine Hände zu einem Dreieck, die Daumen zur Nase zeigend. Als Tooru mir die Kugel in die Handflächen drückte, ging ich automatisch mehr in die Knie.
„Bleib so stehen. Halte gegen", wies mich der Setter mit ruhiger Stimme an.
Mit einem Mal ließ der Druck gegen meine Finger allerdings nach und ich schob den Ball ungewollt aus meinen Handflächen. Tooru sprang mühelos hoch, streckte sich und erwischte den Ball, noch ehe er uns abhandenkommen konnte.
„Lass uns als nächstes ein paar Pässe üben", schlug er im vor, als er wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand. Ich nickte, ließ kurz die Schultern kreisen und knetete mir die Nackenmuskulatur mit den Fingern. Wir stellten uns in einem Vier-Meter-Abstand gegenüber. Oberes Zuspiel.
Mir fiel wieder auf, dass es äußerst spannend war, Tooru als Spielpartner zu haben: Es waren ja nicht nur meine Schwächen, die er analysierte, sondern auch meine Stärken. Überforderte er mich beim ersten Versuch, passte er sich im nächsten meiner Art an, und spätestens im dritten bildeten wir eine perfekte Spieleinheit. Beinahe so, als kannte er meinen Körper in seinen Bewegungen und Abläufen besser als ich selbst – gruselig.

Das sollte allerdings erst der Anfang sein, denn wo wären wir, wenn er mich nicht richtig ins Schwitzen bringen würde? Genau. Es wäre nicht Tooru. Denn ich hatte ja unbedingt mit ihm trainieren wollen.
Nachdem ich schlussendlich zum zwanzigsten Mal fast auf dem Boden lag, weil er mich in alle Höhen und Weiten den Ball zurückpassen ließ, musste ich mir ein Knurren unterdrücken.
Pure Absicht. Sadist. Sklaventreiber.
„Ich kann in dir wie in einem offenen Buch lesen, V/N-chan", flötete mein Freund mit einem triumphierenden Grinsen und hob besserwisserisch den Zeigefinger, als er den Ball auffing und sich unter einen Arm klemmte,
„Jetzt kommt noch so einer! Wie oft will er mich noch auf die Knie zwingen! Mir tun die Oberschenkel weh! So ein Sadist! So ein Sklaventreiber! Nicht?"
Ich guckte ihn total verdattert und geschockt an, ehe mir die Schamesröte aufstieg. Das... waren wirklich meine Gedanken. Alle.
Er lachte herzlich, vermutlich auch noch stolz darauf, dass er richtig gelegen hatte.
„Als Zuspieler musst du dir das abgewöhnen. Ein bisschen mehr Pokerface zeigen. Sonst werden deine Gegner jeden deiner Züge voraussehen."
Ich schob zwar leicht schmollend die Unterlippe vor, blieb aber ruhig und stellte mich dann wieder richtig hin. Den Schmerz in den Muskeln meiner Oberschenkel versuchte ich zu ignorieren oder zumindest in die hinterste Ecke meines Hirns zu drängen.
„Bleib in jeder Sekunde des Spiels gelassen und bewahre einen kühlen Kopf. So... und jetzt arbeiten wir dran, dass du deine Körperachse besser einsetzt."
Tooru machte mir vor, was er meinte: erst ein seitliches Zuspiel, dann ein Überkopfzuspiel, sobald ich ihm den Ball zurückwarf.
„Bleib beim Pass am Boden. Es gibt keinen Grund für dich abzuspringen."
„Aber das macht ihr doch andauernd!?", hob ich nun skeptisch eine Augenbraue. Ich konnte mich nur an wenige Situationen erinnern, wo Tooru wirklich aus dem Stand gespielt hatte.
„Weil Iwa-chan oder Kyoutani eine ganz andere Sprunghöhe und ein anderes Tempo haben. Bei euch Mädels ist das nicht nötig." Das klang abwertend. Ich verzog den Mund.
„Und was ist daran so schlimm, wenn ich's dennoch tue?"
Immerhin spielte ich gerne im Sprung, konnte den Ball besser beim Pass kontrollieren und gar etwas Zeit sparen, sofern die Angreifer darauf eingestellt waren. Das wollte ich mir nicht so einfach nehmen lassen.
Tooru zuckte mit den Schultern:
„Im worst case spielst du viel zu hoch und zu lang, so dass den Ball niemand bekommt. Nicht die Angreifer passen sich dir an, sondern du ihnen. Das ist ein großer Unterschied. Im weniger schlimmen Fall verausgabst du dich unnötig. Bei fünf Sätzen wirst du's merken."
„Dabei find ich's im Stand schwieriger", murrte ich und verschränkte wenig überzeugt die Arme vor der Brust.
„Nur, weil du es nicht gewohnt bist", grinste Tooru und daraufhin hatte ich schon keine Zeit mehr zu jammern, sondern bekam den nächsten Ball mit dem Hinweis „Überkopfhaltung" zugeworfen. Meinem Gegenüber also überrumpelt den Rücken zudrehend, fing ich das Leder in entsprechender Position ab.
„Stopp, stopp!!", rief mein Übungspartner schnell und klang jetzt etwas genervt.
Meine Augen verengten sich. Was war denn jetzt schon wieder? So viel zum Thema, dass meine Technik eigentlich ganz gut wäre. Ich hatte mit jeder Minute mehr das Gefühl, dass sie grottenschlecht war!
„Da bricht mir schon der Rücken, wenn ich nur zusehe. Warte..."
Er kam auf mich zu, legte mir eine Hand an den unteren Rücken, übte leichten Druck aus, so dass ich meine Hüfte ein kleines Stück vorschob. Seine andere ruhte auf meinem Bauch, damit ich mich nicht wieder zu sehr nach hinten verbog. „Anspannen!" war die Anweisung und ich leistete Folge. Wohl mehr wegen der Berührung als alles andere.

Angenehm warm...

Da begann gar meine Bauchdecke zu kribbeln. Ich spürte die Wärme seiner Finger durch meinen dünnen Shirtstoff und wie diese auf mein Inneres überging. Seine grandiosen, warmen, zarten Hände... Könnten wir die Stunde nicht beendet- Nein, konzentriere dich, V/N. Konzentrieren!
„Nicht so weit nach hinten... Besser."
Tooru bog mich wie eine Puppe zurecht, bis ich zu seiner Zufriedenheit geformt war.
„Wenn der Ball jetzt so in deine Hände kommt", schob er diesen in meinen Handteller, „Wirst du einen perfekten Pass auf die Vier hinter dir erzielen."
Er ließ los und ich drückte den Ball ab, sah der Flugkurve für den Bruchteil einer Sekunde hinterher, ehe sie aus meinem Sichtfeld verschwand.
„Vielleicht ein wenig flacher", murmelte er nachdenklich, nickte aber zuversichtlich,
„Das wird schon. Du machst dich besser, als du selbst von dir denkst. Probiere es morgen am besten im Training aus."
„Hab ich irgendwie nicht das Gefühl", gab ich dann ehrlich zu und seufzte tonlos. Den Ball zurückholend, welcher über den verlassenen Parkplatz gekullert war, konnte ich mich zu keinem Lächeln abringen,
„So viel, wie es zu kritisieren und zu verbessern gibt. Ich fühl mich wie ein Anfänger!"
„Du wolltest unbedingt Unterricht bei mir nehmen", erinnerte mich Tooru, stemmte die Hände in die Hüften und hob fast schon etwas arrogant das Kinn,
„Dir hätte klar sein müssen, dass ich dich nicht mit Samthandschuhen anfassen werde, nur weil du jetzt auch noch meine Freundin bist!"
„Ja, ja... Sklaventreiber", grummelte ich und kam zu ihm zurückgelaufen,
„Aber für heute... hätte ich noch eine Bitte. Ehe wir heimgehen."
„Nur zu."
„Bring mir bei, wie du deine Aufschläge hinbekommst."
Tooru schaute mich überrascht an, als hätte er sich verhört,
„V/N, deine Aufschläge sind doch grandios?! Was willst du da-"
„Nein, sind sie nicht!", unterbrach ich ihn sofort, holte Luft und fuhr ruhiger fort,
„Ich meine... wenn ich sie so schlage, ist das wie pure Gewalt. Ich schaffe es zwar, die richtige Richtung anzupeilen, aber sobald mich etwas triggert, sozusagen aus der Konzentration reißt, geht es vollkommen daneben. Und wenn ich fünfmal so aggressiv hintereinander aufschlage, bin ich kräftemäßig am Ende."
„Ist das dann nicht eine Frage der Ausdauer?", sprach er da fast schon amüsiert mit einem Grinsen auf den Lippen.

So wie du bist (OikawaxReader)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt