Meine Augen waren vom vielen Weinen rot und geschwollen. Ich stand vor dem Badezimmerspiegel und begann ich abzuschminken. Zumindest der Rest, der vom Make-Up noch übrig war.
Ich hatte es geschafft mich meiner Schuluniform zu entledigen, nachdem ich mit Oikawa gewiss eine halbe Stunde einfach nur im Flur seines Hauses dagestanden hatte, die Stirn an seine Schulter gelehnt. Aber es hatte geholfen.
Ich konnte noch aufrecht stehen, war nicht zu Boden gesunken, ganz gleich wie fertig ich mich fühlte.
Die benutzten Abschminktücher in den kleinen Tretmülleimer werfend, ging ich wieder nach draußen, in einem bequemen L/F Sweater und einer schwarzen Jogginghose bekleidet. Die Haare hatte ich nach dem Waschen zum Trocknen offen.
Ich ging leiser Schritte zu seinem Zimmer und klopfte an. Er ließ mich eintreten, und ich sah ihn am Schreibtisch über den Schulaufgaben sitzen... aber statt des Stiftes, hielt er sein Handy in der Hand und schrieb etwas.
„Musst du dich etwa rechtfertigen?", fragte ich kleinlaut, denn dass er sich jetzt hier zu Hause befand und nicht beim Training machte mir ein schlechtes Gewissen. Das war immerhin auch mein Verschulden.
„Klar. Iwa-chan hat mir schon Prügel für morgen angedroht."
Ich lächelte schwach auf diese Bemerkung hin und trat näher, ehe ich mich zu ihm auf dem Boden setzte und mich vorneigte um ein Blick auf das Display zu erhaschen.
„Er scheint echt angepisst zu sein", schluckte ich nur wenige Sekunden später, nachdem mir die sehr ausfallende Schreibart seines besten Freundes auffiel.
„Schreib ihm, dass es ein Notfall war!", hielt Oikawa mir sein Telefon da plötzlich vor die Nase,
„Er glaubt mir eh nicht!" Seine braunen Iriden funkelten mich überzeugt an. Dachte er wirklich, dass es eine gute Idee war, wenn ich mich jetzt einmischte?
„Und wenn ich jetzt meinen Namen vor die Nachricht vorsetze, tut er es auf einmal?", wandte ich skeptisch ein und nahm mit zusammengekniffenen Augenbrauen das Telefon entgegen.
Na ja... in Oikawas Schuld stand ich definitiv, und vermutlich wäre es das Beste, was ich gerade tun konnte?
Aber anders. Auf meine Art. Ich hielt mir das Telefon nahe meines Mundes, und betätigte unter den großen Augen meines Gegenübers die Aufnahmefunktion,
„Iwaizumi-kun... hier ist N/N. Ich... möchte mich entschuldigen. Oikawa kann wirklich nichts dafür, dass er das Training schwänzt. Das ist meine Schuld. Ich hab ihn aufgehalten."
Ende. Abgeschickt.
„Was? Hast du noch nie eine Voice versendet?"
„Nicht an ihn...", schüttelte der Kapitän der Volleyballmannschaft immer noch ein bisschen entsetzt den Kopf.Die Antwort kam recht fix, so dass wir beide die Köpfe zusammensteckten und sie uns durchlasen.
Iwa-chan, 17:32 Uhr
Hm, okay.
Wenn du das sagst, wird es so gewesen sein.
Denke nicht, dass du dich von Trashykawa manipulieren lässt.„Was heißt hier manipulieren?", empörte sich der Braunhaarige an meiner Seite. Dann kam noch eine Nachricht.
Eine Voice von Iwaizumi.
„Tooru, ich weiß, dass du neben ihr sitzt. Wenn du deine Finger nicht bei dir behältst, bist du morgen tot, verstanden? Das mein ich ernst. Und wenn du schon vom Training wegbleibst, dann kümmer dich wenigstens um sie und sei kein Arsch!"
„Für wen haltet ihr mich eigentlich alle?", murmelte Oikawa noch getroffener, ja nahezu beleidigt. Ich glaube allerdings eher, dass er deswegen so überrascht dreinschaute, weil er beim Vornamen genannt wurde. Das passierte wohl selbst seinem Kumpel nicht häufig.
„Der kriegt was zu hören", wollte er nach seinem Handy greifen, erfasste aber nur die Leere, weil ich es von ihm weggestreckt hielt, hinter meinen Kopf.
Mit den Händen nach vorne auf alle Viere plumpsend, guckte mich der Setter verdattert von unten herauf an, als ich bereits wieder eine Sprachnachricht schickte, ihn dabei warnend ansah, dass er mich ja nicht unterbrechen sollte:
„Keine Sorge, das tut er. Wenn hier jemand der Arsch ist, dann war ich es zu ihm."
Und damit übergab ich Oikawa wortlos sein Telefon.
„Das tue ich?", wiederholte er meine Worte ungläubig.
Ein zartes, aber auch beschämtes Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab.
Es war Zeit für eine Entschuldigung.
„Es tut mir leid... was ich vorhin zu dir sagte."
„... Meinst du, dass ich nie ernst bin? Oder dass ich die Mädchen ermutige hinter mir herzurennen?", konnte er sich die Spitze mit einem gemeinen Grinsen nicht klemmen. Das musste ich wohl oder übel hinnehmen. Touché.
„Das Letzte nehme ich nicht zurück. Da ist schon was dran", setzte ich stur murrend nach und verschränkte die Arme vor der Brust, mich protestierend in den Schneidersitz setzend,
„Aber... es war nicht fair von mir."
Ich ließ meine Hände in meinen Schoß sinken, blickte auf meine Handinnenflächen.
„Du hast mir in den letzten Tagen mehr als genug geholfen, obwohl du eigentlich gar keinen Grund hattest. Du hast mir vorhin vermutlich sogar das Leben gerettet und mich damit vor der Notaufnahme bewahrt, hätte ich mich auf so eine Prügelei eingelassen. Und vermutlich wäre ich auch von der Schule geflogen. Nach ein paar Tagen Anwesenheit."
Ich musste leise auflachen. Die Situation mit den Mädchen war es zwar nicht, aber... anders wusste ich mir nicht zu helfen. Wie sollte man so eine abstruse Situation auch einordnen können? Angemacht zu werden, weil man es sich erlaubte mit einem Klassenkameraden zu sprechen? Nur weil er zufällig beliebt war? Bescheuert!
„Du hast mir immer eine helfende Hand gereicht... Danke."
Und auf meine Worte hin passierte etwas, was ich noch nicht verstehen sollte:
Oikawa sah mir einen längeren Moment in die Augen, welche dann zu meinen Lippen, zu meinem Lächeln wanderten. Dann wieder hinauf in meine Augen und noch einmal auf mein Lächeln. Sein Gesicht nahm etwas mehr Farbe an und als wäre er plötzlich von einer Tarantel gestochen worden, sprang er abrupt von seinem Platz auf.
Redete etwas von „Tofu kaufen" und eilte schnellen Schrittes aus dem Raum, bevor ich darauf hätte reagieren können. Das Öffnen und Schließen von Türen war zu hören. Dann totale Stille. Hatte er mich gerade allein gelassen? ... Hatte ich was Falsches gesagt? Das müsste er mir später bitte mal erklären.
Irritiert stand ich ebenso auf auf, ging langsam wieder in mein Zimmer zurück und setzte mich dort auf den Bodensitz mit der Rückenlehne. Mein Blick glitt zu meiner alten Nekoma-Trainingsjacke neben mir. Dann zu meiner Schultasche, in welcher immer noch Oikawas Jacke lag. Ich reichte danach, nahm sie behutsam heraus und strich den Stoff mit den Fingern glatt. Strich über das Rückenlogo. Erinnerte mich an den Moment, als er sie mir zugeworfen hatte.
Meine Kopf wandte sich erneut dem roten Jersey zu, verweilte daraufhin aber entschieden auf den weißen in meinen Händen. Den ich fast schon zärtlich streichelte. Und nach einem kurzen Zögern, führte ich ihn langsam an meine Nase. Dieses Gefühl von Halt und Stärke... Es war wieder da. Total präsent und umhüllte mein Herz.
War das... sein Geruch? Oder Waschmittel?
Ich schnupperte etwas intensiver, war mir unsicher.
Doch... eindeutig.
Ein angenehmer, leicht süßlicher Duft. Er war mir vertraut von Oikawas Umarmung vorhin. Oder als er mir bei unserer kleinen Übungseinheit auf dem Parkplatz hinter mir gestanden hatte. Genauso im Krankenhaus, als er für mich dagewesen ist.
Meine Augen schlossen sich und dann... schreckte ich auf. Starrte entsetzt auf die weiße Trainingsjacke von Oikawa Tooru. Sah zu meiner so oft getragenen Jacke Nekomas. Was... tat ich hier?! Was war in mich gefahren??
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So wie du bist (OikawaxReader)
RomanceWas gibt es Schöneres, als dass sich nicht nur deine Eltern trennen, sondern du auch noch dazu verdonnert wirst, mit deiner Mutter nach Miyagi zu ziehen? Fernab deiner Freunde in Tokyo, deines besten Freundes und das mitten im letzten Schulhalbjahr...