Tokyo. Meine Füße stiegen aus dem Shinkansen und berührten die hellgraue Steinplatte des Bahnsteigs. Irgendwie fühlte es sich anders an, hier zu sein. Frischer als in Sendai. Ich vernahm die Salznote in der Luft und ebenso der typische Meeresduft, da ich mich in der Nähe der Tokyoer Bucht befanden.
„V/N!"
Ich drehte mich um und sah meinen Vater auf mich zugeeilt kommen. Er winkte mir bereits von Weitem. Mit meiner großen geschulterten Umhängetasche ging ich auf ihn zu und lächelte.
„Wie schön, dich endlich wiederzusehen!" Seine Arme schlossen sich sofort um mich, kaum war ich in greifbarer Nähe und er wog mich einmal nach links und dann wieder nach rechts. So schnell würde er mich nicht mehr loslassen. Als ich dann aber endlich zu ihm hochsehen konnte, ihn mustern konnte, musste ich feststellen, dass er sich in der Zeit von fast drei Monaten zum Glück nicht verändert hatte. Immer noch die gleichen grauen Ansätze in den Haaren, immer noch dasselbe breite Lächeln. Immer noch die gleiche dunkelgrüne Jacke, die sein Liebling war und ab Oktober seit Jahren gute Dienste im kühlen Wind leistete. „War die Fahrt angenehm? Hast du schon was gegessen? Hier in der Nähe gibt es ein leckeres Bistro!" Fragen über Fragen, die auf mich einprasselten.
Ich war ein bisschen müde, weil ich recht früh aufgestanden war, und meinte, dass ich gerne erst die Tasche ablegen wollen würde. Er nickte und gab mir zu verstehen, dass wir dann das Stück mit dem Auto fahren würden. Mir mehr als recht. Denn was ich nicht vermisste, waren die Rushhours und überfüllten Züge im Zentrum.
Als wir im Wagen saßen und vom Bahnhof Nippori gen Süden fuhren, hing mein Blick ein bisschen desorientiert an den Gebäuden und Straßen. Das war mir alles so bekannt. Die Gegend hier, um Akiba... Mein Vater hatte den Player im Auto angemacht. Eins meiner Lieblingslieder, das erklang. Kurenai von Amano Tsukiko.
Es ließ mich nostalgisch werden. Dabei war der Song noch nicht allzu alt, sondern im Juli dieses Jahres herausgekommen: Ich hatte damals bei Kenma zusammengesessen und er hatte mir dieses neue Horrorspiel gezeigt, was ich total spannend fand, aber selbst nie allein spielen würde. Im Abspann wurde dann genau jenes Lied abgespielt. Die Sängerin hatte ich vorher schon gemocht und so war es für mich nur das gewesen: ein schöner Themesong. Doch jetzt hingegen kam es mir so vor, als wäre es ein Vorbote gewesen.
Wie lange muss ich wach bleiben, um dich zum Vorgebirge der Morgensonne zu führen?
Wie viel Bestrafung muss ich aufwischen, wie viel Liebe ausdrücken, damit ich zurückkehren kann?
Ich wollte folgen, wollte aufholen, wollte mit dir zusammengehen...
Trotzdem ranntest du weg, durch die unzähligen verschlossenen Türen hindurch..
Genau so fühlte ich mich... als würden Tooru und ich in der letzten Zeit immer mehr in einen Strudel gezogen. Viele kleine Dinge, die sich zu einem großen Sturm zusammenbrauten. Wir versuchten uns da rauszuhalten, suchten einen sicheren Unterschlupf, aber immer wieder erwischte es uns. Und wenn ich glaubte, dass es reichte, wenn wir miteinander redeten und uns wieder vertrugen... Wenn alles wieder okay war...Ich schüttelte den Gedanken ab.
„Wie läuft es in der Schule?", fragte mich mein Vater da und riss mich mit sich zurück in die Gegenwart. Ich wandte meine Augen allerdings nicht von der Aussicht aus dem Fenster ab und hielt meinen Kopf in der Hand auf der Armatur gestützt.
„Gut."
„Hast du schon viele Freunde gefunden?"
„Die Mädchen vom Volleyball sind nett."
„Ach, du spielst also tatsächlich wieder? Das ist toll!"
„Mhm."
„Und? Gibt es auch einen Freund?"
Meine Augenbrauen zogen sich nun merklich zusammen. Volltreffer. Danke, Papa.
„Können wir das Thema wechseln?", sprach ich genervt.
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So wie du bist (OikawaxReader)
RomanceWas gibt es Schöneres, als dass sich nicht nur deine Eltern trennen, sondern du auch noch dazu verdonnert wirst, mit deiner Mutter nach Miyagi zu ziehen? Fernab deiner Freunde in Tokyo, deines besten Freundes und das mitten im letzten Schulhalbjahr...