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Der Bericht in fast allen anderen Staaten der Welt war am Freitag. Illeá, Frankreich, Italien, fast überall eben. Und dann kamen wir. An einem Samstag.

"Mylady, Sie müssen sich beeilen! In einer halben Stunde müssen Sie unten bei Ihrer Familie sein!"

Ivana, eine neue Zofe von mir, zupfte hastig an meiner Hochsteckfrisur herum, obwohl sie perfekt sitzte, während ich nachdenklich an meinem Schminktisch saß und überlegte, welche Ohrringe am besten zu meinem Augenmakeup und dem Kleid passten. Das Kleid, ein Traum aus grau, war relativ schlicht. Mom hatte mich darum gebeten, da heute Aurelia im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollte - was sie ohnehin schon immer tat. Doch ich hatte artig genickt, mir von Ivana bei der Kleiderwahl helfen lassen und mir nur bei der Betonung meiner Augen mehr Mühe gegeben.

Ich liebte es, meine Augen zu schminken. Es gab ganze Magazine über sie, mit Tipps, Anregungen und Zitaten von mir, die ich so nie gesagt hatte. Dafür war ich bekannt.

Ich entschied mich für ebenfalls schlichte, runde Kreolen, die ich mir zügig an die Ohren klippte und dann  aufstand. Ivana nickte zufrieden. Wenn sie es war, konnte ich es auch sein. Sie war zwar erst vor Kurzem zu mir gekommen, aber ich hatte sie sofort in mein Herz geschlossen. Neben Annalena, einer ruhigen, rothaarigen Genossin, und Joleen, die die Vernünftigste von den dreien war, war Ivana der perfekte Ausgleich unter meinen Zofen. Aufgedreht und wagemutig. Als ich meinte, ich müsse etwas Schlichtes anziehen, war sie ziemlich enttäuscht gewesen.

Ich schaute auf die roségoldene Uhr an meiner Wand. Noch zwanzig Minuten. Normalerweise würde ich fünf Minuten brauchen.
In diesen Schuhen zehn.

"Ich sollte mich auf den Weg machen", sagte ich an Ivana gewandt, die schon dabei war, das klein bisschen Staub, dass mein Kleid verursacht hatte, zu beseitigen. Beschäftigt nickte sie.

"Sie sollten Feierabend machen. Jetzt wirklich. Joleen und Anna haben schon vorhin Schluss gemacht", wies ich sie an, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Zofen waren wirklich stur.

"Ich konnte Sie doch nicht alleine lassen, wenn Sie sich auf den Bericht vorbereiten müssen, Mylady!" Wie reizend. Lächelnd nahm ich ihr den Lappen aus der Hand.

"Sie gehen sich jetzt fertig machen. Für den Bericht. Das ist ein Befehl!", meinte ich, grinste aber dabei.

"Und Sie suchen jetzt Ihre Familie auf! Das ist auch ein Befehl!" Ich lachte über ihren Konter, nickte aber und schnappte mir einen Apfel, den ich auf dem Weg noch essen würde. Mit einem mulmigen Gefühl machte ich mich zum Saal auf.

Mom erblickte mich zuerst. Sie hatte ein breites Lächeln auf dem Gesicht und steckte in einem dunkelblauen Kleid.

"Bess! Du siehst toll aus!", begrüßte sie mich und streckte mir eine Hand hin, die ich lächelnd ergriff. Die positive Energie, die sie heute verbreitete, steckte mich an. Egal, was in nächster Zeit passieren würde, ihr könnte ich es nicht übel nehmen. Für sie war heute ein wunderbarer Tag. Ihre Erstgeborene wurde zwanzig und kündigte ihr Casting an.

Auch Dad und Christopher, mein fünfjähriger Bruder, bemerkten mich nun. Während Dad mich umarmte, hängte sich Chris nur an mein Bein. Ich verdrängte das Bedürfnis, ihm durch die Haare zu strubbeln, damit er beim Bericht nicht komplett schrecklich aussah.

Aurelia sah ich nirgends.

"Deine Schwester geht ihre Rede noch einmal durch. Sie hat Angst, sie könnte etwas verdrehen oder weglassen", antwortete Mom auf meine Frage, wo sie sei. Das erschien mir passend. Aurelia war eine furchtbare Perfektionisten. Wobei das, beim näheren Überlegen, für eine Königin wohl gar nicht so schlecht sein würde.

Um neunzehn Uhr fünfzig, zehn Minuten vor dem Beginn des Berichts, wurden wir in den großen Saal gelassen. Er war bereits gut gefüllt, mehr als sonst. Die Nachricht hatte bereits ihre Runden gedreht. Viele Berater, Freunde meiner Eltern, Adlige aus der Nähe und spezielle Gäste sowie Schlossbewohner hatten sich in den Stuhlreihen vor dem Platou mit den Plätzen der Königsfamilie - also mir eingeschlossen - eingefunden. Ich erblickte Rick in einer der hinteren Reihen, der sich entspannt in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und mir aufmunternd zulächelte.

Mein für die Presse aufgelegtes Lächeln wurde ein klein bisschen echter.

Ich ließ mich auf meinem Platz nieder - einem gemütlichen Holzstuhl mit weichem Samt überzogen. Ich saß rechts von Aurelia, die neben unseren Eltern saß - beziehungsweise gerade noch nicht saß - und links von Chris, der ganz außen Platz nahm. Direkt hinter ihm stand sein Kindermädchen Hannah, die Frau von Officer Todd. Das war die Kurzfassung der Geschichte, warum er so etwas wie mein Onkel war.

Die Kameramänner und -frauen bereiteten die letzten Einzelheiten vor, als Aurelia zusammen mit Philus, dem Moderator für besondere Events, auf die Bühne trat. Sie erblickte mich und ich funkelte sie böse an.

Ertappt schluckte sie.
Sie wusste, warum.
Natürlich wusste sie das.

Sie verabschiedete sich mit einer Umarmung von dem Moderator, der sich neben die Bühne setzte, und setzte sich stumm neben mich. In ihrer Hand hielt sie einige farblose Folien, auf denen sie etwas notiert hatte. Sie spielte nervös mit ihren Ringen herum, deren Steine farblich auf ihr rosafarbendes Kleid abgestimmt waren.
Sie sah umwerfend aus.

"Wenn du mich fragst, solltest du das Ganze abblasen." Sie verdrehte die Augen. Das machten wir beide gerne. "Aber das weißt du ja."

"Du machst das alles hier nicht besser, Bess", murmelte sie und warf mir einen ernsten Blick zu. In ihren braun-blauen Augen, die sie von Mom geerbt hatte, spiegelte sich ... Angst wieder. Fast tat sie mir leid.
Fast.
Denn sie hatte sich das hier selbst ausgesucht.

"Zehn Sekunden!", rief irgendwo jemand von der Technik und ich streckte meinen Rücken durch. Aurelia brauchte das nicht. Sie saß und stand immer gerade.

"Viel Glück", seufzte ich noch, bevor die Aufnahmelichter rot wurden.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt