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Ich hatte nicht mehr versucht, mit Aurelia zu sprechen, aber sie war ohnehin immer beschäftigt, kam nur selten zu den gemeinsamen Familienessen und war fast nie zu sehen.

Rick hatte ich grundlegend ignoriert.
Er mich ebenso.

"Es ist wunderschön, Bess!", schwärmte Dad und drehte sich begeistert einmal im Kreis, während Chris sich auf eines der weißen Sofas schmiss. Ich lachte, als Benjamin das Gesicht deshalb verzog. Heute hatte er einen gelben Hut auf.

"Dankeschön, Dad. Aber das hätte ich nie allein geschafft!" Der König nickte und legte Benjamin stolz die Hände auf beide Schultern. Ich hatte das Gefühl, der Berater würde jetzt noch gerader stehen als sonst schon.

"Das ist wahr. Ich bewundere auch Sie für ihre Arbeit, Mr Johnson. Ich könnte mir keinen besseren Berater für dieses Feld vorstellen als Sie", schmeichelte Dad und Benjamin strahlte vor Stolz. Auch ein Berater war es wohl nicht gewohnt, so nette Worte vom König zu hören. "Ich bin mir sicher, die Erwählten werden sich hier sehr wohl fühlen. Und auch ich und Christopher, wenn sie fort sein werden."

"Das hoffe ich doch", meinte ich und beobachtete meinen kleinen Bruder dabei, wie er die ausgewählten Bücher in den Regalen inspizierte. Ich fragte mich erneut, ob überhaupt alle von den Erwählten würden lesen können. Oder wurden die Bewerber der niedrigen Kasten im Vorraus aussortiert?

"Ich finde, Ihre Arbeit sollte nicht unbelohnt bleiben. Gibt es etwas, was ich Gutes für Sie tun kann, Mr Johnson?"

"Das ist sehr großzügig, Majestät. Ehrlich gesagt gibt es da nur Eines. Ich würde sehr gerne dem künftigen Prinzen, sobald er auserwählt wird, bei der Gestaltung seiner Gemächer zur Hilfe stehen."

Dad lachte, und auch ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. "Arbeit mit Arbeit belohnen? Das kann ich nicht verantworten. Gibt es nichts anderes? Ein Urlaub, wie wäre das? In Spanien vielleicht!"

Doch Benjamin schüttelte nur den Kopf. "Nein, Majestät, das ist das Einzige, was ich gern hätte."

"Ich finde, das ist eine tolle Idee", unterstützte ich meinen neuen Lieblingsberater und lächelte Dad unschuldig an, der daraufhin geschlagen schnaufte.

"Na schön, so soll es sein. Und du, Bess?"

"Ich brauche nichts." Nur eine Absage des Castings, Majestät. Bitte, Majestät.

"Ihr zwei seid mir wirklich zu anstrengend. Gut. Aber verspricht mir, sofort zu mir zu kommen, wenn du etwas brauchst."

Ich nickte artig. Ich fragte mich, wie glücklich er damit war, dass bald 35 Männer um seine Tochter herumschwirren würden.

"Gut. Sehr gut. Ich muss jetzt gehen. Es ist viel zu tun, nicht wahr? Und ich bin der König. Ich muss das regeln. Naja, ich gehe dann jetzt. Wir sehen uns heute Abend, Bess." Ich kicherte, er nickte Benjamin zu und verschwand dann zur Tür hinaus. Chris kam auf mich zu.

"Bess? Seid ihr jetzt fertig?", fragte er neugierig und sah von unten zu mir auf.

"Ja, das sind wir. Wieso?"

"Können wir was zusammen machen? Mir ist langweilig."

Ich dachte kurz nach. Meine Aufgaben hatte ich bereits erledigt, das Reiten hatte meine Mutter abgesagt und mir würde genauso langweilig sein wie dem fünfjährigen Jungen vor mir.

"Klar", lächelte ich ihn an und ein breites Grinsen erschien auf seinem jünglichen Gesicht. "Woran hast du denn gedacht?"

Er tippte sich gegen den Mund, als ob er überlegen würde, und kniff die Augen etwas zusammen. Benjamin verabschiedete sich leise von mir und ging hinaus, wie Dad es vorher gemacht hatte. Nicht, ohne ein wenig über den kleinen Prinzen zu kichern.

"Keine Ahnung. Sag du", beschloss Chris nach kurzer Zeit und sah mich erwartungsvoll an. Ich verdrehte amüsiert die Augen.

"Wir könnten", dachte ich laut nach, "in den Garten gehen. Und ... Ball spielen?" Er schüttelte den Kopf.
Na toll. "Wie wäre es mit...Musik machen? Du bist schon richtig gut im Trompetespielen, habe ich gehört." Doch auch diesen Vorschlag machte Chris mit einer Grimasse zunichte.

Ich war weder kreativ bei sowas, noch spontan. Das war ein Problem.

"Keine Ahnung, Chris. Pferde besuchen?"

Plötzlich erhellten sich seine Augen und er nickte heftig. Geht doch, stellte ich zufrieden fest.

"Okay. Mrs Todd steht vor der Tür, richtig? Komm, wir gehen zu ihr und sagen ihr Bescheid."

Ich war einige Schritte gegangen, als Chris meine Hand nahm. Überrascht schaute ich zu ihm hinunter. Er sagte nichts. Er lächelte mich nur an.
Und mir wurde bewusst, wie froh ich war, ihn zu haben.

"Hannah?"

Das Kindermädchen schaute zu uns auf, als wir uns ihr näherten.

"Bess!" Sie erhob sich von der Fensterbank, auf der sie gesessen hatte, und nahm mich freudig in den Arm. Sie war auch meine Nanny gewesen.

"Und, wie ist es da drin, Christopher?", fragte sie meinen kleinen Bruder, der jedoch gar nicht darauf einging.

"Wir wollen zu den Pferden", teilte er ihr mit, woraufhin sie wieder zu mir blickte.

"Ach ja?" Ich nickte. Ich verstand ihre Verwirrung, schließlich unternahm ich nicht häufig was mit Chris. "Dann solltet ihr eine Wache mitnehmen. Ich weiß, ihr könnt beide gut mit Pferden umgehen, aber vorsichtshalber..." Sie lächelte traurig. Vielleicht bemitleidete sie mich dafür, Prinzessin zu sein. Dafür, dass ich immer auf mich Acht geben musste.

"Machen wir, ich sage einem Bescheid. Kannst du dafür sorgen, dass Chris in einer viertel Stunde fertig ist?"

"Natürlich."

Ich sah zu Chris, der immer noch meine Hand hielt. Etwas widerwillig entzog ich ihm sie. Er schmollte gegen meine Erwartungen aber nicht, stattdessen hüpfte er fröhlich in Richtung seines Zimmers. Und meines Zimmers. Schließlich wohnten wir alle in einer Ecke.

Ich aber machte mich auf zu den Räumen, wo sich die Wachen aufhielten, und hoffte, dass eine gewisse Person dort sein würde.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt