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Natürlich hatte ich nicht vor, mich wegen eines blöden Kommentares direkt zu verabschieden.

Ich tat es trotzdem. Blöd gelaufen.

Obwohl es Sonntag war, einer der wenigen freien Tage, die ich hatte, machte ich mich daran, ein paar der Aufgaben zu erledigen, die Dad mir gestellt hatte.

Die Wichtigste davon war, ein Hilfsprogramm für Obdachlose auf die Beine zu stellen, was sich als äußerst schwierig erwies, da ich weder jemals einem begegnet noch eine wirkliche Übersicht über die Lage dieser hatte.

Ich hatte eine knappe Stunde daran gesessen, als es an der Tür klopfte. Kurz darauf stand Hannah Todd in meinem Zimmer. Sie sah mich freundlich an.

"Bess, wie geht es dir?", fragte sie, während sie sich auf meine Bettkante setzte.

Hannah war nicht nur Chris' Kindermädchen, sie war auch meines gewesen. Sie war einer der wenigen Menschen außerhalb meiner Familie, denen ich wirklich vertraute.
Und vertrauen konnte.

"Gut soweit", murmelte ich und legte meinen Stift beiseite. "Wieso fragst du?"

"Du weißt, warum. Rick sitzt vielleicht genau in diesem Moment allein mit deiner Schwester in einem Raum und macht ihr schöne Augen."

Ich seufzte. Hannah war neben meinen Zofen und Aurelia die Einzige, mit der ich über dieses Problem gesprochen hatte. Ihr hatte ich auch als Erste gesagt, dass da überhaupt etwas zwischen uns beiden war.

"Aurelia mochte ihn noch nie. Ich bezweifle, dass er lange Teil der Selection sein wird."

Hannah antwortete nicht sofort. Sie sah nur aus dem Fenster und schien nachzudenken. Dann sagte sie: "Sein Vater ist Berater, Bess. Er wird Aurelia Gründe geben können, ihn dazubehalten. Ganz egal, was seine Absichten sind oder waren."

Ihre Worte riefen mir unser Gespräch in Erinnerung. Ich würde es nicht verstehen, hatte er gesagt. Und er würde mich lieben.

Aber wieso hatte er sich dann angemeldet?

"Glaubst du, er liebt mich?"

Sie seufzte. "Ich weiß es nicht, Bess. Die Frage ist, ob du auf ihn wartest und hoffst, dass er es tut, oder dein Schicksal selbst in die Hand nimmst."

Sie sprach so wahre Dinge aus. Tränen stiegen mir in die Augen. Und ich dachte, ich sei über ihn hinweg.

"Aber egal, wofür du dich entscheidest, ich weiß, du hast die Kraft dafür."

Dankbar und traurig zugleich lächelte ich sie an.

Aber ich wusste, ich konnte mich nicht entscheiden, solange ich nicht wusste, was er heute zu Aurelia sagen würde.

Zeitgleich, in einem Arbeitszimmer des Palastes

"Sir Rick.", murmelte die Prinzessin, als der nächste Erwählte durch die Tür trat. Er war nervös, aber das ließ er sich nicht anmerken.

"Majestät."

Er senkte seinen Kopf und setzte sich gegenüber von ihr auf den unbequemen Stuhl.

Ihm war klar, dass dies kein normales Kennlerngespräch werden würde.

"Wieso sind Sie hier, Sir Rick?", fragte Aurelia und legte den Kopf schief. Sie hätte jedes Zucken in seinem Gesicht bemerkt, doch jene kamen nicht.

Er hatte sich vorbereitet.
Ihm war das hier wichtig.

"Aus dem gleichen Grund wie die anderen, Majestät. Ich möchte Sie von mir überzeugen."

Sie kniff die Augen zusammen.

"Ach ja? Da müssen Sie lange arbeiten, denn bisher stehen Sie bei mir ganz unten auf der Liste."

Er lachte. "Das habe ich mir gedacht."

"Wieso sind Sie dann noch hier?"

Er blickte sie an. Aurelias Augen waren ein Meisterwerk aus blau und braun. Sie erinnerten Rick an eine Blume, dessen Name er vergessen hatte.

Sie waren schön. Sie waren so wunderschön. Aber es waren nicht die der richtigen Prinzessin.

"Ich werde Ihnen jetzt etwas erzählen. Es liegt bei Ihnen, ob Sie mich danach hier behalten oder nicht, Majestät."

Und er begann zu sprechen.

"Komm schon, jetzt raff dich auf und bewege deinen Hintern irgendwohin, wo ihn jeder bewundern kann!"

Hannah sprang auf, für ihr Alter ziemlich grazil, und streckte mir ihre Hand entgegen, die ich lächelnd nahm.

"Wie wäre es, wenn wir deine Zofen einsammeln und draußen im Pavillon Tee drinken gehen, hm? Da treiben sich immer einige Wachen rum, da findest du auch einen!"

Jetzt musste ich doch lachen und stimmte ihrem Vorschlag zu. Sie mochte meine Zofen genauso gern wie ich, was vermutlich daran lag, dass sie einen ähnlichen Beruf ausführten.

Und schon zog sie mich mit sich zu den Zimmern der Angestellten. Keine viertel Stunde später saßen wir alle zusammen unter einem der süßen Pavillons, die glücklicherweise ziemlich weit von dem Platz, wo die Erwählten sich aufhielten, entfernt standen. Vor uns, auf einem kleinen, runden Metalltisch, standen Blütentee und fünf Keramiktassen.

"Das ist die beste Schicht, die ich jemals hatte", schmunzelte Ivana, während sie einem Wachen, die hier wirklich ihren geheimen Treffpunkt für Entspannung zu haben schienen, hinterherschielte. Joleen stieß ihr ihren Ellenbogen in die Rippen, aber ich lachte nur. Mir ging es schon wieder viel besser.

Annalena schlürfte genüsslich ihren Tee und betrachtete die Vielfalt an Blumen. Ihre Mutter war Gärtnerin, das hatte sie mir mal erzählt.

Hannah erzählte etwas von ihrer Heimatprovinz Eastria, und meine Zofen, die so wie ich fast nie aus diesem Palast raus kamen, hörten gespannt zu.

Wir saßen schon eine ganze Weile hier, als ich Levi erblickte. Er unterhielt sich mit einer anderen, etwas älteren Wache. Er hatte seine Arme verschränkt und sah ziemlich angespannt aus.

Er musste meinen Blick bemerkt haben, denn keine zehn Sekunden später drehte er sich mit dem Gesicht zu mir. Aber ich war die Prinzessin. Ich hatte es nicht nötig, wegzuschauen.

Seine Mundwinkel hoben sich etwas und er nickte mir höflich zu. Ich lächelte.

Und ich konnte rein gar nichts dagegen tun.

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Nur, weil ich nun wieder aktiv auf Wattpad Kapitel etc. hochlade, heißt es nicht, dass der Rassismus in der Welt besiegt wurde. Informiert euch und andere weiterhin, macht auf dieses Thema aufmerksam und kämpft dagegen an.
Vielen Dank.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt