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"Es tut mir leid."

Oh. Die Einsicht. Endlich.

Auf meinem Schminkhocker drehte ich mich zu Aurelia um. Drei Wochen. Drei Wochen hatte sie dafür gebraucht.

"Es tut mir leid, Bess."

"Du wiederholst dich, Schwesterherz."

Seufzend ließ sich Aurelia auf mein Bett plumpsen. Gar nicht ladylike. Aber naja. Sie ließ ihr Gesicht in ihre Hände gleiten und stöhnte auf. Ihre braunen Haare fielen ihr ins Gesicht und umhüllen sie wie ein Schleier.

Ich erhob mich von meinem Hocker und setzte mich neben sie. Sie sah echt fertig aus.

Rick hatte nochmal mit mir geredet. Er hatte mir klar gemacht, dass es Aurelias Entscheidung war, und zwar ihre ganz allein; und nach einer gefühlten Ewigkeit, jedenfalls für Rick, hatte ich es eingesehen.

Ich hatte eingesehen, dass das Casting nur sie bestimmen konnte.

Aber sauer, weil sie es mir nicht gesagt hatte, wie versprochen, war ich noch immer.

"Das weiß ich doch", murmelte ich und ließ mich blindlinks nach hinten fallen. Kein bisschen Staub wirbelte auf. Kein Wunder, bei dem Eifer meiner Zofen.

Ein leises Geräusch und meine Schwester lag neben mir. Zusammen  starrten wir die Decke an.

"Es gibt einfach nur keine andere Möglichkeit, weißt du? Wenn ich nicht mit irgendeinem Adligen oder so enden will, ist das Casting meine einzige Chance. Ich will einen normalen Typen, Bess. Mein ganzes Leben ist besonders, ich möchte nur einmal wieder ein ganz normales Mädchen sein."

Mein Blick glitt zu ihr. Sie sah unendlich traurig aus. Ob ich mehr Verständnis für sie hätte zeigen sollen? Bestimmt hatte sie sich die Entscheidung selbst nicht leid gemacht.

"Jetzt tut es mir leid", seufzte ich pustete dabei ein paar Strähnen aus meinem Sichtfeld.

"Wir waren wohl beide ein bisschen stur", schloss Aurelia und sah mich nun an. Ein kleines Lächeln lag auf ihren rot angemalten Lippen, und es machte mich glücklich, zu wissen, dass ich der Grund dafür war.

"Vermutlich."

Einige Sekunden starrten wir uns in die Augen, dann fingen wir gleichzeitig an zu lachen. So waren wir nunmal. Erst schwiegen wir uns ewig an, und plötzlich lachten wir wieder zusammen. Aurelia zog mich in eine Umarmung, was unglaublich ungemütlich war, weil wir immer noch lagen. Trotzdem war es schön.

"Wir sind komisch", lachte ich und versuchte, ihre aufwendige Frisur nicht zu zerstören.

"Allerdings!", antwortete meine Schwester, gab einen feuchten Dreck auf meine Haare und wuschelte durch diese. Ich hasste sie.

"Ey!" Ich schubste sie gespielt beleidigt zurück, doch ihr Grinsen verschwand nicht, und ein Blick in den Spiegel neben meinem Bett verriet auch, warum. Ich sah schrecklich aus! "Dafür bringe ich dich um!"

Und mit diesen Worten schmiss ich mich auf sie und fing an, sie erbarmungslos durchzukitzeln.

"Nein!", brachte sie zuckend heraus. "Gnade! Ich flehe dich...", ein Lacher, "ich flehe dich an!"

Ich schüttelte vehement den Kopf. "Wie heißt das richtig?", fragte ich amüsiert über ihren flehenden Ausdruck.

"Bitte, Bess Cynthia Margot von Morgenstern!"

Besser. Grinsend ließ ich von ihr ab, gerade als die Tür aufgerissen wurde und eine Wache hereingestürmt kam. Ich kannte seinen Namen nicht, er musste neu sein.

Und er glotzte mich genauso verwirrt an, wie ich ihn.

"Majestät? Ist alles gut bei Ihnen?", fragte er. Bei seiner Stimme hob Aurelia, die sich bisher hinter mir versteckt hatte, den Kopf. Der Junge riss die Augen auf und stellte sich etwas gerader hin. Ich unterdrückte ein Lachen.

"Prinzessin Aurelia, Majestät!" Fast war es lächerlich. Immer, wenn Aurelia auftauchte, richteten sich die Augen und die Aufmerksamkeit sofort auf sie; auch jetzt. Wenn sie neben mir stand, war es egal, ob ich die Prinzessin der Deutschen Förderation oder ein Bauernmädchen war.

Aurelia richtete sich auf, voller Eleganz. Mit einem Mal war sie nicht mehr meine Schwester, sondern die zukünftige Königin. Sie lächelte die fremde Wache an und sagte ihm, alles wäre gut. Wir hätten nur ein wenig gemeinsame Zeit verbracht. Dann schritt sie - sie schritt, sie lief nicht - aus meinem Zimmer und ließ den Jungen verdutzt zurück.

Jetzt musste ich doch lachen. Der Typ guckte nun mich komisch an.

Ich stand auf, weit nicht so grazil wie Aurelia, aber immerhin, und stellte mich immer noch kichernd vor den Wächter.

"Wie lautet Ihr Name, Mister?"

Er schüttelte seinen Kopf kurz, wobei seine braunen Haare leicht hin und her wippten. Dann schien er sich gesammelt zu haben.

"Wicher, Majestät. Levi Wicher."

Ich nickte. Ich hatte seinen Namen wirklich noch nie gehört.

"Sie sind neu im Palast?"

Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Was ein Klischee.

"Nein, Majestät. Ich habe bis vor Kurzem in der Küche gearbeitet."

Oh. Entschuldigend sah ich ihn an. Ich kannte kaum Arbeitskräfte aus der Küche, nur den Chefkoch und einige höhere Angestellte, die uns ab und zu nach Wünschen fragten oder mit uns neue Gerichte probierten.

"Und nun sind Sie Wache, weil...?"

"Ich habe mich freiwillig gemeldet. Der König stellt nun mehr Wachen ein, um die Sicherheit bis und während des Castings zu gewährleisten. Aber das sollten Sie ja wissen, Majestät." Nein. Aber egal. "Außerdem brauchte ich ... Abwechslung."

Wieder nickte ich. Das ergab Sinn. Ich hätte mich gerne noch ein wenig mit ihm unterhalten, besonders, weil er in meinem Alter war und ich nicht oft mit solchen in Kontakt kam, aber ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich eine Besprechung mit einem Berater hatte. Wir würden meine Vorschläge für das Herrenkabinett besprechen - einen besseren Namen hatte ich noch nicht gefunden.

"Na dann, Levi Wicher, es war nett, Sie kennenzulernen. Ich habe jetzt einen Termin", meinte ich und wie eine gute Wache es tat, hielt er mir die Tür auf.

"Viel Erfolg dabei, Majestät."

Ich lächelte und hatte mich schon abgewendet, als ich mich ihm doch noch einmal zuwandt; mir war etwas eingefallen.

"Wicher?"

Er war schon einige Meter gegangen, blieb aber sofort stehen und schaute mich erwartungsvoll an.

"Wie würden Sie einen Raum nennen, der Männern vorbehalten ist? Also, wie der Damensalon."

Er sah mich an, als hätte ich ihm einen Heiratsantrag gemacht. Dabei fragte ich ihn nur um einen Rat - zwar in königlichen Angelegenheiten, aber hey.

"Vielleicht...Herrenkabinett?"

Ich kicherte in mich herein.

"Vielen Dank, Wicher. Sie dürfen jetzt wieder ihren Dienst aufnehmen."

Nachdem ich ihn den Rücken zugewandt hatte, verdrehte ich lachend die Augen.

Männer waren doch alle gleich.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt