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"Das ist nicht Ihr Ernst."

"Oh doch, das ist es. Es ist ein Befehl, wenn Sie so wollen. Auch, wenn ich 'Bitte' gesagt habe."

"Ich wurde nicht dazu ausgebildet."

"Dann gehen Sie zurück in die Küche, da kommen Sie doch schließlich her."

Levi Wicher sah mich verdutzt an. Dann seufzte er auf. Letztens war er erträglicher gewesen, da hatte er noch gesagt, als Wache wäre es seine Pflicht, mir zu helfen.

"Zu Ihren Diensten, Majestät.", murmelte er, und auch, wenn ich es mir etwas enthusiastischer gewünscht hätte, lächelte ich zufrieden.

"In zehn Minuten am Stall."

Und schon war ich weg.

Die Sonne schien, doch es war nicht besonders warm. Ich war froh, jetzt eine Hose und kein Kleid tragen zu können.

Chris hüpfte neben mir her. Er hatte wieder meine Hand genommen, und zog diese nun hin und her.

"Du kommst noch schnell genug zu Vicky", lachte ich.

Vicky war Chris' Pferd, das er über alles liebte. Er dufte sich nicht reiten, dafür waren beide noch zu jung, aber seit er bei ihrer Geburt vor sieben Monaten dabei gewesen und ihr ihren Namen gegeben hatte, gehörte sie quasi zu ihm.

Levi sah uns schon von Weitem kommen. Er hatte sich gegen die Wand neben dem Stalltor gelehnt und verbeugte sich vor uns, als wir bei ihm ankamen. Chris ignorierte diese Geste gekonnt. Er trennte sich von mir und rannte ins Stallinnere.

Ich folgte ihm. Die Pferde der königlichen Familie standen etwas getrennt von den anderen, doch Vicky war noch ein Fohlen und somit mit ihrer Mutter zusammen untergebracht. Ich deutete Levi, einen Blick auf Chris zu haben, der Vicky gerade über den Rücken streichelte, während ich selbst zu meinem Pferd Pangea ging.

Ehrlich gesagt hatte ich Reiten nie groß gemocht. Ich hatte Höhenangst. Aber ich genoss es, wenn mir Zeit dazu blieb, mit Pangea Ausflüge zu machen, einfach neben ihm herzulaufen und ihn zu beobachten.

"Hey", murmelte ich, als ich seine Box öffnete und er mich fast freudig anblickte. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er kam mir entgegengetrabt. Er wieherte.

"Wie geht's dir?" Keine Antwort. Logisch. Ich schmunzelte.

Pangea hatte dunkles Fell und eine weiße Mähne. Ich wusste nicht, welche Rasse er hatte, denn es hatte mich nie interessiert.

Es war fast wie mit den Kasten. Sie bestimmten, was man war, aber nicht, wer man war. Mit Pangea war es das gleiche.

Chris lachte. Es machte mich froh, zu wissen, dass er hier bei Vicky normal sein konnte - kein Prinz. Denn, obwohl er es oft nicht zum Vorschein brachte, so wusste er doch ganz genau, dass er nicht so war wie andere Jungen in seinem Alter.

Ich füllte den Futterkasten von Pangea auf, sauber war er schon. Er musste vor kurzem geputzt worden sein, sonst wäre er mit den meisten anderen Pferden auf der Koppel. Er ließ genüsslich seinen Kopf im Futter verschwinden. Ich lachte.

"Ein hübsches Pferd", erklang es hinter mir und grinsend drehte ich mich zu Levi um. "Welche Rasse?"

"Keine Ahnung."

"Sie wissen nicht, was Sie für ein Pferd besitzen?", fragte er verblüfft und ich schüttelte den Kopf.

"Aber vielleicht haben Sie als weiteren Beruf auch noch Stallbursche gelernt. Oder Sie kennen einen. Dann könnten Sie es mir verraten."

"Tut mir leid, Majestät, da muss ich Sie enttäuschen."

"Tun Sie nicht. Mir ist es egal, welche Rasse er hat."

Ich hatte mich wieder Pangea zugewendet, konnte Levis Blick aber genau auf mir spüren.

"Das habe ich mir fast gedacht", meinte er nach einer Weile, so leise, dass ich ihn fast nicht gehört hatte. Daraus schloss ich, dass ich es nicht hören sollte und beließ es dabei. Ich schloss die Tür von der Box und schaute Levi an.

"Sie sollten auf die königliche Majestät Acht geben. Sie haben Ihre Pflichten versäumt."

"Der Prinz und sein Pferd sind sich so vertraut, ich hatte das Gefühl, ich störe."

Ich verzog mein Gesicht leicht. Ich hatte das Bedürfnis, ihm zu sagen, wie gestört ich mich so oft fühlte, aber ich brachte es nicht über mich. Ich kannte ihn ja nicht einmal wirklich.

Ich durchquerte den Stall zu Chris. Er hatte sich neben die auf dem Boden liegende Vicky gesetzt und kämmte ihre Mähne mit seinen Fingern. Ich stützte mich an einem Pfosten ab und schaute ignen zu. Es war goldig mit anzusehen.

"Er würde ein gütiger König werden", meinte Levi hinter mir.

Er wusste nicht, welche Gefühle er damit in mir auslöste. Ich versuchte, den Klumpen, der sich in meinem Hals bildete, herunterzuschlucken, aber es ging nicht.

Wieso auch? Wieso hatte es ihn treffen müssen? Er war zu gut gewesen.

"Majestät?"

Chris hatte seine dunkelbraunen Augen. Er hatte so viel von ihm, und er wusste es gar nicht.

"Ist alles gut?"

Ich spürte Levis Hand auf meinem Rücken und zuckte zusammen. Das ließ Chris ausschauen. Er lächelte mich voller Glückseligkeit an. So wie er es früher getan hatte.

Ich öffnete das Tor, trat in die Box von Vicky und ihrer Mutter, die ruhig in einer Ecke stand und fraß, und setzte mich zu Chris. Levi blieb, wo er war.

"Du magst sie wirklich, oder?", fragte ich ihn abwesend und betrachtete Vickys braun-weiß geflecktes Fell.

"Ja. Aber nicht so sehr, wie ich dich mag."

Seine Worte kamen unerwartet. Überrascht blickte ich zu ihm auf. Er lächelte noch immer, und ich erinnerte mich daran, wie oft er heute meine Hand gehalten hatte.

"Ich habe dich nämlich sehr lieb, Bessi. Noch mehr als Auri, auch wenn du das nicht glaubst. Aber das darfst du ihr nicht sagen, versprochen?"

Ich starrte ihn einfach baff an. Er hatte eine solche Ernsthaftigkeit in seiner Stimme gehabt, dass ich das Gefühl hatte, mit einem alten Mann anstatt mit einem Fünfjährigen zu sprechen.

In diesem Moment vergaß ich, dass Levi unweit von uns stand, dass Rick und Aurelia auch irgendwie Verräter waren und dass er nicht mehr da war.

Ich schloss Chris in meine Arme und drückte ihn ganz fest an mich. Dann, als ich mich von ihm löste, blickte ich ihn tief in die Augen.

"Ich habe dich auch lieb, Chris. Auch, wenn es manchmal nicht so aussieht."

Und ich meinte es so. Und er lächelte und ich wusste, wieviel ihm das bedeutete.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt