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Der Raum, der vorerst für die Erwählten vorgesehen war, befand sich unweit des Damensalons. Er war kaum merklich kleiner, hatte ebenfalls große Fenster und war fast noch komplett leer - oder eher wieder. Keine Ahnung, was hier vorher gewesen war, vermutlich ein Besprechungszimmer, ich war hier nie gewesen.

Mr Johnson, so hieß der Berater für Gestaltung und effiziente Raumnutzung, hatte lange, helle Haare, die er in einem Zopf zurückgebunden hatte. Er war schlicht gekleidet, bis auf eine knallpinke Fliege um seinen Hals, und damit erinnerte er mich an mich. Bei der Begrüßung hatte er mich nicht mit Glashandschuhen angefasst.
Er hatte mir sofort gefallen.

"Fünf Wochen. Ich weiß nicht, wie wir das hinbekommen sollen", murmelte er säuerlich und ich kicherte. Wir hätten schon früher anfangen können, aber der werte Herr war sehr beschäftigt.

"Ich hoffe, wir finden schnell eine Lösung, sonst drehe ich noch durch", fuhr er fort und zog einen Klettblock sowie einen ebenfalls rosa Stift hervor.

"Da bin ich zuversichtlich", munterte ich ihn auf, doch erntete nur ein müdes Lächeln. Ich war mir sicher, er hatte schon die Privaträume der Erwählten gestalten müssen und war genauso wenig besessen darauf sie kennenzulernen wie ich.

"Um ehrlich zu sein, habe ich gar keine Ahnung, was ich mit diesem Raum anfangen soll. Er ist so groß - ich habe es lieber klein und gemütlich." Da war er im Palast aber am ganz falschen Ort gelandet. "Deshalb möchte ich mich so weit wie möglich raushalten und Sie machen lassen; ich vertraue Ihnen da voll und ganz, Majestät."

"Bess."

"Hm?"

Ich seufzte. "Jetzt, wo wir sowas wie Kollegen sind, können Sie mich Bess nennen."

Er nickte. "Benjamin." Ich lächelte zufrieden.

"Sehr schön, Benjamin. Es freut mich, dass Sie so viel Vertrauen in mich haben - ich hoffe, ich werde Sie nicht enttäuschen. Sie, meine Familie und die Erwählten."

Mit diesen Worten legte ich die Blätter, die ich aus meinem Arbeitszimmer geholt hatte, vorsichtig auf den Boden. Ich hatte lange an den Plänen gesessen, mein ganzes Herzblut da reingesteckt. Als Prinzessin hatte man oft das Gefühl, man müsse niemandem etwas beweisen, weil man schon jemand war; aber dieses Mal wollte ich alle umhauen.

Benjamin hockte sich vor meine Zeichnungen und studierte sie. Meine sonst so ordentliche Handschrift war an manchen Stellen verwischt und hingekritzelt, weil ich gute Ideen sofort niederschreiben hatte wollen. Nach einigen Minuten stand der Berater wieder auf und nickte mir anerkennend zu.

"Ich hätte es nicht besser machen können."

Überrascht riss ich die Augen auf. "Sie wollen nichts verändern? Ich meine, es sind nur Ideen, ich bin wirklich nicht beleidigt, wenn Sie etwas austauschen oder anders machen wollen!"

Aber Benjamin schüttelte nur den Kopf. Sein Zopf lockerte sich etwas und gekonnt zog er ihn wieder fest. "Nein, Bess, ich bin äußerst zufrieden. Glauben Sie mir, vor zehn Minuten war ich sehr missmutig, Sie waren ja selbst dabei, aber nun bin ich mir sehr sicher, dass das Zimmer toll aussehen wird, nur wegen ihnen. Die Erwählten werden sich sehr wohl fühlen."

Ich lächelte berührt. All die Zeit, die ich mit den Plänen verbracht hatte, schien sich schon jetzt auszuzahlen.

"Vielen Dank, Benjamin. Das bedeutet mir sehr viel", sagte ich ehrlich. Dann, vom Eifer erpackt, schnappte ich mir die Zettel und heftete sie mir an die Brust. "Ich werde sofort fragen gehen, ob wir noch Möbel in diesem Holz und so weiter haben. Die Vorhänge gibt es auf jeden Fall, die hängen auch oben im-"

"Stop, Bess!", lachte Benjamin und nahm mir die Pläne aus der Hand. Verwirrt überließ ich sie ihm. "Das ist mein Job. Ich werde alles organisieren, keine Sorge. Nach der Bekanntgebung der Erwählten richten wir dann ein - da sind Sie wieder dabei. Bis dahin überlassen Sie mir den Job."

Ich nickte. Damit konnte ich leben.

"Schön. Ich glaube, das war die kürzeste Beratung, die ich jemals hatte." Ich lachte. Dito.

"Dann hoffe ich, dass ich von Ihnen höre", meinte ich und gab ihm die Hand, die er, mit komplizierten Umwegen aufgrund der Papiere, annahm und sachte schüttelte.

"Wir sehen uns. Und machen Sie sich Gedanken über den Namen, damit das Schild für den Flur angefertigt werden kann. Denn mal unter uns", er beugte sich vor und flüsterte weiter, "'Herrenkabinett' ist ja wohl schrecklich!" Er entfernte sich wieder und grinste leicht. Ich schmunzelte zurück. Dann verließ er den Saal.

Noch einmal ließ ich meinen Blick über die Wände streifen. Durch die Fenster hatte man einen wunderbaren Blick auf den Garten, wo nun schon alles grün war. Mit den dunklen Holzmöbeln, kombiniert mit hellen Sitzmöglichkeiten, Gardinen und Krimskrams sowie dem Sonnenlicht würde es hier toll aussehen. Hoffte ich zumindest.

Stolz über mich selbst verließ ich mit wallendem Haar den baldigen Salon.

Sollten die Erwählten doch kommen.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt