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Ich starte den jungen Mann vor mir an.

Er klang nicht verrückt. Er klang nicht wie jemand, der aus einer Anstalt ausgebrochen war und sich nun innerlich lustig über mein schockiertes Gesicht machte.

Nein. Er meinte es vollkommen ernst.

Aber wie konnte das sein? Wie konnte er über irgendetwas Bescheid wissen, was mein Leben bedrohen könnte, wenn er allein arbeitete? Wer war dieser Mann?

"Ich glaube Ihnen kein Wort", zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen und mein Gegenüber leckte sich angestrengt über die Lippen.

"Ich möchte Ihnen wirklich helfen, Majestät, aber ich werde Ihnen erst weitere Informationen liefern, sobald sie mich herausgelassen haben."

Ich lachte gezwungen auf. "Wieso sollte ich Ihnen irgendeins Ihrer Worte glauben? Officer Todd und mein Vater können sonst was besprechen, und Sie versuchen nur, mich zu manipulieren oder so!"

Der Schwarzhaarige schüttelte bewegt den Kopf. Fast schon verzweifelt kam er bis zu der Gittertür heran und umklammerte die Stäbe.

"Viele Menschen werden sterben, wenn Sie mir jetzt nicht vertrauen!"

T.s echter Name war nicht Tommy McMiller, auch wenn das T. wirklich für Tommy stand (was streng genommen sein zweiter Vorname war) und McMiller der Nachname von Danges war, auch arbeitete nicht allein. Doch der Rest seiner Worte waren wahr.

Vor drei Wochen hatte er erfahren, was heute, ausgerechnet an seinem Geburtstag, passieren sollte.

Deshalb hatte er Rya treffen wollen. Er hatte sie in Kenntnis setzen wollen, er hatte gewollt, dass sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen könnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er längst wieder zu Hause sein wollen.

Doch jetzt stand er dort, in einem Verließ der königlichen Familie, gegenüber der jüngeren Prinzessin, der einzigen, der er hatte zutrauen können, naiv und gleichzeitig schlau genug zu sein, um ihm zu glauben.

In dem Moment, in dem der König mit dem Officer hastig weggegangen war, war ihm klar gewesen, das der Spion bei den Südrebellen nicht gelogen hatte.

Der Angriff der Südrebellen würde heute stattfinden. Und T. selbst war eingeschlossen, während Rya ahnungslos und ängstlich um ihren Freund im Schloss umherirrte.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Ging ein paar Schritte zurück, wandte mich ab.

Er redete Unsinn. Er musste Unsinn reden. Aber wieso war ich dann so überzeugt davon, dass er die Wahrheit sagte?

"Mit jeder Sekunde, die sie vergeuden, rückt die Gefahr näher, Majestät. Ihre Familie ist da oben, ihre Zofen und die Erwählten des Castings! Sie können sie wahnen, wenn Sie nur diese verdammte Tür aufmachen!"

Es gibt keinen Anhaltspunkt, ihm zu vertrauen, redete ich mir ein und versuchte, den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Es ging nicht.

"Wie sollten Sie irgendwas von einer drohenden Gefahr wissen, wenn sie nicht Teil dieser sind? Und wenn Sie Teil dieser sind, wieso würden Sie mir davon berichten?"

"Ich will hier raus kommen, bevor sie anfängt, ganz einfach."

Ich betrachtete ihn. Er war nicht älter als 20, und durch seine Aufregung war der Trug, er sähe älter aus, verschwunden.

"Wenn Sie ein treuer Bürger der Deutschen Föderation wären, würden Sie mir die Informationen ohne Selbstnutz aushändigen."

Der Junge schüttelte lachend den Kopf. "Wenn ich ein treuer Bürger der Deutschen Föderation wäre, würde ich nicht hinter diesen Gittern verweilen." Er rüttelte etwas an den Stäben und die Männer an der Treppe schauten auf. Er wurde wieder ernst.

"Ihnen wurde erzählt, dass ich im Nordturm gefasst wurde?" Ich nickte, unwissend, was er mit dieser Information anfangen sollte.

"Schauen Sie am Fuße dessen nach, dort ist der Beweis, warum Sie mir glauben sollten. Nur befürchte ich, dass Sie nicht wiederkommen werden, ehe es beginnt."

"Ehe was beginnt?"

"Lassen Sie mich raus und Sie sind schlauer, was das angeht." Er verschränkte die Arme, als wenn es ihm egal wäre, doch hinter der schmutzigen Brille lagen Augen, in denen Furcht und Besorgnis Zuflucht fanden.

"Sie haben zwei Wachen ausgeschaltet. Sie werden es wieder tun."

"Ich habe sie betäubt, kampfunfähig gemacht, mehr nicht."

"Wieso?"

"Ich musste meinen Weg finden."

"Zum Nordturm? Wieso zum Nordturm?"

"Das geht Sie nichts an."

Ich hätte lachen können. Ich wollte lachen. Aber ich konnte nicht. Dieser Mann vor mir war ein Rätsel, vielleicht eine Bedrohung, vielleicht der Schlüssel zur Verhinderung einer.
Und ich konnte mir in keinem Fall sicher sein, was von beidem zutraf.

"Wenn Sie mich nicht befreien, dann werde ich alles daran setzen, dass die das tun", meinte er. Aber wer waren die?

"Sie werden hier nicht rauskommen. Nicht heute, nicht morgen, wenn Sie nicht anfangen zu reden nie wieder, Tommy McMiller."

Er musterte mich. Eine ganze Weile verharrte sein Augenpaar auf meinem Gesicht, und wenn er nicht schon ein Gefangener wäre, hätte ich ihn dafür eingebuchtet. Dann seufzte er und fuhr sich durch sein eh schon verstrubbeltes Haar.

"Ich mag Sie, Majestät. Ich glaube, Sie sind ziemlich kompetent in Ihrem Fach und ich sehe Hoffnung in Ihnen."

Was erwartete er? Dass ich ihm für diese Worte dankbar war?

"Ich weiß nicht, wann die Sirenen losgehen werden, aber Sie sollten in Sicherheit sein, wenn Sie es tun."

Die Sirenen? Die Sirenen gingen nur an, wenn...

"Die Südrebellen sind dieses Mal auf mehr Zerstörung aus als je zuvor."

Ich stutzte. Niemand wusste von den verschiedenen Lagern der Rebellen. Natürlich wusste die Bevölkerung von den Rebellen, aber nur wenige normale Leute kannten die Unterschiede zwischen Nord- und Südrebellen.

Doch ich konnte nicht länger darüber nachdenken. Denn er sollte recht behalten.

Die Sirenen fingen furchtbar laut und ohrenbetäubend an zu singen, ja, zu kreischen.

Ich riss meine Augen auf und blickte den Mann vor mir ängstlich an.
Wie hatte er das wissen können?, dröhnte mir wieder und wieder durch den Kopf, das Blut in meinen Adern pulsiert.

Der Unbekannte fing an, hektisch zu atmen, seine Augen voller Angst, doch ich achtete nicht mehr darauf. Die Wachen, die am Fuß der Treppe gestanden hatten, waren zu mir geeilt und rissen mich nun mit.

Ich stolperte die Stufen hinauf. Oben, als ich aus dem Treppensystem herausstolperte, war niemand zu sehen. Alles war still, bis auf die Sirene. Die eine Wache schubste mich weiter, drängte mich in die Richtung der königlichen Schutzräume, während mir das Gesicht des Gefangenen nicht aus dem Kopf ging.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt