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Es war Theo. Es konnte nur Theo sein.
Es ging ihm gut.

Ich öffnete meine Lider und meine Augen folgten der Gestalt vor mir hinauf bis zu seinem Gesicht.
Theo grinste breit auf mich herab.

Chris löste sich von mir, woraufhin ich mich aufrichten konnte. Der Blonde war nicht viel größer als ich, und nun war es ihm nicht mehr möglich, mich so sehr von oben herab zu mustern. Chris fasste mich an der Hand und zog daran, während er auf Theo deutete, der seine Hände entspannt in seinen Hosentaschen verstaut hatte. Es schien ihn recht wenig zu kümmern, dass gerade ein Rebellenangriff stattgefunden hatte. Missmutig kniff ich meine Brauen zusammen.

"Theo hier hat mich und Hannah geholt, als die Sirenen angingen. Wir wussten gar nicht so genau, was wir tun sollten, weil der Schutzraum ja ganz woanders ist, als wo wir waren. Aber dann kam er und hat Hannah gefragt, ob sie weiß, wo der nächste sichere Platz ist, und obwohl sie geweint hat, hat sie es ihm erklärt."

Theo grinste, immer noch. Es gefiel ihm wohl, Held der Geschichte zu sein.

"Doch dann kamen die bösen Leute. Und sie wollten uns angreifen, woah, ich dachte schon es ist vorbei, aber Theo hat alle drei fertig gemacht, das hättest du sehen müssen!"

Gott, ging mir dieses Grinsen auf die Nerven. Während Chris die Erfahrung mit allerhand Gesten und Handgefuchtel schilderte, blickte Theo mir die ganze Zeit in die Augen.
Konnte er das nicht einmal unterlassen?

"Und dann hat er uns hierher gebracht, ganz unversehrt, und dann waren wir in Sicherheit. Und ich hatte gar keine Angst, Bess!"

Ich nickte und wischte mir die letzten Tränen aus den Augenwinkeln. Es war ihnen zu keinem Zeitpunkt wirklich schlecht gegangen, das zählte.

"Natürlich hattest du das nicht", hauchte ich heiser und fuhr ihm durch seine feinen Haare.

Ich hatte Angst. Ich hatte so Angst, Chris, aber das würde ich dir niemals sagen.

In diesem Moment bemerkte Chris Levi, der in einiger Entfernung stehengeblieben war und alles stumm mit angeschaut hatte. Er eilte schnellen Schrittes zu ihm, vermutlich, um ihm die gesamte Geschichte noch einmal zu erzählen, während ich, Theo links liegen lassend, auf Hannah zuging.

Sie lächelte mich bereits müde an und nahm mich sanft in die Arme, als ich zu ihr trat.

"Bess."

Ihre ruhige Stimme brachte meinen Herzschlag endlich wieder in ein Gleichgewicht. Sie sah zwar labil und zerbrechlich aus, aber sie war eine starke Frau. Ich war so glücklich, jemanden wie sie zu haben.

"Geht es deiner Familie gut?", fragte sie besorgt, ihre Stirn in Falten und den Kopf schief gelegt, und ich nickte. Mir fiel ein, dass jemand Sie über Chris Zustand informieren müsse, doch so schnell, wie Officer Kohen mir die Nachrichten überbracht hatte, waren bestimmt auch sie in Kenntnis gesetzt worden.

"Wir alle waren mit vielen der Erwählten im Königlichen Schutzraum. Markus hat uns rausgeholt."

Hannah lächelte froh, als sie von ihrem Mann hörte. Sie strich mir gedankenverloren über die Haare, die mittlerweile ein einziges Chaos bildeten, so wie der Palast selbst.

"Alles wird gut", murmelte sie. "Es ist vorbei."

Ich stimmte ihr zu, auch wenn wir beide wussten, dass es längst nicht vorbei war. Nur ein Angriff von vielen. Menschen waren getötet und verletzt worden. Der Palast war verwüstet und viele waren verunsichert, bestimmt auch einige der Erwählten.
Ob welche abreisen würden?
Ich rief mir jene in Erinnerung, die im Schutzraum völlig aufgelöst gewesen waren. An Joel, der sich Sorgen um Theo gemacht hatte; dabei waren sie doch eigentlich Konkurrenten.

Und mit einem Mal schienen mir die Erwählten viel menschlicher als zuvor.
Auch sie hatten Angst gehabt.

Es dauerte eine Weile, bis ich dazu bereit war, mich auf in die Richtung meiner Gemächer zu machen, da ich nicht wusste, ob die Südrebellen bis dorthin vorgedrungen waren. Ich wusste ja nicht einmal genau, worauf sie überhaupt auswaren.

Aber ich brauchte Ruhe. Ich hatte keine Kraft mehr, war ermüdigt von der Angst und ermattet von den Tränen.

Als ich in den Gang einbog, auf dem mein Schlafzimmer lag, konnte ich jedoch erleichtert aufatmen. Ich lächelte erleichtert.

Alles war wie immer.
Der Teppich war vollkommen sauber, die Bilder von meinen Großeltern an der Wand, die ich sonst kaum beachtete, hingen auf den Millimeter gerade. Selbst die grässliche alte Vase, ein Geschenk der Königsfamilie aus Frankreich zu meiner Geburt, stand an Ort und Stelle und lachte jeden stilbewussten Menschen, der an ihr vorbei ging, frech mitten ins Gesicht.

Ich war stehen geblieben, um alles zu bewundern, auf mich wirken zu lassen, doch nun trugen mich meine Füße weiter. Jedenfalls wollten sie das, kamen aber nicht weit.

Drei junge Zofen stolperten hastig aus meinem Zimmer, und als sie mich erblickten, weiteten sich ihre Münder zu warmen Lächeln. Unwillkürlich musste ich lachen.

"Prinzessin!", rief Ivana aufgeregt und umarmte mich stürmisch. Ich lachte noch lauter, uns es tat unheimlich gut.

Das stürmische Mädchen löste sich wieder von mir und begab sich zu den anderen, die gesetzestreu die Finger von mir gelassen hatten. Kurzerhand war mir das aber egal, und ich schloss auch Joleen und Annalena in meine Arme, woraus rasche eine Gruppenumarmung wurde. Bis...

"Oh liebe Mutter Maria, was ist denn mit Ihrem Kleid passiert?"

Joleen hatte die Augen weit aufgerissen und erinnerte mich an den Riss im Stoff, den ich mir beim Sturz in den Schutzraum zugezogen hatte. Ich hatte ihn längst vergessen.

"Oh, das. Das ist nichts", winkte ich ab, doch Joleen schüttelte unzufrieden den Kopf und trat näher, um den Schaden zu begutachten.

"Also wirklich, dass Sie so rumlaufen können!", meckerte sie. "Sie werden in irgendeiner schrecklichen Zeitschrift landen, wenn das abgelichtet wurde! Und jetzt sagen Sie bloß nicht, es gäbe größere Probleme! So herumzulaufen schickt sich für eine Prinzessin nicht!"

Ich hatte versucht, mein Lachen zurückzuhalten, doch nun kam es einfach aus mir heraus. Verdammt, war das vielleicht zu viel gute Laune auf einmal? Joleen jedenfalls sah mich anklagend an und ich presste meine Lippen aufeinander, um nicht noch einmal lachen zu müssen.

Meine Zofen begleiteten mich in mein Ankleidezimmer und halfen mir dabei, mich wieder herzurichten. Sie ließen sich mehr Zeit als sonst, vielleicht wollten auch sie in einem Teil des Palastes verweilen, der nicht erreicht und zerstört worden war. Auch waren sie redseliger als sonst, selbst Annalena, die meistens still arbeitete.

Und als sie fertig waren mit ihrer Arbeit, bat ich sie, noch einen Tee mit mir zu trinken, weil ich nicht sicher war, was in meinem Kopf vor sich gehen würde, wenn ich allein geblieben wäre.

Es geht weiter!

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt