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Erst in meinem Zimmer brach ich zusammen.

Ich hätte es wissen müssen. Er war perfekt. Er war perfekt und ich war es nicht. Wie hatte ich so blind sein können?

All die Male, die er gesagt hatte, das Casting wäre ein gutes Ding. Immer, wenn er Aurelias Talent für alles bewundert hatte.

Ich krallte meine Hände in Wolke, meinem Kuschelschaf. Mir war es egal, dass ich achtzehn war, es war mir so egal.

Tränen nässten meine Wangen und ein hässliches Schniefen tönte durch das Zimmer. Mein Schniefen.

Wie konnte ich so dumm sein? So unfassbar naiv? Wie konnte ich glauben, die Schwester der zukünftigen Königin könnte ihm etwas bieten? Ihm?

Ich hockte mich auf mein Bett, versuchte, mich so klein zu machen wie möglich. Das war unheimlich schwierig bei einer Größe von ein Meter neunundsiebzig. Trotzdem kauerte ich mich zusammen, Wolke eingequetscht zwischen meinen Beinen, meinem zitternden Oberkörper und meinem verheulten Gesicht.

Wieso ich?

Ich hasste ihn. Ich hasste ihn und Aurelia und Mom und Dad und mich sowieso.

Ich wollte überall sein, bloß nicht in diesem verdammten Schloss mit seinen verdammten Bewohnern. Mit Wachen, die einen nie aus den Augen ließen, Zofen, die immer um dich herumwirbelten und allen anderen.

Wieso konnte ich nicht eine fünf sein, irgendwo glücklich mit meiner Familie leben und Fotografien entwickeln?

Es klopfte und ich schrie, dass ich allein gelassen werden wolle.

Ob es Rick war?

Ob er es mir erklären wollte? Vielleicht war es ein Missverständnis. Das konnte doch sein. Und ich hatte ihn unhöflich fortgeschickt.

Ich hoffte es so sehr.

Aber kein Rick kam zur Tür hinein. Kein Rick kam, nahm mich in den Arm und tröstete mich.

Ich blieb alleine, alleine mit Wolke und meiner Traurigkeit.

Bis ich einschlief, verging eine lange Zeit.

Es klopfte erneut, etliche Stunden später. Es weckte mich, mich und meine schmerzenden Glieder. Bevor ich mich regen konnte, wurde die Tür geöffnet.

"Es tut mir leid, falls ich sie wecke, Majestät, aber mir wurde aufgetragen, nach Ihnen zu schauen", ertönte eine mir bekannte Stimme. Der junge Mann, der in der Tür stand, mit dem Rücken zu mir, um meine Privatsphäre nicht zu stören, steckte in einer nagelneuen Wachenuniform.

Levi Wicher.

Als ich mich aufrichten wollte, schoss ein quälender Schmerz durch meinen Rücken und ich stöhnte auf.

"Heilige!", fluchte ich und Levi drehte sich geschockt zu mir um. Als er das Chaos - mich - erblickte, riss er schockiert die Augen auf.

Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, wie ich aussah, denn genau so fühlte ich mich auch. Meine Schminke war vollkommen verschmiert, mein rotes Kleid, das ich gestern nicht ausgezogen hatte, war zerknittert und ich saß aufgrund meiner Schmerzen vollkommen gekrümmt da.
Neben mir lag Wolke.

"Wo haben Sie Schmerzen?", fragte Levi mich, der sich sofort wieder gefasst hatte, und kam mit zügigen Schritten zu mir.

"Rücken", zischte ich und unterdrückte weitere Tränen, die in mir aufkeimten, einfach nur, weil ich mich in so einem Aufzug vor einem fast Fremden zeigte. Erbärmlich.

Vorsichtig legte Levi seine Hand auf meinen Rücken und tastete ihn ab. Er war leichtsinnig, das ohne meine Erlaubnis zu tun, denn nur für diese kleine Geste hätte ich ihm schon Rutenschläge verpassen können.

Allerdings hatte ich gerade andere Probleme.

Mir war bewusst, dass er wirklich versuchte, nicht nachzufragen, was passiert war. Es war erstaunlich, dass er das nicht bereits wusste, schließlich war er gestern Abend anwesend gewesen und hatte mich bestimmt auch schon mit Rick zusammen gesehen. Aber trotz seiner Anstrengungen, sie zu verbergen, sah ich eine gewisse Neugier in seinem Ausdruck.

Mir egal. Wenn er wissen wollte, was los war, sollte er den Mut haben, zu fragen.

"Ich kann nichts fühlen. Vermutlich haben Sie sich nur verlegen."

Ach was. Blitzmerker.

"Sind Sie etwa neben Küchengehilfe und Wache auch noch Arzt?", fragte ich bissiger als beabsichtigt und bereute es sofort.

Levi entfernte sich auf angemessenen Abstand und schüttelte den Kopf. "Nein, Majestät. Meine Mutter."
Oh.

Unangenehme Stille. Da fiel mir etwas ein.

"Können Sie mir helfen?"

Levis Augenbrauen hoben sich.

"Ich kann nicht, es ist meine Pflicht." Klar. Ganz die Wache. Ich verdrehte die Augen und stand umständlich auf. Bekloppter Rücken.

"Ich kann das Kleid ohne Hilfe nicht aufmachen. Nicht mit den Schmerzen.", klagte ich und deutete auf den aufwendigen Verschluss an der Rückseite des Kleides.

"Hast du dafür keine Zofen dafür?"

Ich starrte ihn komisch an. Lange.

Erst, als er verstanden hatte, was mein Problem war, kniff er sein Gesicht zusammen, als ob es ihm jetzt, im Nachhinein, wehtun würde.

"Entschuldigen Sie, Majestät. Ich schätzte, ich habe mich noch nicht an meine neue Stelle gewöhnt."

Ich nickte, noch immer verwirrt. Es kam nicht oft vor, dass mich jemand außerhalb meiner Familie duzte.

"Sie haben sonntags frei."

"Wer?"

"Meine Zofen. Aber ich kann eine rufen lassen, Sie haben ja recht."

Er brauchte einen kleinen Moment, vielleicht verdaute er noch seinen Schock. Dann nickte er wie ich zuvor, verbeugte sich leicht und verschwand aus dem Zimmer.

Komischer Typ.

Aber wenigstens kein Arschloch.

Ein kleines Extrachapter.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt