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Ich hatte meine Schwester noch nie aufgeregter gesehen. Sie zappelte schon den ganzen Tag herum und benahm sich fast genauso wie Christopher. Jedenfalls hier bei mir, überall sonst trat sie auf wie immer.

Einen Monat war die Ankündigung des Castings nun her; und in einem weiteren Monat würden hier 35 Typen auftauchen, um um meine Schwester zu kämpfen. Wortwörtlich. Ich war mir sicher, es würde Streit und Prügeleien geben.

Aber noch war es nicht soweit. Aurelia und ich saßen zusammen in meinem Zimmer, jeweils drei Zofen wuselten um uns herum. Während es bei mir meine üblichen waren, wechselten Aurelias ständig; eine Sicherheitsmaßnahme. Sie bereiteten uns auf den Bericht heute vor, bei dem Aurelia die Erwählten ziehen würde, völlig nach Zufallsprinzip; wobei die Anmeldungen im Vorraus geprüft und sortiert worden waren. Ganz Zufall war es also doch nicht.

Als mich Aurelia aufgeregt gefragt hatte, ob wir uns zusammen fertig machen könnten, hatte ich freudig zugestimmt. In den letzten Tagen hatte ich sie schließlich nur drei Mal neben den Mahlzeiten gesprochen.

"Und, hast du schon eine Vorstellung von deinem Traumprinzen?", fragte ich provozierend, während Annalena mir die Haare lockte. Mom hatte mir wieder erlaubt, mich etwas auffälliger zu kleiden. Die Aufmerksamkeit des gesamten Volkes würde heute sowieso auf Aurelia liegen.

Diese rollte gerade mit den Augen. "Nein, Schwesterherz, habe ich nicht. Ich möchte nicht voreingenommen an die Sache rangehen." Weise sah sie mich an.

Ich lachte nur. "Alle Männer, mit denen du bisher was hattest, waren blond. Sag mir nicht, du hättest keinen Typen!"

Empört schnappte sie nach Luft, atmete sie wieder aus, weil sie merkte, dass ich recht hatte, und fügte nur leise hinzu: "Einer war rothaarig." Ich kicherte. Natürlich. Der Quotenrothaarige.

"Die Frage ist, wie es bei dir ist, Bess!"

"Das ist nicht wichtig. Ich habe Rick."

Aurelia hob die Augenbrauen, was eine ihrer Zogen mit einem Klaps auf den Arm quittierte, weil sie sie gerade schminkte. "Rick? Das läuft immer noch?"

Sie hatte ihn noch nie richtig gemocht. Das hatte sie mir von Anfang an gesagt, aber ich hatte ihr ja auch von Anfang an gesagt, dass das Casting eine bekloppte Idee war.

"Ja, das läuft immer noch. Ich mag ihn sehr gerne."

Dazu sagte sie nichts mehr. Ihr war wohl bewusst, dass sie gegen meine Gefühle nichts ausrichten konnte.

"Mylady? Sie sind soweit fertig. Sie müssen nur noch ihr Kleid anziehen", murmelte Joleen und hielt mir das rote Kleid hin. Aurelia hatte kurzfristig entschieden, dass wir Partnerlook machen würden. "Dann bin ich nicht so nervös", hatte sie zu mir gesagt. "Wenn ich weiß, hinter mir sitzt meine Schwester und ist gar nicht so anders als ich." Ich hatte eingewilligt.

Das Kleid hatte ein schlichtes Oberteil mit Trägern, die leicht unter den Schultern saßen. Ab der Taille fiel das Kleid in lockeren Wellen hinab, was wunderbar zu meinen gelockten Haaren passte. Das Augenmakeup, das ich wie gewohnt selbst übernommen hatte, war eine Mischung aus Gold- und Bronzetönen. An meiner Hand hing ein schlichtes Armband, das Rick mir bei unserem zweiten Date geschenkt hatte. Es war nicht mehr als eine einfache Kette, an dem ein Baum des Lebens hang.
Ich liebte es.
Das gesamte Outfit.

"Wenn ich nicht aufpasse, klaust du mir mit deinem Charme und diesem Auftritt noch die Erwählten weg", kicherte Aurelia und ich sah sie mit einem 'Nicht-dein-Ernst-Blick' an. Hatten wir nicht gerade geklärt, dass ich mit Rick glücklich war?

"Sie sehen wirklich hübsch aus", meinte auch eine der anderen Zofen, Lisy, glaubte ich. Dankend lächelte ich sie an. Sie hatte so einen Blick wie Aurelia nicht verdient.

Als auch meine Schwester endlich fertig war, mussten wir uns sputen, um pünktlich zehn Minuten vor dem Bericht beim großen Saal zu sein. Vor dem Haupteingang erblickte ich Levi Wicher, und als er meinem Blick begegnete, grinste ich ihn frech an.

Auf der Bühne standen siebzehn große Körbe sowie ein kleiner auf einem Podest. Die siebzehn Körbe waren mit Schildern der einzelnen Distrikte der Deutschen Föderation versehen. In dem kleineren waren Schnipsel, auf denen sie ebenfalls standen. Aus Gründen der Gleichberechtigung würden bei uns wie in Illeá 35 Erwählte gezogen werden, doch wo es dort wirklich 35 Bundesstaaten gab, wurden bei uns aus jedem Korb zwei Namen gezogen. Zum Schluss würde der gezogene Schnipsel aus dem kleinen Behälter entscheiden, von wo drei Männer kommen würden.

Ich fragte Aurelia nicht, ob sie aufgeregt war, denn ich wusste es bereits. Wer wäre auch nicht aufgeregt gewesen? Stattdessen drückte ich aufmunternd ihr Hand, als wir uns setzten.

Der Bericht begann und jeder im Saal schwieg vor Aufregung.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt