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Theo erwiderte.

Es war der zweite Tag des Castings und er brach schon jetzt die oberste Regel. Meinetwegen. Ich hatte ihn dazu gebracht.

Darauf stand Todesstrafe.

Deshalb stoß ich ihn von mir. Nach nur vier Sekunden war der schrecklichste Kuss in meinem Leben vorbei.

"Ich ... ich ... es tut mir ... oh mein Gott ... was habe ich getan? Es tut mir so ... leid", stotterte ich und schaute ihn überfordert an. Ich fuhr mir verzweifelt durch die Haare, sie waren immer noch zu lang, bevor ich mich hektisch umschaute, um sicherzugehen, dass niemand uns gesehen hatte.
Aber der Gang war leer.

"Wofür war das denn?", fragte Theo und verzog die Stirn. Er war auf meinen Stoß hin etwas nach hinten getaumelt, kam aber jetzt einige Schritte auf mich zu. Ich wich zurück.

"Das bleibt unter uns!"

Er lachte. Na super.

"Glauben Sie mir, ich bin nicht lebensmüde", meinte er amüsiert. Schön, dass er sich freute. Wirklich. Wenigstens einer von uns.

"Ich bin übrigens Theo. Aus Threegen."

Er hielt mir grinsend seine Hand hin, als wenn nichts wäre. Ich kochte innerlich noch mehr als zuvor.

"Ich weiß, wer Sie sind", zischte ich und warf ihm einen wütenden Blick zu. Noch einer auf meiner Liste, die ich heute gerne würgen würde.

"Oh." Er zog seine Hand zurück. "Das ist aber eine Ehre."

"Glauben Sie mir, es wäre mir lieber, ich würde Sie nicht kennen."

"Dann hätten Sie gerade einen wildfremden Mann geküsst. Und so etwas schickt sich für eine Prinzessin nicht."

Ich funkelte ihn an. Für wen hielt er sich überhaupt?

"Sagen Sie mir nicht, was ich tun oder lassen darf, Theo!"

Sein Grinsen verschwand. Endlich. Ich war kurz davor gewesen, es ihm aus seinem Gesicht zu schlagen.

Und das schickte sich für eine Prinzessin wirklich nicht.

"Es tut mir leid, Majestät. Ich dachte, Sie hätten mehr Sinn für Humor."

"Das nehme ich mal als Kompliment", sagte ich und verdrehte die Augen.

"Machen Sie das nicht."

"Was?"

"Die Augen verdrehen. Das lässt sie albern aussehen. Und albern steht Ihnen nicht."

Ich sah ihn fassungslos an. Wie konnte er so locker sein, nach dem, was gerade eben passiert war?

"Soll ich Sie etwa wieder anzicken?"

Er lachte erneut. Dieses Mal musste ich auch schmunzeln.

"Bitte nicht!", meinte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich war ihm dankbar dafür. Es brachte eine gewisse Distanz zwischen uns.

Eine Stille zwischen uns entstand, die so komisch war, wie ich noch nie eine erlebt hatte. Wir standen einfach da, ich, die ihn, den Erwählten meiner Schwester, geküsst hatte, und er, der es ziemlich sportlich hinnahm.

Aber irgendwann sagte er dann doch etwas.

"Ich denke nicht, dass Sie mir Ihre Beweggründe für Ihre Tat erläutern wollen. Und ich frage Sie auch nicht danach."

Ich lächelte leicht. "Danke."

"Aber falls Sie jemanden zum Reden brauchen - ich denke, unter den ganzen Erwählten könnte es mir mit der Zeit langweilig werden. Sie verstehen, was ich meine."

Ich nickte, aber es wäre mir komisch vorgekommen, mich noch einmal zu bedanken. Außerdem würde ich sein Angebot eh nicht wahrnehmen. Ich hatte auch meine Prinzipien.

Und was auch immer das gerade zwischen uns war, es durfte nicht noch einmal vorkommen.

So viel war sicher.

"Ich muss jetzt los", meinte Theo und legte daraufhin den Kopf schief. "Aber das wird Sie ja kaum stören. Sie hatten es gerade ja auch eilig."

Ja, eilig wegzukommen. Jetzt, wo ich mich ein bisschen beruhigt hatte, wusste ich gar nicht mehr, was ich nun tun sollte. Ich nickte einfach wieder.

"Wo müssen Sie denn hin?"

"Prinzessin Aurelia gibt bekannt, wer heute schon gehen muss."

Das hätte ich mir auch denken können. Ich nickte erneut, wie eine Bekloppte. Theo schien das aufzufallen, denn er schmunzelte, sagte aber nichts.

Ich räusperte mich. "Dann viel Glück", sagte ich, doch der blonde Junge vor mir zuckte nur mit den Schultern.

"Ich glaube nicht, dass ich das brauche."

Ich verkniff mir einen Kommentar so wie er eben. Am liebsten hätte ich ihn selbstverliebt genannt, oder arrogant, aber mir war gerade nicht nach Spaßen zumute.

Er verbeugte sich tief vor mir, so ähnlich wie gestern. Bald würde ich ihn fragen müssen, warum er das überhaupt getan hatte.

Mein Gedankengang wurde unterbrochen, als er sich aufrichtete und mich mit strahlenden, blauen Augen anschaute. Dann kam er näher.

Fast hätte ich gedacht, dass er mich ein weiteres Mal küssen würde - wobei ich ihn nicht als so dumm eingeschätzt hätte.

Doch er beugte sich nur vor zu meinem Ohr. Geschockt blieb ich wie angewurzelt stehen.

"Sie küssen gut, Majestät", flüsterte er nur, und als sein Gesicht wieder vor meinem war, nur wenige Zentimeter trennten uns voneinander, grinste er breit.

Dann ließ er mich stehen und lief weiter dorthin, wohin er ursprünglich gegangen war. Ich stand da und starrte auf den Fleck, wo vor wenigen Momenten noch seine Augen gewesen waren.

Was war denn das gewesen?

Nach einiger Zeit schüttelte ich den Kopf, um wieder in die Wirklichkeit zurückzukommen. Ich schluckte meine verwirrten Gedanken runter, und sie blieben mir fast im Hals stecken.

Ich wusste nicht, ob ich mir wünschte, dass Theo gehen oder noch einige Zeit im Schloss bleiben würde. Ich wusste nicht einmal, was ich von unserer Begegnung halten sollte, außer, dass ich sie nicht so schrecklich gefunden hatte, wie es hätte sein sollen.

Verwirrt lief ich zurück in mein Zimmer. Aurelia war nicht mehr da, logisch. Annalena empfing mich; sie hatte mir ein Bad eingelassen.

Ich bat sie, bei mir zu bleiben. Ich wollte mit meinen wüsten Gedanken nicht alleine sein.

Ein kleines bisschen spät, tut mir leid.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt