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Aurelia hatte Quentin wirklich nach Hause geschickt, ebenso wie Matt aus Central Hellenburg, Rassmus aus Brudence - der Junge, der gestolpert war - , Eric aus New Bavaria, Peters aus Antanden, an den ich mich kaum noch erinnern konnte, sowie Niklas aus Eastria.

Damit schrumpfte die Anzahl der Erwählten auf 29.

Rick war noch im Casting. Aurelia hatte nicht gelogen.

Schon beim Frühstück waren alle, die nicht mehr im Rennen waren, verschwunden, fiel mir auf, während meine Schwester und ich uns eisig anschwiegen. Ich hätte alles gegeben, nun neben Chris zu sitzen und mit ihm reden zu können.

Stattdessen saß ich allein an meinem Tischende und beobachtete die Erwählten dabei, wie sie aßen. Eine außergewöhnliche Tätigkeit, aber eine sehr aufschlussreiche.

Nathaniel und Zayn, die Jungen aus Jordans, saßen nebeneinander und lachten - doch während Zayn, der größere der beiden, gesittet seine Waffeln zu sich nahm, stopfte der andere sich den Magen voll, als ob es kein Morgen gäbe.

Entweder er war verzogen, oder arm.

Die Gruppe, die ich gestern angetroffen hatte, hatte sich einen gemeinsamen Platz gesucht; Gregor schien etwas aufgetaut zu sein und erzählte den anderen irgendetwas, woraufhin sie ihm anerkennend auf Schulter und Rücken klopften.

Angel, der Junge mit asiatischen Zügen, saß etwas abseits der Menschengruppe und aß nicht - er war mit einem Notizblock beschäftigt und der Stift in seiner Hand schwung elegant über das Papier. Ein Künstler also. Dabei sah er gar nicht aus wie eine 5.

Cassian war wieder mit dem Dunkelhäutigen zusammen, was mich nicht erstaunte, denn sie hatten schon gestern ziemlich vertraut gewirkt.

Mein Blick fiel auf Theo.

Er unterhielt sich mit einem Jungen mit weichen Gesichtszügen. Dima, wenn ich mich recht entsinnte. Dafür, dass sie mir alle eigentlich ziemlich unwillkommen waren, hatte ich mir ihre Namen sehr gut eingeprägt.

Schließlich musste man wissen, auf wen man Frust schob.

Der Blonde blickte auf. Natürlich tat er das. Was denn auch sonst.

Glücklicherweise saß Aurelia neben mir. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie sie ihm zuzwinkerte - sie zwinkerte nie. Hatte ich gedacht. Bis gerade eben.

Theo hob leicht die Hand. Ich glaube, ihm war zu lachen zumute, aber er behielt es für sich.

"Bess? Aurelia?"

Dad hatte die ganze Zeit mit Mom geredet, jetzt widmete er sich uns. Wir beide schauten ihn abwartend an.

"Könnt ihr euch an den Besuch der Königsfamilie aus Swendway vor zwei Jahren erinnern?"

Ich nickte nur, aber Aurelia hüpfte fast vor Aufregung. Ich verdrehte die Augen und mir war es egal, was Theo dazu sagen würde.

"Nun ja, in Swendway werden schon lange keine Castings mehr durchgeführt. Die adligen Familien Hellens und Timble möchten uns deshalb bald gerne einen Besuch abstatten. Die, die die königliche Familie beim letzten Mal begleitet haben."

Aurelias Augen wurden groß. Meine auch. Wo es bei ihr aber von Begeisterung, und ein klein bisschen Schadenfreude ausging, was es bei mir pures Entsetzen.

"Hellens?" Sie drehte sich zu mir und knuffte mir in die Seite. Genervt schloss ich die Augen. "Wie Alexander Hellens? Deine erste große Liebe?"

Dad amüsierte sich prächtig, als ich Aurelia einen Killerblick zuwarf.

Okay, ja, Xander war mein erster Kuss gewesen. Und ich hatte auf ihn gestanden. Aber das war zwei Jahre her! Zwischendurch war ich mit Rick zusammen gewesen, aber das schien Aurelia ja generell nicht zu stören.

"Er war nicht meine erste große Liebe", fauchte ich leise, sodass nur sie mich hören konnte, woraufhin sie etwas blass wurde. Selbst Schuld. Schon wieder.

Das wollte ich mir nicht länger antun.

"Dad? Darf ich gehen?", fragte ich meinen Vater, der stumm nickte. Ich erhob mich von meinem Stuhl und zog einige Blicke auf mich, aber es war mir egal.

Naja, nicht ganz.

Rick beobachtete mich auch. Vielleicht versuchte er herauszufinden, was ich davon hielt, dass er noch immer hier saß. Ich gab mein Bestes, ihm keine Beachtung zu schenken.

Als ich endlich vor der Tür war und die Wachen sie hinter mir schlossen, atmete ich tief aus. Wann hatte ich die Luft angehalten?

"Majestät?"

Ich zuckte leicht zusammen. Levi trat in mein Blickfeld.

"Ist alles gut?", fragte er und neigte den Kopf.

Ich nickte.

"Sie haben mich erschreckt."

"Das tut mir leid. Aber als Prinzessin sollte man auf alles vorbereitet sein."

Wie wahr seine Worte doch waren. Und vermutlich wusste er das nicht einmal.

Jetzt würde ich bald auch noch Xander an der Backe kleben haben. Das hatte mir echt noch gefehlt.

"Majestät? Sie sehen wirklich etwas fiebrig aus." Besorgt musterte mich der Braunhaarige. Hatten wir das nicht schon einmal? Aber jetzt, wo er es sagte, fühlte ich mich wirklich etwas unwohl.

Vielleicht war es einfach ein bisschen zu viel für mich.

Ich kniff benommen die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Mein Kopf pochte etwas.

"Es ist alles gut, Wicher. Aber ich könnte etwas frische Luft gebrauchen."

Er verstand sofort und bot mir seinen Arm an, den ich dankend annahm.

Seite an Seite bewegten wir uns langsam auf den Garten zu, wo gestern noch die Erwählten gesessen hatten. Da waren sie noch vollzählig.

Levi lief langsamer, als jede Wache es jemals tat, damit ich nicht so hetzten musste. Das fand ich sehr aufmerksam von ihm. Ab und zu wurde er aus Gewohnheit schneller, bemerkte es dann aber selbst und bremste ab.

Wir schwiegen, bis wir nach draußen kamen und uns auf eine Bank unter einen Baum setzten. Einen Kirschbaum. Er war wirklich hübsch.

Ich atmete einige Male tief ein, schloss meine Augen und genoss die Sonne. Fast hätte ich Levi vergessen.

"Sie haben sich gestern ja prächtig amüsiert", meinte er irgendwann und holte mich aus meiner Trance. Ich lächelte.

"Ja, es war wirklich schön, mit meinen Zofen und Hannah. Sie sind so gute Menschen." Ich schaute ihn an, wobei ich meine Augen etwas zukneifen musste, um nicht vom Licht geblendet zu werden.

Levi hatte braune Augen, die so viel Ruhe ausstrahlten, dass ich in ihnen versinken wollte, nur einen kleinen Augenblick. Nur eine einzige Minute voll Nichts.

Doch ich blickte kurz an ihm vorbei und sah Markus Todd. Er sah besorgt aus. Das sah er immer, seitdem die Selection angekündigt worden war. Er hatte Angst, die Rebellenangriffe würden sich in dieser Zeit vermehren.

Levi beobachtete mich immer noch und erinnerte mich an etwas.

"Versprechen Sie mir etwas?", fragte ich Levi, der seinen Dienst gut erfüllte und mit dem Kopf nickte.

"Wenn es einen Rebellenangriff gibt, und Sie in der Nähe der Bedienstetenräume sind, geben Sie darauf acht, dass meine Zofen in Sicherheit sind?"

Er lächelte.

"Es wäre mir eine Ehre."

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt