4

99 16 5
                                    

Ich hatte nicht gedacht, dass es hätte schlimmer werden können. Aber zwei einhalb Wochen nach der Verkündigung des Castings war mehr Trubel im Schloss, als es ihn schon gewöhnlich gab. Stündlich ging Post mit Anmeldungen von Bewerbern des ganzen Landes ein - und stündlich fragte ich mich erneut, ob die Jungen da draußen nichts besseres zu tun hatten, als in einem riesigen Palast zu sitzen und einem Mädchen hinterher zu rennen, obwohl sie ihrer Zeit nicht wert waren.

Ich wollte sauer auf Aurelia sein, und irgendwie war ich das auch. Aber das Mitleid, das ich für sie hegte, war um einiges größer. Bestimmt saß sie nun irgendwo in einer Besprechung und fragte sich, wieso zum Teufel sie nicht auf mich gehört hatte.
Wobei.
Vermutlich nicht.

Ich trat in den Damensalon ein, dem einzigen Ort, wo momentan kein Stress herrschte; vielleicht, weil die Erwählten hier sowieso nie sein würden. Der Salon war hell erleuchtet, denn das Sonnenlicht, das nun noch stärker als vor weniger Zeit war, schien durch die großen Fenster und verlitt dem Raum etwas Majestätisches.

Anders als gedacht war ich nicht allein.

"Dad?"

Mein Vater drehte sich zu mir um; er blickte ertappt. So gesehen verstoß er gegen sein eigenes Gesetz, sich ohne Erlaubnis der Königin in den Damensalon zu begeben.

"Was machst du hier?", fragte ich stirnrunzelnd und kam meinem Vater entgegen. Dieser seufzte. Mom wusste also nichts davon.

"Die Erwählten. Sie werden männlich sein." Ach was. "Das bedeutet, wir müssen ihnen einen gesonderten Raum einrichten. Während die Ladies in Illeá im Damensalon sein werden dürfen, muss bei uns ein extra Raum her." Sein Blick war vielsagend. Ich verstand ihn trotzdem nicht.

"Und?"

"Und ich wollte sehen, ob ich ihn ... nun ja ... so ähnlich wie den Damensalon gestalten lassen könnte. Also, den Raum der Erwählten. Eine Art ... Männerkabinett. Aber deine Mutter ist nirgends zu finden."

Ich grinste. "Das ist trotzdem illegal!"

Dad verdrehte die Augen. Sogar ein Schmunzeln konnte ich ihm entlocken. "Schön, Prinzessin, dann suche ich nächstes Mal dich, kröne dich eben mal und frage dann dich nach Erlaubnis." Ich lachte. Das wäre eine hervorragende Idee. "Ich hoffe, du verpetzt mich nicht", meinte er dann leicht panisch, doch ich schüttelte den Kopf.

"Ich würde Sie doch nie verraten, oh meine Hoheit!"

Er schüttelte den Kopf. Lächelnd. Es war schön, ihn so zu sehen. Er war viel zu selten so ausgelassen.

Dann, ganz plötzlich, schien er eine Idee zu haben. Etwas in seinen Augen blitzte auf und er nahm meine Hand in seine.

"Wie wäre es, wenn du mir hilfst? Du hast doch auch dein Zimmer wunderbar selbst eingerichtet - da bekommst du das Herrenkabinett doch auch hin, oder? Und außerdem brauchst du mal eine Aufgabe. Nur, weil du nicht Königin wirst, bedeutet das nicht, dass du keine Pflichten übernehmen brauchst!" Er schaute mich streng, und doch liebevoll an. Ich konnte sehen, wie sehr er ein solches Projekt für mich wollte; und auch ich selbst war angetan davon.

"Unter einer Bedingung", sagte ich und tat so, als ob ich gar nicht überzeugt davon wäre. "Wir nennen es nicht Herrenkabinett!"

"Die Namensgebung überlasse ich dir, Bess."

"Dann haben wir einen Deal."

Dad strahlte zufrieden sein Königslächeln. Das tat er immer, wenn er etwas erreicht hatte, was er unbedingt wollte. Wäre er nicht der König und mein Vater, hätte er mich an meinen kleinen Bruder erinnert, und wie er sich freute, wenn es sein Lieblingsessen gab. Fischstäbchen.
Ja, ein Prinz konnte auch bescheiden leben.

Er reichte mir seine Hand, die ich feierlich entgegennahm und schüttelte.

"Wann darf ich anfangen?", fragte ich begeistert und erlaubte mir für einen Moment, mich doch über das Casting zu freuen. Dad zuckte mit den Schultern.

"Sofort?"

Ich grinste. Das würde schön werden. Im Gestalten und räumlichen Denken war ich schon immer recht gut gewesen.

Da klopfte es an der Tür. Die Stimme einer Frau ertönte, vermutlich eine Zofe. Dad sah mich mit großen Augen an. Bevor die Tür sich öffnen konnte, zog ich ihn in eine Ecke, wo es eine Art Geheimgang gab; ursprünglich war es einmal eine Abkürzung zum Gemach der Königin.

"Die zweite Tür rechts, dann kommst du im Gang der Berater heraus!", murmelte ich ihm zu und schupste ihn sanft in den niedrigen Gang.

"Ich frage lieber nicht nach, woher du das weißt?"

Ich lächelte ihn unschuldig an.

Nein, Dad, lieber nicht.

Die Schwester ; a selection story | 1. FassungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt