16) Wahre Worte

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+++Parrik+++

Celien machte einen äußerst zufriedenen Eindruck, als sie Verenne schlafend in ihrem Bett vorfand. Zu meiner Erleichterung hatte sie nicht auf meiner Anwesenheit in Verennes Kammer bestanden und so wartete ich geduldig in dem schmalen Flur vor ihrer Tür, bis sie mit dem Krankenbesuch fertig war. Es konnte nur unangenehm werden, mit Celien und Verenne in einem Raum zu sein, dank Verennes offenherziger Art und ihrem Talent unverblümt die Wahrheit auszusprechen.

Eine altbekannte Wärme hatte sich bei dem Gedanken auf meine Wangen geschlichen. Ich fragte mich, was genau Verenne Celien über meine Besuche bei ihr erzählt hatte. Hatte sie gesagt, dass ich ab und zu das Bedürfnis verspürte, von jemandem in den Arm genommen und berührt zu werden? Aus irgendeinem Grund war mir die Vorstellung, Celien könnte von meinem Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe erfahren, unangenehm. Aber andererseits längst nicht so peinlich, als wenn sie glaubte, ich würde zu Freudenmädchen gehen, um, meine Wangen brannten inwzischen mehr denn je, das zu tun, was man üblicherweise mit ihnen tat. Zum Glück stand ich alleine vor der Tür zu Verennes Gemach. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus und lief zum bestimmt hundertsten Mal über die Dielen aus dunklem Eichenholz. Es war das gleiche Holz, aus dem wir in der Schmiede die Griffe der Werkzeuge fertigten. Holz und Fisch waren die Waren, die es in Waldhafen im Überfluss gab - erschwinglich für fast jedermann. An die Arbeit zu denken, beruhigte mich etwas, aber der Effekt währte leider nur für eine kurze Weile. Ollfs süffisantes Grinsen, als ich Celien in meine Kammer führte, schlich sich in meine Gedanken. Er würde mir den morgigen Tag in der Schmiede zur Hölle machen und mich solange mit Fragen löchern, bis ich ihm zum zigsten Mal versichert hätte, dass zwischen Celien und mir nichts sei und auch nie sein würde. Ich durfte nur nicht an das denken, was danach passiert war. Wenn ich vor Ollf rot werden würde, würde er mir nie abkaufen, dass zwischen uns nichts war. Mir war längst aufgegangen, wer hinter Celiens ungewöhnlichem Ansinnen stand - Celiens „Belohnungsbehandlung" trug ganz klar die Handschrift von Verenne. Es wunderte mich bloß, dass sie Celien dazu hatte überreden können. Sie war sonst so schüchtern und zurückhaltend und es sah ihr nicht ähnlich, jemanden aufzufordern, sich auszuziehen, ohne dass ein absolut zwingender medizinischer Notfall vorlag. Und es überraschte mich noch immer, dass ich es getan hatte. Aber ich war ihrem Befehl gefolgt. „Zieh dein Hemd aus." Bei der Erinnerung stahl sich ein Grinsen auf mein Gesicht. Ich hatte gar nicht anders gekonnt, als ihr zu gehorchen. Celien sollte öfter aus sich herausgehen, fand ich, und nicht nur gegenüber ihrem Bruder oder wenn sie Patienten behandelte. Sie war immer so still und schüchtern. Vielleicht lag es daran, dass ich immer noch das kleine Mädchen von früher in ihr sah. Sie wirkte stets verunsichert, so als hätte sie Angst etwas Falsches zu sagen oder zu tun. Eine Eigenschaft, die mir nicht gänzlich unbekannt war, aber ich hielt mich aus völlig anderen Gründen zurück. Ich wollte nicht im Mittelpunkt stehen und Aufmerksamkeit auf mich lenken und so verhielt ich mich in Anwesenheit anderer Leute unauffällig und blieb lieber im Hintergrund.

Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Die Tür hatte sich geöffnet und ich spürte den Blick aus Celiens großen, dunkelbraunen Augen auf mir ruhen. „Ich bin fertig, wir können los", teilte sie mir mit und war schon halb am Ende des schmalen Ganges, bevor ich mich überhaupt in Bewegung setzte. Sie wartete geduldig am Absatz der Treppe, aber ich bedeutete ihr voranzugehen. Nicht, weil ich schlechte Manieren hatte, sondern weil ich nicht wollte, dass sie sah, wie schwer es mir fiel. Aber natürlich ging mein Plan nicht auf und sie musste am Fuß der Treppe warten, bis ich langsam heruntergeklettert war. Verfluchtes Treppensteigen. Als ich endlich unten angekommen war, lächelte sie mich schüchtern an und reichte mir ihren Arm. Ich hakte sie bei mir ein. Was war heute nur mit diesem Mädchen los? So kannte ich sie gar nicht.

Einige der Männer an der Theke, überwiegend der Teil, der noch nüchtern genug war, um aus eigener Kraft stehen zu können, ohne sich irgendwo festhalten zu müssen, drehten sich zu ihr um und schauten ihr nach, als ich sie durch den Gastraum führte. Und da verstand ich auf einmal - ich sollte ihren Beschützer spielen. Gerne doch, diesen Gefallen würde ich ihr tun. Ein paar abfällige, neugierige Blicke blieben länger als notwendig an meinem Gesicht hängen. Fragt euch nur, was so ein hübsches Mädchen an der Seite eines hässlichen Kerls wie mir macht, dachte ich grimmig, aber wenigstens war mein Charakter nicht so verdorben wie der ihrige. Mit Genugtuung und stolz erhobenem Haupt erwiderte ich die Blicke und blieb dabei sogar noch ruhig und gelassen. So kannte ich mich gar nicht.

Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt