10) Ein Vorfall mit Folgen

274 23 77
                                    


+++Parrik+++

„Das wäre dann alles", murmelte ich leise.

Der Bergmann schlug eine dicke Plane über die Werkzeuge, die wir gerade auf seinen Karren geladen hatten. Er trieb den Esel, den er davor gespannt hatte, an und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Ollf hatte es eilig gehabt, wieder in die Schmiede zu gehen und den Rest der Bezahlung an einem sicheren und geheimen Ort zu verstauen. Seit dem Diebstahl im oberen Viertel war jeder vorsichtig. Ich stand also alleine auf der Gasse vor der Schmiede und schaute dem Eselkarren gedankenverloren nach, bis er am anderen Ende hinter den Fachwerkhäusern verschwand. 

Dann fiel mein Blick auf ein erleuchtetes Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Durch die Scheibe konnte ich Celien vor ihren Regalen stehen sehen. Sie stellte wahrscheinlich irgendeine Salbe oder Tinktur für einen ihrer Patienten her.

Den ganzen Tag über hatte ich immer wieder einen Blick zu ihr rüber geworfen. Sie hatte heute nicht ein einziges Mal ihre Apotheke verlassen. Sie schien Rastens Bitte, vorsichtig zu sein und nicht alleine in Waldhafen umherzustreifen, zu beherzigen. Nicht einmal zu ihrer geliebten Bäckerei war sie gegangen. Normalerweise ging sie entweder gleich am Morgen, bevor sie mit der Arbeit begann, oder gegen Mittag, wenn sie Pause machte und holte Brot und Gebäck. Zu meinem Erstaunen war der Bäckergeselle gegen Nachmittag vor ihrem Laden aufgetaucht und hatte ihr etwas in Papier Gewickeltes vorbeigebracht. Wie aufmerksam von ihm. Bestimmt hatte er den ganzen Vormittag vergeblich auf ihren Besuch gehofft und es schließlich nicht mehr ausgehalten auf sie zu warten. Hatte ich es doch gewusst, dass sie einen Verehrer hatte.

Rasten hatte mir das Versprechen abgenommen, Celien während der Arbeit im Auge zu behalten. Für einen kurzen Moment überlegte ich, zu ihr reinzuschauen, aber dann entschied ich mich dagegen. In letzter Zeit neigten unsere Gespräche dazu, in peinlichem Schweigen zu enden und ich wollte nichts riskieren. Außerdem hatte Rasten nur gewollt, dass ich nach ihr schaute und nicht, dass ich sie aushorchte.

In der Schmiede waren wir für heute fertig und da Ollf mir einen guten Teil der Bezahlung für den abgeschlossenen Auftrag gegeben hatte, beschloss ich zur Feier des Tages im rauchigen Kessel vorbeizuschauen. Vor allem, wenn wir mit einem so wichtigen und großen Auftrag, wie dem für die Minen, fertig waren, war Ollf gut gelaunt und besonders großzügig. Für ihn war ich mehr als nur sein Lehrling, auch wenn ich den Gedanken daran verdrängte, was er in mir sah,  und er bezahlte mich weitaus besser, als es mir zustand. Dafür machte ich ihm keinen Ärger und arbeitete sechs Tage die Woche ohne zu murren.

Ich schlenderte in den Hinterhof, um mich mit kaltem Wasser aus dem Brunnen grob abzuwaschen. Dann füllte ich einen Eimer und trug ihn hinauf in die Stube. Ich wusste, dass Ally frisches Wasser zum Kochen brauchte und sie bedankte sich, wie üblich, überschwänglich für meine Hilfe. Ollf würde es bestimmt wieder vergessen und für mich war es selbstverständlich, ihr diese kleinen Arbeiten abzunehmen. Dafür ließ mich Ally weitgehend in Ruhe. Sie hatte es dank meiner wortkargen Antworten längst aufgegeben, mich in ein Gespräch verwickeln zu wollen.

Meiner Schwester gab ich einen kurzen Knuff in die Seite und einen Kuss aufs Haar.

„Ich gehe in den rauchigen Kessel", teilte ich Ally mit, damit sie nicht für mich mitdeckte. Später würde ein voll beladener Teller in der Küche auf mich warten.

Gut gelaunt verschwand ich in meiner Kammer, um mir ein frisches Hemd und eine saubere Hose anzuziehen. Einen Aufwand, den ich nicht immer betrieb. Aber ich hatte einen guten Tag.

Sogar auf dem Weg zum Hafenviertel pfiff ich leise vor mich hin und ignorierte die Blicke, die mir die Marktfrauen und ihre Kundinnen zuwarfen. Sollten sie doch glotzen, davon würde ich mir meine gute Laune nicht vertreiben lassen.

Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt