22) Eine Entdeckung am Abend

76 12 3
                                    


+++Parrik+++

An diesem Tag war ich nicht bei der Sache. Wieder einmal. Aber statt um Mara, kreisten meine Gedanken um Quenny. Was, wenn sie nicht wieder gesund wurde? Der Gedanke machte mich fast wahnsinnig und auch Ollf wirkte besorgt.

Celien konnte ihr doch sicher helfen? Ihre Kräuter wirkten für gewöhnlich Wunder. Aber etwas an ihrem Blick hatte mir verraten, dass es ernst war.

Stündlich humpelte ich die paar Stufen zu meiner Schwester hinauf, um nach ihr zu sehen. Ich bildete mir ein, dass es ihr bei jedem Besuch schlechter ging und ich verzweifelte immer mehr. Ally saß so gut wie immer neben ihr am Bett und verabreichte ihr eine Flüssigkeit von einem Löffel oder wechselte ihre Wickel oder sie trieb sich geschäftig in der Küche herum und bereitete Tee zu. Ihr stand die Sorge ebenfalls geradezu ins Gesicht geschrieben. Das machte es wiederum nicht besser für mich.

„Irgendetwas müssen wir doch tun können?" Meine Stimme klang genauso verzweifelt, wie ich mich fühlte.

„Hier kannst du nichts tun", sagte Ally. „Aber du könntest hinüber zu Celien laufen und ihr sagen, dass es Quenny immer schlechter geht. Sie kann kaum noch schlucken und auf ihrem Hals, Brust und Rücken haben sich rote Flecken gebildet. Vielleicht weiß sie noch Rat, was wir versuchen könnten." Ich nickte und stieg mühsam und so schnell es mein Bein zuließ, die steilen Stufen wieder hinab.

Celien saß auf einem Stuhl und las in einem alten Buch. Ich hatte sie schon öfter darin lesen sehen und fragte mich, was wohl auf den Seiten stand. Sie war so vertieft in die Lektüre, dass sie mich nicht bemerkte. Erst als ich ihr über die Schulter schaute, blickte sie auf. In ihrem Buch gab es viele Zeichnungen und Skizzen. Von Pflanzen, vermutete ich, und daneben stand etwas in einer schnörkeligen Handschrift. Ich konnte es nicht entziffern, aber ich hoffte, dass es etwas war, das Quenny helfen konnte.

„Fleckenfieber", erklärte sie mir und wandte ihren Blick erneut dem Buch zu. „Kann ohne die richtige Behandlung sehr gefährlich werden. Oft tödlich für Kinder und schwache Menschen. Schwarzpilze und Schattenflechten. Ich muss in den Kiefernwald."

Ich schaute sie ratlos an. „Was?", brachte ich verständnislos hervor. Es sah nicht gut aus, soviel hatte ich immerhin verstanden, aber was hatte der Kiefernwald damit zu tun?

„Es ist ein seltenes Fieber. Aber ich weiß jetzt, was dagegen hilft. Ich muss in den Kiefernwald." Langsam erkannte ich die Zusammenhänge.

„Dann lass uns sofort losgehen." Wir hatten schließlich keine Zeit zu verlieren. Wie es aussah, war ich gerade zur richtigen Zeit gekommen.

„Gut. Ich brauche nur noch schnell ein paar Dinge", erwiderte Celien. Sie legte das Buch zur Seite und packte mit geübten Griffen ein paar Gegenstände, Sichel und Schneidmesser, in ihre Taschen.

Wenige Minuten später verließen wir Waldhafen durch das obere Stadttor in Richtung Osten. Hier erstreckte sich ein Wald aus ausladend wuchernden Schwarzkiefern und hochgewachsenen Küstentannen meilenweit über eine große Landzunge. Es war mühsam, sich einen Weg durch das dichte Gestrüpp zu bahnen und mein Bein machte es mir zusätzlich schwer auf dem unebenen Waldboden. Ich verfluchte mich im Stillen, während ich hinter Celien herhastete, so schnell ich es vermochte.

Die Sonne stand schon tief, tauchte den Wald um uns herum in ein dämmriges Zwielicht und verwandelte die Nadelbäume in schemenhafte schwarze Gestalten. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir bei Einbruch der Nacht zurück sein wollen", bemerkte Celien und beschleunigte ihre Schritte noch weiter. Gestrüpp und wilde Ranken schlugen uns ins Gesicht, als wir uns einen Weg hindurch bahnten. Ein Brombeerast verfing sich in Celiens Ärmel und blieb im Stoff ihres Umhangs hängen. Vorsichtig löste ich die Ranke von ihr. „Autsch", entfuhr es mir. Ich hatte mich an den Dornen geschnitten. Ich presste meine Hand an die Lippen.

Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt