51) Eine Nacht

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***Celien***

Das Gewitter hatte uns erreicht. Und mir blieb keine Zeit mehr um darüber nachzudenken, warum ich Parrik aus heiterem Himmel einfach so um den Hals gefallen war. Außerdem musste ich mich das nicht fragen. Ich wusste genau warum, vor Freude und Erleichterung und weil ich ihm nahe sein wollte. Seit wir gemeinsam unterwegs waren, hatte sich dieses Bedürfnis noch weiter verstärkt und ich hatte dem Impuls einfach nicht mehr widerstehen können.

Der dunkle Himmel über uns erhellte sich schlagartig, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Ich zuckte erschrocken zusammen, als ein weiterer Blitz erneut die Dunkelheit erleuchtete. Der Donner krachte und der ganze Wald hallte wider. Am liebsten hätte ich mich wieder in seine Arme geflüchtet, aber meine Stute lenkte mich in diesem Augenblick ab.

Mit einem kläglichen Wiehern stieg sie auf ihre Hinterbeine und stieß einen Angstschrei aus, wie ich ihn noch nie zuvor von einem Tier gehört hatte. Genauso erschrocken von Blitz und Donner und ihrer Reaktion wich ich ein paar Schritte zurück, dumm nur, dass ich gerade im Begriff gewesen war, sie loszubinden.

Bevor ich mich aufrappeln und nach den Zügeln greifen konnte, stieg sie wieder auf alle Viere und schoss davon. „Halt!", rief ich meinem Pferd verzweifelt hinterher, aber voller Panik galoppierte sie blind durchs Unterholz, vorbei an Parrik, der gerade dabei war, auf seinen braunen Hengst zu steigen und der vor Schreck ebenfalls zurückwich und ins Stolpern geriet.

Sein Hengst hatte die Ohren angelegt, ein Zeichen, dass er ebenfalls nervös war. Angesteckt von der wilden Panik seiner Partnerin, tat er es ihr gleich und folgte ihr in vollem Galopp, ehe Parrik auch nur reagieren oder irgendetwas unternehmen konnte.

Hilflos schauten wir unseren Pferden hinterher und sahen wie sie im Wald verschwanden. „Verdammt", bemerkte ich und streckte Parrik meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Verflogen waren die gute Laune und die Freude über den Fund des Mäusedorns.

„Ohne die Pferde ist  es hoffnungslos den Heimweg in zwei Tagen zu schaffen. Dieses verfluchte Gewitter!", fluchte ich.

„Wir müssen hinterher. Komm!" Parrik hielt immer noch meine Hand und zog mich hinter sich her, während der Regen unaufhörlich auf uns niederprasselte.

Wie versteinert folgten wir dem Weg, den wir hierher genommen hatten, nur dieses Mal zu Fuß. Von den Pferden war keine Spur mehr zu sehen und nichts zu hören. Ich wusste, wie schnell und wie weit verängstigte Pferde laufen konnten, in dem verzweifelten Versuch dem Gewitter zu entkommen. Und ich wusste, wie gefährlich es war, hier im Wald zu galoppieren, wo man überall an einer Wurzel hängenbleiben und sich ein Bein brechen konnte.

Ich durfte gar nicht daran denken. Ich bemerkte kaum, dass Parrik noch immer meine Hand hielt und mich mit sich zog.

Unsere Kleidung war inzwischen völlig durchweicht und Wasser tropfte mir ins Gesicht. Ich hatte schon seit einer Weile keine Ahnung mehr, in welche Richtung wir liefen und hoffte, dass Parrik es wusste. Ich stolperte ihm einfach hinterher, während um uns herum immer noch das Gewitter tobte und die Blitze einschlugen. Es krachte, zuckte und prasselte um uns nieder, aber ich nahm meine Umwelt kaum wahr.

„Was sollen wir machen?" Parrik war stehen geblieben und schaute sich um. Wassertropfen rannen aus seinen pitschnassen Haaren und liefen ihm über Stirn und Nase. „Hier gibt es nirgends Schutz. Wir könnten uns höchstens unter einen dichten Baum stellen und abwarten, bis das Schlimmste vorüber ist." Er schaute mich unsicher an, ließ meine Hand los und rieb sich über die Augen. Jetzt hatte ich nichts mehr, was mir Halt gab.

„Wir müssen weiter", brachte ich verzweifelt hervor. „Wir müssen die Pferde finden."

„Celien!" Parrik schaute mich eindringlich an. „Wo willst du suchen? Sie können inzwischen überall sein. Sei vernünftig. Es hat keinen Sinn."

Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt