11) Sorgen und Erkenntnisse

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***Celien***

Ich wies Parrik an, das Mädchen auf den niedrigen Tisch zu setzen, der mir bereits des Öfteren als Behandlungstisch gedient hatte. Immer wieder musste ich auch kleinere oder größere Wunden verarzten. Ihre Verletzungen schienen nicht schlimm zu sein, wie ich mit einem geübten Blick an ihrem Zustand feststellen konnte. Sie war blass, aber bei Bewusstsein.

Vorsichtig half er ihr ab. Ich löste ebenso vorsichtig den durchgebluteten Verband von ihrem Bauch. Zum Vorschein kam eine mehrere Zentimeter lange und tiefe Schnittwunde, die genäht werden musste. Rasten kam gerade von draußen mit frischem Wasser herein. Ich hatte ihn zum Brunnen geschickt. Er stellte den Eimer neben dem Mädchen auf dem Tisch ab und ich tränkte ein sauberes Tuch mit Wasser und begann die Wunde behutsam zu säubern. Sie zuckte unwillkürlich zusammen. „Es tut ein bisschen weh, ich weiß. Aber ich muss es säubern, sonst entzündet es sich", informierte ich sie. „Ich gebe gleich etwas darauf, damit der Schmerz nachlässt." Ich hatte einen Trank und eine Salbe zum Auftragen im Sinn, die ihr helfen würden.

„Parrik, kannst du mir aus dem Regal das Fläschchen mit der Aufschrift 'Sedum' bringen?" Ich zeigte auf mein Medikamentenregal hinter der Theke, wo alle Tränke und Tinkturen, die ich auf Vorrat hatte, fein säuberlich beschriftet und aufgereiht standen.

Parrik wirkte hilflos und überfordert. „Wo steht es denn?". Bevor ich ihm antworten konnte, trat Rasten hinter die Theke, griff nach oben und brachte mir das verlangte Fläschchen. Ich schraubte den Verschluss ab und tunkte ein wenig von der Flüssigkeit auf das Tuch und rieb es über die Wunde. Der Schmerz sollte jetzt bald etwas nachlassen. Erneut beauftragte ich Parrik. Dieses Mal schaffte er es, mir einen Löffel mit Honig von der Theke zu reichen und ich goss ein paar Tropfen darüber, ehe ich es dem Mädchen verabreichte. Pur wäre es viel zu bitter und ich wollte sie nicht unnötig quälen. Sie hatte für einen Abend genug gelitten.

„Wie ist das überhaupt passiert?", fragte ich in die Stille.

„Ich habe ein paar Männer abgewiesen." Ihre Stimme klang fester, als ich es erwartet hätte. „Und zum Dank haben sie mich über einen Tisch gestoßen."

Mir war schon in den Sinn gekommen, dass sie eines der Mädchen aus einer der Tavernen des Hafenviertels sein musste. Wenn ich raten müsste, würde ich auf den rauchigen Kessel setzen. Man erkannte an ihrer Kleidung, was sie war. Für eine anständige Frau war das knappe Kleidchen, das sie trug, zu dünn und zu freizügig geschnitten. Ihre zarte, aber kurvige Figur zeichnete sich viel zu deutlich unter dem Stoff ab.

„Gefährliche Gegend", murmelte ich. „Ich möchte nicht mehr alleine dort hingehen." Mein letzter Ausflug in die Taverne kam mir in den Sinn und ich war froh, dass Parrik mich nach Hause begleitet hatte. Mein Blick fiel unwillkürlich auf besagten Jungen, der sich an die Theke gelehnt hatte. Sein Hemd war an der Brust nass und sein Ärmel hatte dunkle Flecken. Er sah mitgenommen, aber trotzdem gut aus. In meinen Augen würde er immer gut aussehen.

„Das würde ich einem hübschen Mädchen wie dir auch nicht raten." Der Blick ihrer blauen Augen blieb kurz an meinem Gesicht hängen, ehe er weiter zu meinen Händen wanderte. Sie beobachtete jeder meiner Bewegungen genau.

Ich fädelte das Nähgarn durch eine kleine Nadel. „Atme ein und halte die Luft an. Das wird ein bisschen wehtun, aber es muss sein", wies ich sie an und begann vorsichtig damit, die Wunde zu verschließen. Sie hielt still und zuckte dabei nicht einmal zusammen. Sowohl mein Bruder als auch Parrik schauten betreten in alle Ecken des Raumes außer in unsere. Als ob Parrik nicht schon alles von ihr gesehen hätte, schoss es mir durch den Kopf. Ich schickte die beiden nach oben und sie wirkten erleichtert darüber, entlassen zu sein. Ich grinste das Freudenmädchen schüchtern an und sie grinste zurück.

Anschließend schmierte ich eine zähe Paste auf den Schnitt, welche die Wundheilung fördern und die Narbenbildung vermindern sollte. Ganz würde ich es allerdings nicht verhindern können und sie würde eine kleine Narbe zurückbehalten. Als ich ihr dies mitteilte, stöhnte sie leise.

„Meinst du die Männer mögen mich deswegen weniger?" Sie schien ernsthaft besorgt.

„Das glaube ich nicht", versicherte ich ihr. „Meiner bescheidenen Erfahrung nach, mögen sie ein hübsches Gesicht und eine schöne Figur bei einer Frau und du hast beides. Und ich glaube, wenn Männer Lust auf eine Frau haben, ist ihnen eine kleine Narbe am Bauch völlig egal. Parrik scheint dich jedenfalls zu mögen", fügte ich hinzu und spürte wie meine Wangen erröteten.

Sie schaute mich neugierig an und ich wurde noch röter. „Du magst ihn auch. Ich habe gesehen, wie du ihn anschaust."

„Er ist mit meinem Bruder befreundet." Ich wich ihrer Frage aus.

Sie bemerkte es. „Aber du magst ihn sehr. Stimmt's?" Sie ließ nicht locker. Sie ließ sich nicht so leicht abwimmeln, wie ich es tat.

Jetzt seufzte ich leise, bevor ich antwortete. „Ja, ich glaube jeder, der ihn kennt, mag ihn." Mittlerweile mussten meine Wangen geradezu glühen.

„Er ist wirklich etwas Besonderes", pflichtete sie mir bei. „Wie heißt du eigentlich?"

Nachdem ich ihr meinen Namen und sie mir ihren gesagt hatte, fügte sie hinzu: „Ich wünschte nur, er würde nicht so schlecht von sich denken. Er ist überzeugt davon, dass ihn die paar Narben auf seiner Stirn abstoßend machen und er es nicht wert ist, geliebt zu werden." Sie seufzte leise.

„Kommt er deswegen zu dir?" Ich konnte meine Frage nicht zurückhalten. Der Gedanke daran, was sie und Parrik miteinander taten, schmerzte mich sehr.

„Nicht wie du denkst." Sie zögerte, ehe sie weitersprach. „Er möchte manchmal einfach nur in den Arm genommen und gehalten werden und dann kommt er zu mir. Er bringt es nicht über sich, mit mir zu schlafen und ich will ihn nicht dazu überreden. Also besucht er mich, wenn er Zuneigung und Zärtlichkeit braucht und bezahlt mich dafür. Damit ist er einer meiner liebsten Kunden. Schnell und einfach verdientes Geld." Sie grinste verschwörerisch.

Armer Parrik. Es tat mir weh, dass er so von sich dachte. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich ihn halten und streicheln dürfte. Wie gerne würde ich das für ihn tun. Aber er ließ kein Mädchen an sich heran, außer Verenne wie es schien, und der gab er Geld dafür.

Ich seufzte ebenfalls. Verenne schaute mich mitleidig an. „Was denkst du?"

Dieses Mädchen brachte mich erneut zum Erröten. Sie grinste, als ich schwieg. „Kann es mir denken!"

Zeit für etwas, worin ich gut war. „Komm. Zeig mir die Platzwunde an deinem Hinterkopf", forderte ich sie auf.

Sie nahm den Verband um ihren Kopf ab und streckte mir ihren Hinterkopf entgegen. „Nicht halb so schlimm wie die Wunde am Bauch", sagte ich, als ich ihre Haare vorsichtig zur Seite strich, um einen Blick auf die Verletzung zu erhaschen. Die kleine Narbe würde sie einfach unter ihren Haaren verstecken können. „Das muss nicht genäht werden, das verheilt auch so. Aber lass es mich reinigen und die Salbe auftragen." Während ich dies tat, meinte sie vergnügt: „Weißt du was, wir helfen Parrik auf die Sprünge. Er braucht eine Frau an seiner Seite und ich glaube, du magst ihn wirklich. Ich helfe dir. Obwohl es schade ist, wenn ich ihn als Kunde verliere."

„Hey!", meinte ich in gespielter Empörung. Ich kniff sie in die unverletzte Seite. Aber ihr Vorhaben machte mich neugierig. „Und wie willst du das anstellen?"

„Ich hab da schon eine Idee." Sie lachte. „Mit Männern kenne ich mich schließlich aus."

Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt