37) Ein nächtliches Vorhaben

74 10 0
                                    


+++Rasten+++

Mit der anstehenden Hochzeit und dem Dienst bei der Stadtwache blieb wenig Zeit, mich um andere Dinge zu kümmern. Ich fluchte.

Eigentlich musste ich noch einen offiziellen Brief für den Kommandanten schreiben, aber ich beschloss, dass dafür auch später noch Zeit sein würde. Entschlossen schob ich das Tintenfass von mir und legte die Schreibfeder daneben. Die Arbeit würde mir schon nicht weglaufen, leider. Ich seufzte. Ein Brief in inoffizieller, aber extrem wichtiger Sache an diesem Abend musste ausreichen.

Es gab einfach viel zu wenige Leute in Waldhafen, die des Schreibens und Lesens mächtig waren, sonst würde nicht so viel Arbeit an mir hängen bleiben. Andererseits war ich froh darüber, denn nur diesem glücklichen Umstand hatte ich meine Karriere zu verdanken. Und ohne meinen Rang bei der Stadtwache und die Aussicht darauf bald noch weiter aufzusteigen, hätte Arnoldo nie zugestimmt, mir Mara zur Frau zu geben.

Doch jetzt stand alles auf der Kippe und ich trug selbst die Schuld daran.

Mein Plan, die Schmuggler auf eigene Faust festzunehmen, musste einfach gelingen. Es durfte jetzt nichts schief gehen. Ich zog meinen Waffenrock aus und warf mir einen dunklen Umhang über. Heute Nacht durfte man mich nicht sofort als Mitglied der Wache erkennen. Mein Kurzschwert und einen Dolch trug ich gut versteckt unter dem Umhang.

Den Waffenrock faltete ich ordentlich zusammen und legte ihn auf mein Bett. Bei der Stadtwache legte man äußersten Wert auf ein untadeliges Erscheinungsbild und selbst mir war es gelungen, ein gewisses Maß an Ordnung einzuhalten. Sogar Celien hatte in letzter Zeit nicht mehr über meine Unordnung und Nachlässigkeit geschimpft. Was andererseits auch daran liegen konnte, dass ich kaum mehr Zeit zuhause verbrachte. Mein Zuhause war mittlerweile das geräumige Haus meines zukünftigen Schwiegervaters im oberen Viertel. Auch wenn ich nicht wusste, wie es funktionieren würde, wenn Celien alleine in unserem Elternhaus wohnte. Sie würde zurechtkommen, das wusste ich, aber dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich war ihr älterer Bruder und einziger noch lebender Verwandter. Es war schon egoistisch von mir, mein Glück mit Mara über die Sorge um meine Schwester zu stellen und ihr jetzt auch noch die Obhut für Korvin aufzubürden. Das war mir sehr wohl bewusst und auch das Gerede der Leute im Viertel war mir sehr wohl zu Ohren gekommen.

„Alleinstehend und unverheiratet und jetzt nicht einmal mehr der Bruder im Haus."

„Das arme Mädchen."

„Und jeder geht in ihrer Apotheke ein und aus. Sogar Freudenmädchen aus dem Hafenviertel."

„Und sie hat Männerbesuch."

„Aber sie ist eine fähige Heilerin."

„Das kann nicht lange gut gehen."

Aber ich hatte meine Entscheidung getroffen und Celien hatte sich nicht beschwert. Im Gegenteil, ich hatte sogar den Eindruck, dass es ihr recht war mir keine Rechenschaft mehr schuldig zu sein. Um mein Gewissen zu beruhigen, schaute ich so oft es ging auf einen Besuch bei ihr vorbei. Und dann war da noch Parrik, auf den ich mich wie immer verlassen konnte, der täglich nach dem Rechten bei ihr sah.

Oft fand ich allerdings nicht die Zeit für einen Besuch bei Celien. Aber heute würde ich es schaffen, wenn auch nur kurz und obwohl sie zu sehen nicht mein Hauptanliegen war.

An der Tür meiner Schreibstube blieb ich stehen und blickte mich vorsichtig nach allen Seiten um. Niemand sah mich, als ich meine Schreibkammer im Schutz der Dunkelheit verließ. Ich schlich mich durch die Gänge hinunter auf die Straße ohne einer Menschenseele zu begegnen. Jetzt war es zwar noch nicht gravierend, wenn mich jemand sehen würde, wie ich die Garnison verließ, aber später, wenn mich Korvin begleitete, durfte mich niemand erkennen. Je weniger Blicke mich in diesem Augenblick wahrnahmen, desto besser für mein späteres Vorhaben.

Im oberen Viertel waren zu dieser Zeit kaum mehr Menschen auf den Straßen unterwegs und in den meisten Häusern brannte Licht hinter den zugezogenen Vorhängen. An den Wachen am Tor führte allerdings kein Weg vorbei. Ich grüßte sie so normal wie möglich, obwohl mein Herz bis zum Hals schlug.

„Ein Besuch bei meiner Schwester", erklärte ich ausweichend. Zumindest wussten sie, dass meine Schwester alleine wohnte und ich sie des Öfteren besuchte.

„Du bist spät dran heute." Der prüfende Blick des Wachmanns glitt hinauf zum Nachthimmel, an dem sich bereits die ersten Sterne zum Vollmond gesellt hatten.

„Ja, leider." Ich seufzte gequält. „Viel zu tun in der Schreibstube."

Kein Grund argwöhnisch zu werden. „Dann lass dich mal nicht aufhalten."  Ich eilte weiter.

Auch auf den gepflasterten Gassen und Wegen durch das untere Viertel der Händler und Handwerker begegnete ich niemandem. Einzelne Leute kamen oder gingen in die Tavernen, oder kehrten spät von ihrer Arbeit oder einem Besuch zurück, aber es gelang mir, ihnen aus dem Weg zu gehen, ohne groß beachtet zu werden.

Ich war mir ziemlich sicher, dass mich außer den beiden Wachen am Tor keiner gesehen hatte, als ich unbemerkt die Tür zu meinem Elternhaus öffnete.

Erleichtert atmete ich aus. Bis hierher war es einfach gewesen, doch jetzt begann der riskante und schwierige Teil. Mein Vorhaben musste einfach gelingen.

Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt