2) Einer dieser Tage

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Teil 1: Waldhafen

Heute war einer dieser Tage, an denen das Hämmern auf Metall nicht ausreichte, um meine finsteren Gedanken zu vertreiben. Und das Schlimmste daran war, es gab keinen Grund für meine schlechte Laune, das hieß, keinen besonderen. Es war ein Tag wie jeder andere. Ereignislos, unaufgeregt, blass.

In aller Frühe war ich zu der Werkzeugschmiede hinuntergegangen, in der ich bereits im zweiten Jahr als Lehrling arbeitete. Ich hatte mir nicht einmal Zeit für das Frühstück genommen, das mir meine Ziehmutter angeboten hatte, sondern bloß im Gehen ein paar Bissen auf der Treppe hinuntergeschlungen. Daran lag es allerdings nicht, dass ich mich an diesem Vormittag so schlecht fühlte.

Seit dem Betreten der Schmiede am frühen Morgen, bearbeitete ich unermüdlich den Metallklumpen vor mir, um ihn Schlag für Schlag etwas mehr in die Sichel zu verwandeln, die er letztendlich werden sollte. Normalerweise tat mir die körperliche Anstrengung gut, um meine schlechte Laune zu vertreiben. Aber nicht heute.

Ständig kreisten meine Gedanken um diese Nacht vor drei Jahren, die mein bisheriges Leben völlig aus der Bahn geworfen hatte. Eigentlich hatte sich vieles zum Guten gewendet seitdem. Ich hatte Arbeit, Quenny hatte ein Dach überm Kopf und eine Ersatzmutter gefunden, aber andererseits gab es immer wieder diese Tage, an denen meine Wut und mein Ärger überkochten und mich nicht in Ruhe ließen, egal wie verbissen und brutal ich auf das Metall vor mir eindrosch, bis mir die Haare schweißnass im Gesicht klebten.

Ich beschloss, später, nach Feierabend, in die Taverne zu gehen. Dort könnte ich mich an einen der leeren Tische in den dunklen Nischen am Ende des Raumes setzen und in Ruhe ein Bier trinken, während ich dem Geplänkel der anderen Gäste zuhörte. Vielleicht könnte ich auch eine Stunde mit Verenne verbringen. Das würde mich von meinen Gedanken ablenken und wäre besser, als alleine in meiner Kammer genau diesen nachzuhängen. In letzter Zeit hatten sich diese Besuche zu einer Art Routine entwickelt und man traf mich abends immer häufiger dort an.

Die Zeit in der Schmiede verstrich quälend langsam und meine Gedanken kreisten um die ewig gleichen Fragen - Was wäre gewesen, wenn ...? Wie würde mein Leben aussehen, wenn ...? Aber ich hatte keine Antworten darauf und die Grübelei führte zu nichts, außer zu noch schlechterer Laune.

Irgendwann hatte ich es dann doch geschafft, den Metallrohling in die gewünschte Sichelform zu bringen und konnte meine Werkzeuge aufräumen und mich am Brunnen im Hinterhof von dem Schmutz und Schweiß der Arbeit befreien. Nachdem ich meinem Meister Ollf kurz zugeraunt hatte, dass ich noch etwas außer Haus sein würde, machte ich mich auf den Weg zu meiner bevorzugten Taverne am unteren Hafenviertel.

Obwohl diese nur ein paar Gassen entfernt lag, brauchte ich eine Weile für die Strecke. Nicht, weil ich trödelte, und die Fachwerkhäuschen der Handwerker und Händler in meinem Viertel betrachtete. Ich kannte sie inzwischen zur Genüge. Auch nicht, weil an diesem Abend so viele Menschen auf den gepflasterten Sträßchen unterwegs waren, sondern weil ich es einfach nicht schneller schaffte. Immerhin war ich nach meinem Spaziergang schon viel ruhiger, als ich schließlich die bogenförmige Eingangstür aus dunklem Holz mit den undurchsichtigen Butzenscheiben öffnete und den großen Schankraum betrat.

Im Inneren war die Luft wie immer rauchig und trüb. Da es noch früh war, war mein bevorzugter Tisch am hinteren Ende des Raumes noch frei. Nur ein paar Hafenarbeiter standen am Tresen und gestikulierten wild miteinander. Ich bestellte einen Krug Bier und ließ mich auf meinen üblichen Platz fallen. Als mein Magen grummelte, merkte ich, dass ich den ganzen Tag nichts mehr gegessen hatte und ließ mir von Cilly, der vollbusigen Kellnerin, noch einen Teller Eintopf bringen. „Der rauchige Kessel" war nicht gerade für die Qualität seines Essens bekannt, aber es reichte mir, um meinen hungrigen Magen zu füllen. Bestimmt hatten Ally und Quenny etwas gekocht und warteten auf mich. Aber es war mir gleichgültig. Ich war erwachsen und niemandem Rechenschaft schuldig. Außerdem konnte ich ohne Probleme einen weiteren Teller verdrücken, wenn ich zuhause war. Manchmal wurde mir die Harmonie im Hause der Schmiedeleute einfach zu viel - so schön ich es auch für meine kleine Schwester Quenny fand, dass sie in Ally eine Art zweite Mutter gefunden hatte. Ich hingegen war mit achtzehn Jahren aus dem Alter heraus, in dem ich bemuttert werden wollte, vor allem an solchen Tagen wie diesem. Nein, ich wollte mich nicht von Ally trösten lassen. Dafür bevorzugte ich Verenne. Sie musste ich wenigstens nicht jeden Tag sehen, weil ich bei ihr lebte, und sie brachte mir auch kein Mitleid entgegen, so wie meine Ersatzmutter, sondern Verständnis und ein offenes Ohr, anstelle gutgemeinter Ratschläge, die ich nicht haben wollte.

Ich hatte gerade den letzten Rest des Eintopfs aus der Schüssel gekratzt, als ich einen strohblonden Schopf auf mich zukommen sah. Er gehörte Verenne, einem der Freudenmädchen, die im „rauchigen Kessel" ihrem Broterwerb nachging. Mit ihr verstand ich mich gut und sie war genau die Person, die mich heute von meinen düsteren Gedanken befreien konnte. An Tagen wie diesen, gönnte ich mir für gewöhnlich eine Stunde mit ihr. Auch heute ließ ich mich nicht lange bitten und folgte ihr umgehend die steile Holzstiege hinauf in ihr Zimmer.


Waldhafen - Narben der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt